Einer gegen alle Widerstand ist zwecklos – Wildwest in Trumps Washington

Von Philipp Dahm

14.2.2020

Landminen-Konsens gekündigt, Mörder begnadigt, Alliierte erpresst: Spätestens seit Donald Trumps Impeachment-Freispruch wirken die Entscheidungen des Weissen Hauses radikaler denn je.

William Barr hat sich im Kabinett von Donald Trump bisher nicht gerade als Rebell hervorgetan. Bereits im April letzten Jahres sorgte der Justizminister für Schlagzeilen, als er den Bericht von Sonderermittler Robert Mueller zensurierte, bevor er veröffentlicht wurde.

Völlig losgelöst: Donald Trump am 6. Februar in Washington.
Völlig losgelöst: Donald Trump am 6. Februar in Washington.
Bild: Keystone

Einige Woche später wurde bekannt, dass er im Untersuchungsbericht sieben Zeilen komplett gestrichen hat. Und aktuell sorgt Barr für Kritik, weil er sich für den Trump-Vertrauten Roger Stone einsetzt, seit der US-Präsident twitterte, die angedrohten sieben bis neun Jahre Haft für jenen seien zu viel.

Die Quittung: Die beteiligten Staatsanwälte haben ob der Einmischung des Justizministeriums geschlossen ihren Hut genommen. Chefankläger Aaron Zelinsky geht von Washington zurück nach Maryland, und auch seine drei Assistenten Jonathn Kravis, Adam Jed und Michael Marando werfen das Handtuch, wie der US-Sender CNBC meldet.

Meinung, Macht und fehlende Grenzen

Dass der 69-Jährige abstreitet, die Forderung seiner Behörde nach einem milderen Urteil habe etwas mit Trumps Beziehung zu Stone zu tun, überrascht angesichts Barrs bisheriger Nibelungentreue zum Präsidenten. Wenn aber ausgerechnet jener «Bill» Barr vor die Presse tritt und sich öffentlich wünscht, das Weisse Haus möge doch etwas weniger twittern, um seine die Arbeit nicht weiter zu erschweren, soll das schon etwas heissen.

Wie Trump darauf reagiert? Seine Regierungssprecherin Stephanie Grisham erklärt, der 73-Jährige störe sich so gar nicht an Barrs Äusserungen. Der Präsident habe volles Vertrauen in die Arbeit des Justizministers, der wie jeder andere amerikanische Bürger auch das Recht habe, seine Meinung öffentlich kundzutun.

Ob es dabei bleibt, ist alles andere als sicher: Seit Trump das Impeachment-Verfahren am 5. Februar hinter sich gebracht hat, scheint sich der Republikaner in keinster Weise mehr zügeln zu wollen.

Trumps Vendetta

Das bekommen Teilnehmer des Prozesses zu spüren: Trump feuerte nur zwei Tage nach seinem Freispruch nicht nur Whistleblower Alexander Vindman, sondern auch gleich noch dessen Zwillingsbruder, der als Anwalt für den nationalen Sicherheitsrat gearbeitet hat.

Auch Gordon Sondland muss sich einen neuen Job suchen, nachdem ihn das Weisse Haus als EU-Botschafter abberufen hat: Der Unternehmer hatte das Amt ergattert, nachdem er eine Million Dollar für Trumps Amtseinweihung gespendet hatte. Während Sondland sich via Twitter artig für die «Gelegenheit zu dienen« bedankte, werden die Vindmans kein gutes Haar am Weissen Haus lassen.

Der dekorierte Kriegsheld Alexander wurde von Sicherheitsleuten aus dem Weissen Haus geführt. Sein Bruder Jevgeni wurde «plötzlich und ohne jede Begründung» entlassen – «obwohl er mehr als zwei Jahrzehnte seinem Land loyal gedient hat», so der Vindman-Anwalt.

Landminen-Konsens gekündigt

Trump versucht noch nicht einmal, diese Personalentscheidungen, die eine reine Vendetta sind, zu kaschieren. Im Gegenteil: Der New Yorker will ein Zeichen setzen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich – und wer nicht spurt, fliegt raus. Es ist augenscheinlich, dass sich der Präsident an nichts mehr gebunden fühlt – spätestens seit ihn der Senat trotz eindeutiger Beweise freigesprochen hat.

Beispiel gefällig? Washington hat gerade den US-Beitrag für die Weltgesundheitsbehörde WHO halbiert, obwohl die Angst vor dem Coronavirus gerade die Welt in Angst und Bange versetzt. Oder das Thema Landminen: 164 Staaten haben die Konvention zum Verbot von Anti-Personen-Sprengsätzen unterschrieben, doch Donald Trump zieht die USA nun aus dem Vertragswerk heraus, das Barack Obama erst 2014 zeichnete.

