«Schrei-Duell» im Weissen HausWarum Europa jetzt erst recht um seine Sicherheit bangen muss
Andreas Fischer
21.10.2025
Die Stimmung zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj bei ihrem Treffen im Weissen Haus war eher angepannt.
Bild:Keystone/AP/Alex Brandon
Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj schreien sich im Weissen Haus an. Wladimir Putin reibt sich die Hände, und in Brüssel werden alle nervös. Die Eskalation im Weissen Haus macht Europa Angst. Zu Recht.
«Wenn Putin will, wird er dich vernichten!», soll Donald Trump geschrien und auch gleich noch eine Landkarte mit dem Frontverlauf in der Ukraine zerknüllt haben. Das jüngste Treffen des US-Präsidenten mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj soll wieder aus dem Ruder gelaufen sein, wie Augenzeugen berichten.
Der Hauptstreitpunkt war einmal mehr der Umgang mit Putins Gebietsforderungen an Kiew. Trump argumentiert im Sinne Putins und fordert von der Ukraine, von Russland annektierte Gebiete gleich ganz abzutreten. Das kommt für Selenskyj nicht infrage. Und so haben die beiden Präsidenten im Oval Office derart lautstark ihre Meinungen vertreten, dass manche Medien von einem «Schrei-Duell» sprechen.
Das Geschrei in Washington hallt bis nach Europa. Und das macht Europa nervös.
Während Selenskyj offen vor einer Beschwichtigungspolitik gegenüber Russland warnt, zeigt sich, dass Trump mittlerweile wieder auf Putins Linie ist, der (wohl nicht ganz zufällig) kurz vor Selenskyjs Washington-Reise bei Trump angerufen hat.
Die beiden wollen sich nach dem ergebnislosen Alaska-Gipfel erneut treffen, diesmal in Ungarns Hauptstadt Budapest. Weitreichende «Tomahawk»-Marschflugkörper, mit denen die Ukraine militärische Ziele weit im russischen Hinterland angreifen könnte, gibt es von den USA vorerst auch nicht.
Trump würde Putin den Donbass servieren
Es scheint, als würde Trump der Ukraine die Pistole auf die Brust setzen. Und das zeigt Wirkung. Man erwarte keine strategischen Veränderungen zugunsten der Ukraine seitens Trumps mehr, wird ein hochrangiger EU-Beamter in der «Financial Times» zitiert. Im Gegenteil: Man sei dabei, Notfallpläne für die Ukraine auszuarbeiten, die auch ohne US-Unterstützung greifen können.
Sie scheinen notwendig zu sein. Würde sich Putin mit Trumps Unterstützung den ganzen Donbass einverleiben, stünde die Ukraine bis an den Dnipro als natürlich Verteidigungslinie quasi schutzlos da. «Militärisch wäre die Übergabe des Donbass eine Katastrophe für die Ukraine», sagt der deutsche Oberst Markus Reisner gegenüber n-tv. Zumal es für Kiew überhaupt keinen Sinn machen würde, Gebiete abzutreten, die Russland in dreieinhalb Jahren Krieg nicht erobern konnte.
Ein Ukraine-Deal zwischen Putin und Trump auf Kosten der Ukraine wäre auch für Europa der «worst case». In der «New York Times» warnt der deutsche Generalleutnant Alexander Sollfrank, Befehlshaber des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr, dass in der Ukraine viel auf dem Spiel stehe: «unser Frieden und unsere Freiheit, unsere politischen Systeme, unsere Demokratien, unser Pluralismus, unsere föderalen Strukturen».
Europa kauft immer noch Gas von Putin
Der einzige Grund, warum Putin aufhören würde, wäre, «wenn man ihn dazu zwingt», so Sollfrank. Das Problem ist allerdings, dass die Europäer dafür keine Strategie haben. Zwar wollen sie die Ukraine weiterhin unbefristet unterstützen, aber wie sie den Krieg beenden können, wissen sie nicht - zumindest nicht ohne die Unterstützung der USA. Und von Trump ist derzeit nicht viel zu erwarten.
