Party-Skandal als StolpersteinSo könnte seine eigene Partei Boris Johnson loswerden
dpa
20.1.2022 - 19:57
Premierminister Boris Johnson hat trotz stärker werdenden Drucks nicht vor zurückzutreten. Die Regierungspartei könnte ihrerseits ein Verfahren einleiten, um ihn des Amtes zu entheben.
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20.01.2022, 19:57
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Seit bekannt geworden ist, dass der britische Premierminister Boris Johnson und seine Mitarbeiter während der Corona-Pandemie Feiern veranstaltet haben, die die von Johnson selbst installierten Lockdown-Regeln mutmasslich verletzten, ist dieser in Verruf geraten.
Nachdem er sich am Mittwoch mit einem kämpferischen Auftritt im Parlament ein wenig Luft verschafft hatte, kamen am Donnerstag Vorwürfe über angebliche Erpressungstaktiken gegen aufsässige Tory-Abgeordnete auf. Neue Enthüllungen wecken zudem weiter Zweifel an Johnsons Aufrichtigkeit.
Einige konservative Abgeordnete denken offen darüber nach, wie sie ihren Vorsitzenden absägen könnten. Wenn Johnson den Aufrufen zum Rücktritt nicht nachkommt – und er besteht darauf, nicht zurückzutreten –, könnte er durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden.
54 Abgeordnete braucht es für ein Misstrauensvotum
Ein Misstrauensvotum gegen den Parteivorsitzenden wird ausgelöst, wenn 15 Prozent der konservativen Abgeordneten – das entspricht derzeit 54 – einen Brief an Graham Brady schreiben, den Vorsitzenden einer mächtigen Gruppe konservativer Abgeordneter, die als Ausschuss 1922 bekannt ist. Der Ausschuss heisst so, weil er von Abgeordneten gegründet wurde, die in jenem Jahr zum ersten Mal gewählt wurden.
Die Briefe können persönlich, per Post oder per E-Mail zugestellt werden, und niemand ausser Brady weiss, wie viele Briefe er bereits erhalten hat.
Johnson braucht 180 Stimmen
Sobald es 54 Briefe sind, wird er ein Misstrauensvotum einberufen, das innerhalb weniger Stunden oder Tage stattfinden soll und bei dem alle 359 Abgeordneten der Konservativen Partei geheim abstimmen können.
Johnson würde 180 Stimmen benötigen, um zu gewinnen. Wenn er so viele Stimmen erhält, könnte es ein Jahr lang keine weitere Amtsanfechtung geben. Verliert Johnson, müsste er zurücktreten und es käme zu einer Neuwahl der Parteiführung, bei der er nicht mehr kandidieren dürfte. Er bliebe Parteivorsitzender und Premierminister, bis die Nachfolge gewählt ist.
Wettbewerb um den Parteivorsitz
Der Wettbewerb um die Führung der Konservativen besteht aus zwei Phasen. In der ersten Phase stimmen die konservativen Abgeordneten zunächst über alle Kandidaten ab. Der- oder diejenige mit den wenigsten Stimmen scheidet aus, und die Abstimmung wird fortgesetzt, bis zwei Kandidaten übrig sind. Gibt es nur noch zwei Kandidaten, geht es in die zweite Phase. In dieser Phase dürfen sämtliche Parteimitglieder im Land über die beiden abstimmen.
Bei der letzten Wahl zum Parteivorsitz im Jahr 2019 wurde das Feld von zehn Kandidaten auf Johnson und den ehemaligen Gesundheitsminister Jeremy Hunt reduziert. Johnson gewann deutlich mit rund zwei Dritteln der von den Parteimitgliedern per Briefwahl abgegebenen Stimmen.
Wer die Abstimmung gewinnt, bekleidet den Vorsitz der Konservativen Partei und das Premierministeramt, ohne dass eine nationale Wahl erforderlich ist.
Weitere mögliche Kandidaten sind der stellvertretende Premierminister Dominic Raab, der beim letzten Mal gegen Johnson kandidierte, Kabinettsminister Michael Gove, eines der mächtigsten Mitglieder von Johnsons Regierung, Gesundheitsminister Sajid Javid, der für die Bekämpfung des Coronavirus zuständig ist, und Jeremy Hunt, der nach eigenen Angaben die Hoffnung, eines Tages Premierminister zu werden, noch nicht aufgegeben hat.