Kritik etwa von der EU prallt an ihm ab – wie er auch die eindeutigen Belege für einen Klimawandel ignoriert: Neun Aktivisten-Gruppen kürten ihn in Sachen Umweltschutz jüngst sogar zum «schlimmsten Präsidenten der Geschichte».

Gnadenlose US-Grenze

Mitunter wirken die Entscheidungen des Weissen Hauses nur noch kaltherzig. Etwa wenn es um die Behandlung von Migranten-Kindern geht, die an den US-Grenzen von ihren Eltern getrennt werden: Einer Studie zufolge, die auf UNHCR-Daten von 2015 basieren, halten die USA pro Jahr 100'000 Kinder fest.

Diese Zahl dürfte durch Trumps harte Einwanderungspolitik eher noch gestiegen sein. «Das ist mehr als in jedem anderen Land, von dem wir verlässliche Daten haben», sagten die Autoren im November bei der Vorstellung ihrer Studie.

Ein Bild konnte sich die Welt von dieser Politik im Juni machen, als das Foto eines im Grenzfluss Rio Grande ertrunkenen Vaters die Runde machte, der seine Tochter im Arm hält. Im April 2019 wurde das Weltpresse-Foto 2018 gekürt, das ein weinendes Mädchen am Grenzposten zeigt.



Mörder begnadigt

Befremden löst auch die Begnadigung von drei Soldaten im November aus, denen Kriegsverbrechen nachgewiesen werden konnten. Trump hat nach deren Verurteilung den Entscheid der Militärtribunale revidiert, obwohl das Pentagon Eingriffen in sein Justizsystem kritisch gegenübersteht, berichtet »The Hill».

Trump brüstete sich auf einer Wahlkampfveranstaltung in Florida sogar noch damit: «So viele Leute kamen zu mir und sagten: ‹Sir, ich denke nicht, dass sie das tun sollten.› Aber die Leute sollten in der Lage sein zu kämpfen. Das sind grossartige Kämpfer. Sie sollen nicht denken, dass sie 25 Jahre ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie einen Fehler begehen.»

Der Fehler, den die Männer machten: Mathew Golsteyn hat 2010 einen Mann in Afghanistan ermordet, und Clint Lorance wies seine Männer an, auf drei unbewaffnete Afghanen auf einem Töff zu schiessen.

Washingtons Polter-Diplomatie

Besonders haarsträubend ist jedoch die Begnadigung von Eddie Gallagher: Der Navy Seal sollte eigentlich ins Gefängnis, weil er mit der Leiche eines Teenagers aus den Reihen des sogenannten Islamischen Staates posierte, den er zuvor mit seinem Jagdmesser getötet hatte. Seine Kameraden beschreiben ihn als «toxisch»: «Der Typ ist verdammt böse», fasst einer im «Guardian» zusammen.

Trump beim Wahlkampf am 30. Januar in Des Moines, Iowa.
Trump beim Wahlkampf am 30. Januar in Des Moines, Iowa.
Bikd: Keystone

Auch international setzt Trump vor allem auf Polter-Diplomatie: Während der britische Botschafter in Washington im Sommer 2019 seinen Hut nehmen muss, weil er Trump als «unberechenbar, wenig diplomatisch und unbeholfen» charakterisiert hat.

Anders kann man jedoch kaum beschreiben, wenn man an Washingtons internationale Erpressungsversuche denkt: So präsentierte Trump im März 2019 den «Cost plus 50»-Plan, laut dem die USA sich von ihren Alliierten die Kosten für bei ihnen stationierte US-Soldaten bezahlen lassen sollten – plus 50 Prozent Sicherheitszuschlag. Für Staaten wie Japan, Korea oder Deutschland hätte das spürbare finanzielle Auswirkungen gehabt.

High Noon im November

Zuletzt drohte der oberste US-Kriegsherr angeblich Grossbritannien, Frankreich und Deutschland mit Zöllen, falls sie nicht auf den Anti-Iran-Kurs einschwenkten. Das Problem ist, dass dieses Verhalten Schule macht: Bereits im Juni warnten die UN, dass Washington für eine zunehmende globale Schwächung der Menschenrechte verantwortlich sei.

Road to Impeachment

Doch die Weltgemeinschaft kann den Mann nicht stoppen – und nach dem Impeachment-Verfahren hofft auch niemand mehr auf die Selbstheilungskräfte der amerikanischen Gesellschaft. Der US-Präsident ist nun wieder so beliebt wie zu bei seiner Amtsübernahme und scheint fester im Sattel zu sitzen denn je.

Wer die Wildwest-Methoden des US-Cowboys leid ist, sollte die Flinte trotzdem nicht ins Korn werfen: Es sind eben jene ausweglos scheinenden Situationen, in denen manchmal ganz unverhofft ein Widersacher daherkommt, mit dem niemand gerechnet hat und der die Einladung zum Duell annimmt.

High Noon ist im November 2020: Wenn Trump dann nicht fällt, wird er auch in Zukunft unaufhaltbar sein.

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