Spanier in Not Das Auto ist alles, was ihnen geblieben ist

Von Álvaro Barrientos, AP

28.3.2021 - 16:09

Der 65-jährige Javier Irure aus dem nordspanischen Pamplona lehnt sich an sein Auto, das seit drei Monaten sein Daheim ist.
Der 65-jährige Javier Irure aus dem nordspanischen Pamplona lehnt sich an sein Auto, das seit drei Monaten sein Daheim ist.
Bild: Keystone/AP Photo/Alvaro Barrientos

Job weg, Familie weg, Wohnung weg: Nicht wenige Spanier landen als Folge der Corona-Krise auf der Strasse. Zwei Betroffene berichten.

Von Álvaro Barrientos, AP

Hinter Javier Irure liegen 50 Jahre körperlicher Arbeit. Daher hätte der Spanier nie gedacht, dass er auf der Strasse landen könnte, als man ihn am Telefon über den Rauswurf aus seiner Wohnung informierte. «Ich habe mir ein paar Kleidungsstücke geschnappt, einige Bücher und andere Sachen, wickelte sie in ein Bettlaken und sagte mir: ‹Ich habe noch ein Dach über dem Kopf: mein Auto›», erzählt der ältere Herr aus Pamplona im Norden Spaniens in seinem klapprigen Renault Clio. Seit drei Monaten ist der Kompaktwagen nun schon sein Zuhause.

Irure gehört zu einer Schar wirtschaftlicher Opfer der Pandemie. Das Coronavirus hat sich der 65-Jährige zwar bisher nicht eingefangen. Doch die Jobflaute, die durch die coronabedingten Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und des gesellschaftlichen Lebens ausgelöst wurde, hat ihm die finanzielle Grundlage entzogen.

Mit 13 Jahren fing Irure an, als Hotelpage zu arbeiten. Als Spanien im vergangenen Jahr von der Pandemie getroffen wurde, verdingte er sich als Reinigungskraft. Seine Einkommensquellen versiegten. Und dann dauerte es nicht lange, bis die Zwangsräumung anstand. Irure musste seine Mietwohnung verlassen.

Kampf gegen die Bürokratie

Er bemühte sich erst um staatliche Sozialhilfe, verlässt sich aber inzwischen auf die örtliche Wohltätigkeitsgruppe Ayuda Mutua. «Du kommst dir wie ein Pendel vor», sagt Irure über seinen Kampf mit der offiziellen Bürokratie. Man wanke von einem Fenster zum nächsten, von nie entgegengenommenen Anrufen zu vagen Versprechungen.

Der obdachlose Irure erhält von einer lokalen Hilfsorganisation Unterstützung.
Der obdachlose Irure erhält von einer lokalen Hilfsorganisation Unterstützung.
Bild: Keystone/AP Photo/Alvaro Barrientos

Besonders hart hat die Pandemie die spanische Wirtschaft gebeutelt, weil sie so stark vom Tourismus und Dienstleistungssektor abhängig ist. Die linksgerichtete Regierung hat ein Zwangsurlaubsprogramm mit einer Weiterbezahlung von Arbeitnehmern aufgelegt, um die Wucht der Krise abzufedern. Doch mehr als eine Million Jobs wurde vernichtet.

Eng verbundene Familien können viele Menschen auffangen, die sonst völlig mittellos geworden wären. Doch hat der erzwungene Rückzug in die eigenen vier Wände auch zu Rissen in Spaniens Familiennetz geführt. Davon zeugt etwa der Anstieg der Scheidungsrate. Und der Zusammenbruch von Haushalten hat dazu geführt, dass mehr Menschen sich nun allein durchschlagen müssen.

Der 60-jährige Juan Jiménez lebt wegen der Corona-Krise schon seit rund einem Jahr in seinem Auto.
Der 60-jährige Juan Jiménez lebt wegen der Corona-Krise schon seit rund einem Jahr in seinem Auto.
Bild: Keystone/AP Photo/Alvaro Barrientos

Zu Monatsbeginn teilte die katholische Hilfsgruppe Cáritas Española mit, dass rund eine halbe Million mehr Menschen – 26 Prozent all ihrer Unterstützungsempfänger – sich seit Pandemie-Beginn an sie gewandt habe. 13 Hilfszentren für Obdachlose hat die Cáritas eröffnet, seit die Corona-Krise ihren Anfang nahm.

«Wir existieren nicht»

Wie Javier Irure sah auch Juan Jiménez keine andere Wahl, als in seinem Auto zu leben. Seit fast einem Jahr schläft er nun schon in seinem gebrauchten Ford. Jiménez bekam seine Hypothekenzahlungen nicht in den Griff. Seine Ehe zerbrach, als er und seine Frau sich ein grösseres Haus kauften. Die staatliche Finanzhilfe von 620 Euro, die er in den vergangenen Monaten bekommen habe, gehe an seine sieben Kinder, sagt der 60-Jährige. «Ich träume davon, all meine Kinder unter einem Dach zu haben, aber es ist besser, dass ich hier bin. Sie haben ihr Leben, und ich würde nur ein Problem sein.»

Er und Irure fahren mit ihren Autos am Stadtrand von Pamplona, wo sie einmal ihr festes Zuhause hatten, jetzt von einem Parkplatz zum nächsten. Denn sie wollen ja nicht auffallen. «Wenn ich morgens aufwache, frage ich mich: «Was mache ich hier?», sagt Jiménez in seinem Auto, das er mit Kleidung, Decken und Taschen mit all seinen Habseligkeiten vollgepackt hat. «Wir sind unsichtbare Wesen. Niemand will uns ansehen. Niemand will irgendetwas über uns wissen», klagt er. «Wir existieren nicht.»