«Sinnlose Attacke auf wertlose Stadt» Was will Putin nur in Bachmut?

Von Philipp Dahm

18.11.2022

So kämpfen ukrainische Soldaten an der Front bei Bachmut

So kämpfen ukrainische Soldaten an der Front bei Bachmut

Seit Monaten kämpfen ukrainische Soldaten bei Bachmut im Osten des Landes gegen das russische Militär. Zum Einsatz kommen Kanonen aus sowjetischer Produktion, die von einem zentraleuropäischen Staat geliefert wurden.

10.11.2022

Russland lässt einfach nicht locker: Welle um Welle von Soldaten werden gegen Bachmut geschickt, wo sich die ukrainischen Verteidiger seit vier Monaten verschanzt haben. Was findet Wladimir Putin bloss an der Stadt?

Von Philipp Dahm

18.11.2022

«Es macht keinen Sinn, sich vor Wagner zu verstecken», tönt es in dem russischen Propagandavideo, das Bilder aus Bachmut zeigt, die angeblich seit dem heutigen 17. November auf Social Media kursieren.

Zu sehen ist der Flammenwerfer TOS-1, der angeblich ukrainische Soldaten in ihren Schützengräben unter Feuer nimmt. Der Raketenwerfer ist eine fatale Waffe: Die thermobarische Munition setzt nicht nur das Ziel in Brand, sondern entzieht dem Gebiet dabei auch den Sauerstoff. Die Waffe zwingt die «Nationalisten», ihre Stellung zu räumen, heisst es im Video.

Doch tatsächlich ist das Gezeigte nicht mehr als heisse Luft. Russland hat zwar rund 30'000 Soldaten vor Bachmut zusammengezogen, und die Wagner Group steht dabei wirklich an vorderster Front. Nur die Erfolge stellen sich nicht so ein wie dargestellt: Obwohl der Kreml Welle um Welle gegen die Verteidiger schickt, kommt die Armee kaum voran.

Kein Wunder: Schon seit vier Monaten haben sich die ukrainischen Soldat*innen hier eingegraben. Ihre Zahl soll bei rund 20'000 liegen. Einen Vorteil haben die Verteidiger durch das Terrain: Sie sitzen hinter dem Fluss Bachmutka, ihre Artillerie ist im urbanen Gebiet versteckt und Gegenfeuer damit schwer zu delegieren.

Artillerie ohne Ende

Bachmut selbst zahlt für diese Situation einen hohen Preis. Die Stadt wirkt, «als habe das Leben aufgehört», berichtet ein Korrespondent von «Al Jazeera», der den Ort am 11. November besucht. Das Gros der einst knapp 80'000 Einwohner*innen ist geflohen. «Die Geräusche der Artillerie sind fast pausenlos zu hören, die uns hier daran erinnern, dass in den Vororten der Stadt heftige Kämpfe stattfinden», erklärt Amer Lafi. 

Pausenloses Artilleriefeuer: eine Panzerhaubitze am 9. November in Bachmut im Einsatz.
Pausenloses Artilleriefeuer: eine Panzerhaubitze am 9. November in Bachmut im Einsatz.
AP

Brücken, Zivilgebäude und Versorgungseinrichtungen wurden getroffen. Strom, Wasser und Gas fliessen schon lange nicht mehr. Die wenigen Bewohner*innen von Bachmut müssen von aussen versorgt werden: «Wir wurden hier geboren, und wir werden hier sterben», erklärt Andrej dem Al-Jazeera-Team. Nirgendwo in Donezk wird der Krieg derzeit heftiger geführt als hier, endet der Bericht.

Nur das Warum erschliesst sich nicht. Die Stadt liegt an einer Bahnlinie, doch die führt von Charkiw nach Horliwka, das südlich von Bachmut liegt – für die Russen ist diese Verbindung uninteressant. Auch die Fernstrasse M 03 hilft den Angreifern nicht weiter: Diese führt im Osten von Bachmut zwar nach Luhansk, doch auf der anderen Seite verbindet sie die Stadt ebenfalls mit Slowjansk, Isjum und Charkiw, die in ukrainischer Hand sind.

«Sinnlose Attacke auf eine wertlose Stadt»

«Russland verschwendet seine letzten potenten Truppen in einer sinnlosen Attacke auf eine wertlose Stadt», wundert sich «Forbes» Ende Oktober. Und auch die «New York Times» attestiert Anfang November, dass «die Stadt, die seit Monaten angegriffen wird, kaum strategischen Wert hat». Und selbst wenn Bachmut fallen würde, hätte das keinen grossen Einfluss auf den Kriegsverlauf, wird ein Experte zitiert.

Ein ukrainisches Mütterchen hat sich in Bachmut am 10. November frisches Wasser geholt.
Ein ukrainisches Mütterchen hat sich in Bachmut am 10. November frisches Wasser geholt.
AP

Doch Russland lässt dennoch nicht locker. «Der Feind hört nicht auf zu versuchen, die Verteidigung bei Bachmut zu durchbrechen», sagt Pavlo Kyrylenko, der ukrainische Gouverneur von Donezk. «Der Feind wirft signifikante Kräfte in diese Richtung und erleidet hohe Verluste, doch er hört nicht auf.»

Moskaus Armee verliere jeden Tag allein an diesem Frontabschnitt 70 bis 100 Männer, erklärt der ukrainische Armee-Sprecher Serhiy Cherevaty. In derselben Grössenordnung würden Gegner verletzt. Täglich würden dort Dutzende Angriffe abgewehrt, so der Ukrainer. Chuck Pfarrer, früher US-Soldat und heute Autor, illustriert, wie das am 13. November ausgesehen hat.

Kiews Luftwaffe fliegt 13 Einsätze an einem Tag

Weil an der Front vor der Stadt nichts geht, versuchen die Russen demnach im Norden und Süden vorzurücken, um Bachmut einzukesseln. Sie werden aber zurückgedrängt, wobei die ukrainische Artillerie von Drohnen beim Abwehrfeuer angeleitet werden. Die ukrainische Luftwaffe kann an jenem Tag 13 Einsätze in dem Gebiet fliegen und zerstört dabei demnach auch fünf feindliche Flugabwehr-Stellungen.

«Russlands lokale, stückweise Angriffe auf Bachmut haben zu hohen Verlusten und geringen Gewinnen geführt», so das Fazit. Die Artillerie beschiesse die Angreifer, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. «Es wird erwartet, dass es weiter russische Verluste geben wird», schliesst Pfarrer. Wladimir Putin schreckt das nicht ab. Am 13. November gelingt es seiner Armee unter Mühen, Mayorsk südlich von Bachmut einzunehmen.

Ey lässt sich bloss darüber spekulieren, warum der Kreml nicht von dieser Stadt ablässt. Vielleicht will Putin endlich mal wieder einen Erfolg präsentieren. Vielleicht besteht die Gruppe Wagner auf dem kostspieligen Vorgehen. Immerhin gilt deren Boss Jewgeni Prigoschin alias «Putins Koch» inzwischen als unantastbar. Doch die Frage bleibt: warum? Ob es eine Antwort darauf geben wird, ist momentan nicht abzusehen.