In der Zwischenzeit, so Sollfrank, sei Russland dabei «seine Landstreitkräfte wieder aufzubauen und neu zu formieren, während es gleichzeitig die Ukraine angreift, und dabei kontinuierlich dazulernt.» Das Geld dafür kommt übrigens auch aus Europa.
«Denken Sie mal darüber nach: Sie finanzieren einen Krieg gegen sich selbst. Wer zum Teufel macht sowas?», hatte Donald Trump in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung, damals noch auf Konfrontationskurs mit Putin, im September gepoltert. Und er hatte recht. Noch immer kauft die EU Erdöl und vor allem Flüssig-Erdgas (LNG) aus Russland, im ersten Halbjahr 2025 im Wert von rund 4,15 Milliarden Franken (laut Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat).
Immerhin, damit soll bald Schluss sein. Spätestens ab 2028 darf nach dem mehrheitlichen Willen der 27 EU-Länder kein Gas aus Russland mehr importiert werden.
Russland den Geldhahn zuzudrehen, ist die eine Sache, mit der sich die EU schwertut. Die andere Sache ist die finanzielle Unterstützung der Ukraine, vor allem da aus den USA kein Geld mehr nach Kiew fliesst. In Brüssel wird deswegen nach Mitteln und Wegen gesucht, die wegen der Sanktionen eingefrorenen russischen Vermögen zumindest als Bürgschaft für einen Kredit zu nutzen.
Die Idee stösst allerdings in der belgischen Regierung und bei der Europäischen Zentralbank auf Widerstand. Belgien fürchtet juristische Konsequenzen, weil die meisten eingefrorenen Vermögenswerte dort liegen. Die EZB befürchtet Turbulenzen für den Euro.
Ungarn setzt Haftbefehl für Putin aus
Während die EU ratlos wirkt, wie sie mit Trumps aktueller Ukraine-Politik umgehen soll, bringt der US-Präsident eine Teilung der östlichen Donbass-Region ins Spiel. Russland und die Ukraine sollten jeweils dort bleiben, wo sich ihre Truppen aktuell befänden, alles Weitere sei «sehr schwer auszuhandeln», sagte Trump vor Journalisten auf einem Flug mit seiner Regierungsmaschine Air Force One. Der Donbass solle entlang des Frontverlaufs aufgeteilt werden, argumentierte er.
Dieser Vorschlag könnte bei dem bald in Budapest geplanten Gipfel von Trump und Kremlchef Wladimir Putin besprochen werden. Es wäre das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass Putin ein EU- und Nato-Mitgliedsland besucht. Ungarn hat dem per Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag gesuchten Putin aber Schutz vor einer Festnahme zugesichert. Bulgarien kündigte an, Putin den Überflug im eigentlich für russische Maschinen gesperrten Luftraum zu gewähren.
Weil die Europäer zögern und zaudern, hat Wladimir Putin in Budapest nichts zu befürchten und nichts zu verlieren. Er kann weiter seine Maximalforderungen stellen, den Rest erledigt Donald Trump für ihn. Selenskyj ist aussen vor – und die Europäer werden nur noch über die Ergebnisse informiert.
Mit Agenturmaterial.
Trump und Selenskyj sprechen über Tomahawk-Raketen
STORY: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Freitag im Weissen Haus eingetroffen, um bei US-Präsident Donald Trump für die Lieferung von Tomahawk-Raketen zu werben. Hauptthema des Treffens soll die Frage sein, ob die USA der Ukraine diese Waffen mit grösserer Reichweite liefern. Sie würden den ukrainischen Streitkräften helfen, die Angriffe auf russische Energieinfrastruktur weit hinter der Grenze zu verstärken. Das Treffen mit Selenskyj ist als Mittagessen im kleinen Kreis in einem Sitzungssaal des Kabinetts geplant und nicht als öffentlicher Termin im Oval Office. Vor Beginn der Gespräche berichtete Selenskyj vor seinem Treffen mit US-Rüstungsfirmen. Dort sei unter anderem über Flugabwehr gesprochen worden. Die überraschende Ankündigung eines Treffens von Präsident Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest könnte die Chancen Selenskyjs auf die Tomahawk-Raketen jedoch schmälern. Trump und Putin hatten am Donnerstag länger telefoniert.