Vergewaltigungen im Krieg «Warum tötet ihr mich nicht und setzt dem Schmerz ein Ende?»

aru

22.6.2022

Neben den sichtbaren Folgen des Krieges, bleiben auch seelische Spuren zurück. 
Neben den sichtbaren Folgen des Krieges, bleiben auch seelische Spuren zurück. 
Keystone/

Vergewaltigungen werden in der Ukraine gezielt als Waffe eingesetzt. Im Unterschied zu anderen Kriegsschauplätzen versuchen die russischen Soldaten aber nicht einmal, ihre Taten zu verbergen.

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Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen beschäftigt sich mit 124 Fällen von Vergewaltigungen in der Ukraine. In Tat und Wahrheit dürften es aber viel mehr sein, berichtet die «Rundschau» von SRF. Das Magazin sprach mit zwei Opfern, die die Grausamkeiten der Kriegsgewalt schildern. Die Sendung wird am Mittwochabend ausgestrahlt.

Victoria wird Anfang März – es ist ihr 42. Geburtstag – in ihrem Haus ausserhalb von Kiew abgeholt. Die Männer bringen sie zum Haus ihres Nachbarn, den sie vor ihren Augen erschiessen. Dessen Ehefrau und Victoria werden anschliessend in ein leerstehendes Haus gebracht und vergewaltigt.

Auch der 21-jährige Ilja aus dem Donbass ist mit seiner Mutter und Schwester auf der Flucht, als die Familie in eine Kontrolle gerät. Auf seinem Handy finden die Soldaten Fotos einer pro-ukrainischen Demonstration, woraufhin sie ihn mit Chloroform seiner Sinne berauben.

Als er wieder erwacht, liegt Ilja nackt auf einem Tisch und wird vergewaltigt. «Irgendwann dachte ich: Warum tötet ihr mich nicht und setzt dem Schmerz ein Ende?»

Angehörige werden gezwungen zuzuschauen

«Die meisten Vergewaltigungen, von denen wir wissen, entsprechen nicht jenen Übergriffen, die wir aus unzähligen Konfliktzonen in anderen Ländern kennen», sagt die ukrainische Historikerin Marta Havryshko zum Newsportal «Watson». Denn andernorts würden Soldaten den Missbrauch verheimlichen, weil sie eine Bestrafung fürchten. 

In der Ukraine hingegen komme es zu sogenannten öffentlichen Vergewaltigungen, bei denen Angehörige oder Nachbarn gezwungen werden, den Missbrauch mitanzusehen.

Damit würden die Soldaten nicht nur die Opfer, sondern alle Anwesenden traumatisieren, was tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlasse und als Mittel zur Vertreibung diene. Dokumente, nach denen solche Taten von der russischen Armeeführung angeordnet wurden, liegen laut Havryshko bislang nicht vor.

Erst Anfang Juni wurde die erste Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem Krieg angezeigt. Beim Prozessauftakt befand sich der mutmassliche Täter jedoch auf freiem Fuss. Ob er im Falle einer Verurteilung auch tatsächlich belangt werden wird, bleibt offen.