Lagebild UkraineWarum Kiew seine Taktik überdenken muss
Von Philipp Dahm
21.6.2023
Ukraine meldet Fortschritte im Süden und schwere Kämpfe im Osten
Die ukrainischen Truppen verzeichnen bei den Kämpfen in der südlichen Region Saporischschja nach Angaben des Militärs leichte Erfolge. Diese Bilder sollen in der Region entstanden sein und zeigen, wie russische Panzer zerstört werden. Der Ort der Aufnahmen konnte anhand von Satellitenaufnahmen verifiziert werden, nicht aber, wann die Bilder entstanden sind. Im Osten des Landes hält das Militär nach Angaben der Ukraine weiterhin den Vorstoss russischer Truppen zurück.
21.06.2023
Ein Blick auf die Karte zeigt: Die ukrainische Gegenoffensive kommt kaum voran. Gründe dafür gibt es viele – und nun geht gar der Gegner lokal in die Offensive. Die Militärführung muss ihre Pläne nochmal überdenken.
Von Philipp Dahm
21.06.2023, 19:55
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die ukrainische Gegenoffensive kann kaum Geländegewinne verzeichnen.
Die Gründe: starke Verteidigungsstellungen, Truppen-Verschiebungen und die russische Luftüberlegenheit.
Im nördlichen Frontabschnitt und bei Marjinka in Donezk sind die Ukrainer sogar in der Defensive.
Nur bei Bachmut und im Süden kann Kiew kleine Erfolge feiern.
Das ukrainische Militär muss seine Taktik überdenken: «Wir werden in den nächsten sieben Tagen keine Offensive sehen», prophezeit der Chef des estnischen Geheimdienstes, Marco Grosberg, am 16. Juni. Einen Tag später schreibt das «Wall Street Journal», Kiews Kräfte «haben ihre Vorstösse in den vergangenen Tagen grossteils pausiert».
Warum das so ist, zeigt ein Blick auf die aktuelle Karte von Deep State, die neu auch russische Befestigungen und Verteidigungslinien ausweist. Das macht deutlich: Wolodymyr Selenskyjs Soldaten kommen im Süden kaum voran. Und dabei haben sie die starken russischen Stellungen noch gar nicht erreicht.
Verschiedene Faktoren bremsen die ukrainischen Streitkräfte aus. In der obigen Karte fehlen zum Beispiel Minenfelder. Moskau hat die Front in Saporischchja und West-Donezk ausserdem mit Truppen aus Cherson verstärkt. Und Kiew leidet laut «Wall Street Journal» weiterhin unter der starken russischen Artillerie und der «russischen Lufthoheit».
Wie Russland jetzt seine Luftüberlegenheit ausspielt
Auch der britische Geheimdienst attestiert, dass der Kreml verstärkt auf Kampfhelikopter setzt. Das unten stehende Video zeigt beispielhaft, wie Russland seine Trümpfe ausspielt: Ein Ka-52 startet vom Flughafen Luhansk, der 100 Kilometer hinter der Front liegt. Die gegnerische Artillerie schiesst bisher nur 80 Kilometer weit.
Der Alligator fliegt zu seinem Einsatz nach Klischtschijiwka. Offenbar stehen ukrainische Truppen vor dem Dorf, das südlich von Bachmut liegt. Seine Raketen verschiesst der Helikopter, als er 6 bis 8 Kilometer vom Ziel entfernt ist: So bleibt er ausserhalb der Reichweite der schultergestützten Flugabwehr und kann relativ gefahrlos nach Luhansk zurückkehren.
Somebody told me that #Ukrainian MOD has claimed that this video shows an #Ukraine Air Force's MiG-29 shooting down a Shahed-136 Kamikaze drone of #Russian Air & Space Force. But this video in fact shows launch of two AGM-88B HARM anti-radiation missiles at a Russian radar! pic.twitter.com/MebcVvGcO3
— Babak Taghvaee - The Crisis Watch (@BabakTaghvaee1) June 21, 2023
Und die ukrainische Luftwaffe? Sie ist nicht am Boden zerstört, fliegt aber vor allem Einsätze gegen Drohnen oder gegen Radaranlagen, bei der die AGM-88 Harm aus grosser Entfernung abgeschossen wird. Gegen die russischen Kampfjets, die Gleitbomben abwerfen oder Luft-Luft-Rakete mit hoher Reichweite verschiessen, haben Kiews alte Flugzeuge keine Chance.
Ukraine received a total of 45 Soviet-era fighter jets from its Western partners.
Nicht nur die ukrainische Luftwaffe, sondern auch die Armee ist zum Teil in der Defensive. Im nördlichsten Abschnitt der Front sind russische Truppen bis an den Fluss Oskil vorgerückt und stehen nur noch 8 Kilometer vor der wichtigen Stadt Kupjansk. Von Kreminna aus stossen sie ausserdem nach Westen Richtung Lyman und nach Süden Richtung Bilohoriwka vor.
Moskaus Männer haben weiterhin eine Offensive bei Marjinka im Oblast Donezk gestartet. Die Stadt ist dem Erdboden gleichgemacht, doch russischen Truppen ist es angeblich gelungen, eine wichtige Höhe zu nehmen und ukrainische Verteidigungslinien zu durchbrechen.
Die Gegenseite hat dafür bei Bachmut Erfolge vorzuweisen: Die ukrainische Armee steht vor dem Dorf Berchiwka, das neben Yahidne im Norden von Bachmut liegt. Im Süden sind sie nur gut zwei Kilometer entfernt von Klischtschijiwka, doch dazwischen ist eine Anhöhe, die die Eroberung erschwert.
Kleine Erfolge in Saorischschja
Auch im Süden geht es für Kiew nur mühsam voran. Ein Lichtblick ist die Eroberung des Dorfes Pjatychatky. Ein Versuch der russischen Armee, einen Gegenangriff zu starten, schlägt fehl, weil die Gegenseite die Strasse im Blick hat, die von Scherebjanky nach Pjatychatky führt.
Doch auch Scherebjanky dürfte bald fallen: Selenskyjs Streitkräfte haben das Gebiet nach Westen erweitert und bedrohen nun auch die Verbindung zwischen Scherebjanky und Luhowe. Weil im Süden des Gebietes ein Minenfeld den Weg versperrt, ist eine Einkesselung möglich, glaubt Reporting from Ukraine.