«Ranked Choice Voting» erklärtWie New York mit einem Trick extreme Politiker verhindern will – ein Vorbild für die Schweiz?
Petar Marjanović
16.6.2025
In der Stadt Zürich beteiligte sich im Februar 2022 rund die Hälfte aller Stimmberechtigten am Urnengang – in den verschieden Quartieren und Altersgruppen gab es allerdings grosse Unterschiede. (Symbolbild)
Bild:sda
In New York wählen die Demokraten mit einem neuen System. Dabei gewinnt nicht der oder die Erste, sondern die Person, die am meisten Rückhalt hat.
In New York steht eine spannende Vorwahl der Demokraten bevor. Die Partei wählt ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten für die nächste grosse Wahl.
Ganz vorne im Rennen: Andrew Cuomo, der frühere Gouverneur mit viel politischer Erfahrung, und Zohran Mamdani, ein aufstrebender Linker aus Queens. Noch liegt Cuomo in den meisten Umfragen knapp vorn. Doch das kann täuschen – denn in New York wird nach einem speziellen System gewählt, das Favoriten schnell ins Straucheln bringen kann.
Statt nur ein Kreuz zu machen, stellen die Wähler*innen eine Rangliste ihrer Favoriten auf. Wer ist mein erster Wunsch? Wer wäre zur Not auch noch okay? Dieses Verfahren nennt sich Präferenzwahl oder auf Englisch Ranked Choice Voting.
Es funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Zuerst werden die Erststimmen gezählt: Bei wie vielen Wählenden steht die Person an erster Stelle? Hat niemand mehr als die Hälfte, fliegt der Name auf dem letzten Platz raus. Deren Stimmen werden dann zur nächstgenannten Person auf dem Stimmzettel weitergegeben. Das geht so lange weiter, bis jemand die absolute Mehrheit erreicht.
Runde
Cuomo
Mamdani
Garcia
Keller
Bemerkung
1
32
28
18
22
Niemand hat >50 %
2
34 (+2)
35 (+7)
19 (+1)
12
Keller fällt raus
3
36 (+2)
43 (+8)
21 (+2)
—
Noch niemand hat >50 %
4
39 (+3)
61 (+18)
—
—
Mamdani gewinnt Runde 4 ✅
* Dieses Beispiel ist fiktiv und dient der Veranschaulichung.
Zum Scrollen wischen →
Runde 1
Cuomo: 32
Mamdani: 28
Garcia: 18
Keller: 22
Niemand hat über 50 %
Runde 2
Cuomo: 34 (+2)
Mamdani: 35 (+7)
Garcia: 19 (+1)
Keller: 12
Keller fällt raus
Runde 3
Cuomo: 36 (+2)
Mamdani: 43 (+8)
Garcia: 21 (+2)
Keller: —
Noch niemand hat über 50 %
Runde 4
Cuomo: 39 (+3)
Mamdani: 61 (+18)
Garcia: —
Mamdani gewinnt Runde 4 ✅
* Dieses Beispiel ist fiktiv und dient der Veranschaulichung.
Wer oft auf Platz 2 steht, kann gewinnen
Das bedeutet: Nicht nur die erste Wahl zählt. Auch wer oft auf Platz zwei oder drei steht, kann am Ende gewinnen. Genau das könnte Zohran Mamdani in die Karten spielen.
Viele sehen ihn als gute Alternative – auch wenn sie jemand anderen auf Platz eins setzen. Cuomo hingegen ist zwar bekannt, aber auch umstritten. Viele würden ihn lieber ganz von der Liste streichen.
Wenn weniger bekannte Kandidierende im Laufe der Auszählung ausscheiden, profitieren davon jene, die bei vielen zumindest als «noch vertretbar» gelten. Mamdani könnte so über mehrere Runden hinweg Stimmen sammeln – und am Schluss ganz vorne landen, obwohl er anfangs hinten lag.
Volk muss nicht taktisch wählen
Das System hat einen klaren Vorteil: Es zwingt niemanden zum taktischem Wählen. Wer Mamdani am liebsten möchte, kann ihn an erste Stelle setzen, ohne befürchten zu müssen, die eigene Stimme zu «verschenken». Sollte er ausscheiden, zählt die Stimme einfach für die nächste Person auf der Liste.
So gewinnen am Ende nicht die Lautesten, sondern die, die auf breite Zustimmung stossen. Ein weiterer Vorteil: Kandidat*innen werden durch das Wahlsystem dazu motiviert, auch ihre Konkurrenz zu empfehlen.
Auch in der Schweiz wird darüber nachgedacht, ob die Präferenzwahl eine bessere Lösung wäre – vor allem bei Majorzwahlen wie den Ständeratswahlen. Dort sind heute oft zwei Wahlgänge nötig.
Wer in der ersten Runde scheitert, hat Pech – selbst wenn er oder sie inhaltlich vielen passt. Das führt dazu, dass viele Wähler*innen strategisch wählen müssen.
Polparteien haben kleinere Chancen
Wer ehrlich abstimmt, läuft Gefahr, die Stimme zu «verschenken». Ranked Choice Voting könnte dieses Dilemma lösen – und dabei sogar einen zweiten Wahlgang überflüssig machen, heisst es beim «Demokratielabor».
Erste Tests gab es bereits, etwa bei den Ständeratswahlen 2023 oder den Regierungsratswahlen in Basel-Stadt 2024. Resultate einer Umfrage zeigen: Das neue System könnte andere Sieger*innen hervorbringen. Bei den Ständeratswahlen zeigte sich zum Beispiel, dass die bisherige Amtsinhaberin der SP, Eva Herzog, das absolute Mehr verpasst hätte.
Vergleich der realen Wahl (Majorz mit vier Kandidierenden; linke Seite) mit Majorzwahl mit zehn Kandidierenden (rechte Seite)
Demokratielabor
Fast die Hälfte der sonst wahlmüden Bevölkerung würde mitmachen, wenn sie mehrere Kandidierende nach Reihenfolge angeben dürfte. Auch viele Stammwähler*innen wünschen sich das neue Verfahren. Es würde ihre politischen Präferenzen besser abbilden – ganz ohne taktisches Rechnen.
Zohran Mamdani rechnet mit Andrew Cuomo ab – «Ich bin nicht Sie, Herr Cuomo»
Im TV-Duell zur Bürgermeisterwahl in New York attackiert Zohran Mamdani seinen Rivalen Andrew Cuomo frontal. Der Sozialist spricht über Skandale, Verantwortung – und fordert Respekt für seinen Namen.