«Horrorshow für Amerika» Plötzlich wird es einsam um Trump

Von Can Merey und Christiane Jacke, dpa

8.1.2021

Nach dem Angriff seiner Anhänger aufs Kapitol steht Donald Trump zunehmend allein da. Selbst in den eigenen Reihen wollen einige den abgewählten US-Präsidenten am liebsten sofort loswerden.

Dass die Top-Frau der US-Demokraten, Nancy Pelosi, wenig vom abgewählten US-Präsidenten Donald Trump hält, ist kein Geheimnis. Unvergessen der Moment, als sie nach der letzten Ansprache des Republikaners zur Lage der Nation vor laufenden Kameras sein Redemanuskript zerriss.

Selbst vor diesem Hintergrund sind Pelosis jüngste Aussagen über Trump aber mehr als deutlich. «Dieser Mann ist tödlich für unsere Demokratie», sagte die Vorsitzende des Repräsentantenhauses am Donnerstag (Ortszeit), nachdem am Vortag ein von Trump angestachelter Mob das Kapitol gestürmt hatte. Pelosi hat sich nun an die Spitze derjenigen gesetzt, die Trumps sofortige Amtsenthebung fordern – obwohl seine Zeit im Weissen Haus in weniger als zwei Wochen ohnehin endet und ein erfolgreiches Impeachment-Verfahren als wenig aussichtsreich gilt.

«Es sind zwar nur noch 13 Tage, aber jeder Tag kann eine Horrorshow für Amerika sein», sagte Pelosi. «Dies ist ein Notfall höchsten Ausmasses.»

Gegenwehr in den eigenen Reihen

Auch innerhalb von Trumps Lager nimmt die Gegenwehr zu. So sprechen sich einzelne Republikaner bereits öffentlich dafür aus, Trump sofort aus dem Weissen Haus zu entfernen. Trump bemühte sich am Donnerstagabend darum, die Wogen zu glätten.

Mit einem Tag Verspätung verurteilte er in einem Video die «abscheuliche Attacke» auf den Kongress, und er rief zu «Heilung und Versöhnung» auf. Woher dieser Meinungsumschwung? Der Sender CNN zitierte einen ungenannten Berater des Weissen Hauses mit den Worten: «Ich denke, dass das Video nur gemacht wurde, weil fast alle seine leitenden Mitarbeiter im Begriff waren, zurückzutreten, und ein Amtsenthebungsverfahren droht.»

Um Donald Trump wird es einsam. Selbst enge Verbündete und loyale Claqueure wenden sich von ihm ab. Dass er seine letzten Tage als Präsident im Amt und Würden verbringt, steht auch noch nicht fest.
Um Donald Trump wird es einsam. Selbst enge Verbündete und loyale Claqueure wenden sich von ihm ab. Dass er seine letzten Tage als Präsident im Amt und Würden verbringt, steht auch noch nicht fest.
KEYSTONE/AP Photo/Andrew Harnik

Wie Trump seine Verbündeten verliert

Mit seinem Feldzug gegen den Wahlausgang hat Trump eine wachsende Zahl an Verbündeten verschreckt. Selbst ehemals engste Vertraute wandten sich von ihm ab: Justizminister William Barr, der führende Republikaner im Senat, Mitch McConnell, der einflussreiche Senator Lindsey Graham, sogar Pence, der seinem Chef zuvor überergeben war. Sie alle waren zuletzt nicht mehr bereit, Trumps zunehmend bizarre Versuche mitzutragen, den Wahlausgang zu kippen.

Nach den Krawallen am Kapitol hatten nun auch andere genug. Von den mehr als einem Dutzend republikanischen Senatoren, die die Zertifizierung der Wahlergebnisse im Kongress per Einspruch stören wollten, machte die Hälfte einen Rückzieher, nachdem Trump-Anhänger im Kongressgebäude gewütet hatten.

Als Reaktion auf die Ausschreitungen schmissen schliesslich mehrere Mitarbeiter der Trump-Regierung vorzeitig hin. Gleich zwei Kabinettsmitglieder kündigten am Donnerstag ihren Rücktritt an – Bildungsministerin Betsy DeVos und Verkehrsministerin Elaine Chao, McConnells Ehefrau. Beide begründeten den Schritt mit dem Aufruhr am Kapitol, für den DeVos Trumps Rhetorik mitverantwortlich machte.

Woher der plötzliche Sinneswandel?

Aber was bedeutet ein Rücktritt weniger als zwei Wochen, bevor die neue Regierung übernimmt? Was bedeutet ein Bruch mit Trump in den letzten paar Wochen seiner Amtszeit? In den vergangenen Jahren standen jene, die sich plötzlich vom abgewählten Präsidenten distanzieren, fest an seiner Seite. Sie schwiegen zu vorherigen Trumpschen Provokationen und Eskapaden, zu seinen Brüchen mit Konventionen und politischen Konstanten der USA.

Trumps Ex-Stabschef John Kelly etwa, der inzwischen nicht mit Kritik an seinem früheren Chef spart, sprach sich nach den Krawallen dafür aus, den Präsidenten sofort abzusetzen. Auf die Frage, warum er mit Blick auf seine Kritik an Trump nicht früher aus dessen Mannschaft ausgestiegen sei, sagte Kelly dem Sender CNN: «Es geht darum, so lange in dem Job zu bleiben, wie man es aushalten kann, um eine Katastrophe zu verhindern.»

Auch andere Ehemalige aus der Trump-Regierung haben schon versucht, ihre Arbeit im Nachhinein als Aufopferung für die Nation darzustellen. Ob sich das in der Geschichtsschreibung durchsetzen wird, ist fraglich.

Die Republikaner sind tief gespalten

Für die republikanische Partei stellt sich nun insgesamt die Frage, wie sie sich zu Trump positioniert. Intern tun sich hier tiefe Gräben auf zwischen denen, die die eigene Partei möglichst schnell in eine Post-Trump-Ära und zurück zu alten Werten führen wollen – und jenen, die mit Blick auf künftige Wahlen auf Trumps grosse Anhängerschaft im Land schielen.

Letztere halten es deshalb für politisch wenig opportun, mit ihm zu brechen. Denn so sehr sich Trump auch in Washington politisch isoliert hat – seine Basis steht weiter zu ihm. Die Fanatiker unter ihnen haben das am Mittwoch auf erschreckende Weise unter Beweis gestellt.

Doch nach ihrem Angriff auf das Kapitol hat das Entsetzen über Donald Trump eine ganz neue Dimension erreicht: Die Rücktrittsforderungen von Nancy Pelosi sind mehr wert als nur die Schlagzeilen, die der Demokratin dafür gewiss sind.

Trump sofort loszuwerden, ist unwahrscheinlich

Auch wenn das Vorhaben kaum Aussichten auf Erfolg hat: Dass eine Diskussion um die Notwendigkeit eines solchen Schritts auf den letzten Metern der Trump-Präsidentschaft überhaupt noch entbrannt ist, zeigt, wie angespannt die Lage ist. 

Grundlage für Pelosis Forderung nach Trumps sofortiger Entmachtung ist Zusatzartikel 25 der Verfassung, wonach der Präsident für unfähig erklärt werden kann, «die Rechte und Pflichten des Amtes auszuüben». Das müssten Vizepräsident Mike Pence und eine Mehrheit wichtiger Kabinettsmitglieder beschliessen und dem Kongress mitteilen.

Trump könnte widersprechen. Würde er dann von Pence und den Kabinettsmitgliedern überstimmt, wäre der Kongress am Zug. Beide Kammern müssten mit einer Zweidrittelmehrheit beschliessen, dass Trump des Amtes enthoben wird – was angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Senat und Repräsentantenhaus unrealistisch ist.

Pelosi könnte aber auf einen Kniff hoffen: Der Kongress hat 21 Tage Zeit für einen Beschluss – und in dieser Zeit wäre Pence amtierender Präsident. Pelosi könnte die Abstimmung also über den Termin der Vereidigung des neuen Präsidenten Joe Biden herauszögern und Trump die letzten Tage im Amt verwehren.

Der Knackpunkt: Pence und mehrere Minister müssten mitspielen. Die Nachrichtenseite Business Insider berichtete unter Berufung auf Pence-Berater, der Vizepräsident lehne das ab. Der Sender CNN meldete, Kabinettsmitglieder hätten einen solchen Schritt zwar informell diskutiert. Es sei aber «hochgradig unwahrscheinlich», dass Pence ihn unternehme.

Gibt es ein zweites Impeachment-Verfahren?

Sollte Pence nicht handeln, drohte Pelosi bereits damit, erneut ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump zu lancieren. Das dürfte aber vor allem ein symbolischer Schritt für die Geschichtsbücher sein: Trump wäre der erste Präsident der Geschichte, der sich gleich zwei solchen Verfahren hätte unterziehen müssen. Dass der Prozess vor Bidens Vereidigung am 20. Januar abgeschlossen würde, ist kaum absehbar.

Theoretisch könnte Trump in einem solchen Verfahren auch danach noch vom Senat verurteilt und für künftige Ämter gesperrt werden, womit ihm eine mögliche erneute Kandidatur 2024 verwehrt würde. Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Senat steht aber nicht in Aussicht.

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