Late Night USA «Wie toxisch muss man sein?» – Matt Gaetz, das Gesetz und die Frauen 

Von Philipp Dahm

13.4.2021

 Matt Gaetz am 2. April 2021 im Kapitol: Die Luft wird dünner.
 Matt Gaetz am 2. April 2021 im Kapitol: Die Luft wird dünner.
Bild: Keystone

Er hat sich als glühender Trump-Unterstützer nach oben gekämpft, doch nun droht Matt Gaetz der jähe Absturz. Es geht um Minderjährigen-Sex, eine Polit-Karriere und die Deutungshoheit in einer Medien-Demokratie.

Von Philipp Dahm

13.4.2021

Die «New York Times» (NYT) lässt ihre Bombe am 30. März platzen: Das US-Justizministerium prüfe Vorwürfe gegen Matt Gaetz. Demnach soll der 38-Jährige Sex mit einer 17-Jährigen gehabt haben.

Ausgerechnet Gaetz, der sich in der republikanischen Partei als glühender Verehrer von Donald Trump positioniert hat, als «junger Wilder» gilt und der die Zukunft der Grand Old Party prägen könnte.

Gaetz geht umgehend in die mediale Gegenoffensive. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung ist er beim konservativen Haus- und Hofsender «Fox» zu sehen – und darf Moderator Tucker Carlson seine Sicht der Dinge schildern.

Gaetz zum Moderator: «Sie werden sich an Sie erinnern»

Gaetz muss in dem sich anbahnenden Skandal das Narrativ übernehmen. Er will Tucker Carlson auf seine Seite ziehen. «Ich bin nicht die einzige Person gerade auf dem Bildschirm, die fälschlich einer schrecklichen Sex-Tat beschuldigt wurde», sagt Gaetz, weil einst auch dem Moderato Ähnliches von einer verwirrten Frau vorgeworfen wurde.

Matt Gaetz (rechts) im Gespräch mit «Fox»-Moderator Tucker Carlson: «Ich habe eine Freundin mitgebracht. Sie werden sich an Sie erinnern.»
Matt Gaetz (rechts) im Gespräch mit «Fox»-Moderator Tucker Carlson: «Ich habe eine Freundin mitgebracht. Sie werden sich an Sie erinnern.»
Screenshot: YouTube

Ja, das sei schrecklich, meint Carlson artig – aber die Kumpelei des Politikers geht ihm gleich darauf dann doch zu weit. Was sind denn nun eigentlich die Anschuldigungen, will der «Fox»-Mann wissen. «Ich weiss nur das, was ich in der NYT gelesen habe», antwortet Gaetz.

Und dann kommt er ins Plaudern: «Was ich sagen kann: Sie und ich sind ja tatsächlich vor rund zwei Jahren essen gegangen. Ihre Frau war da, und ich habe eine Freundin mitgebracht. Sie werden sich an Sie erinnern.» Carlson sieht angefasst aus. «Ich erinnere mich überhaupt nicht an die Freundin, von der Sie sprechen.» 

«Eines der merkwürdigsten Interviews»

Autsch, denkt sich auch Jimmy Kimmel in seiner Late-Night-Show. «Er ist wie der frühere Mitbewohner, dem man seine neue Frau vorstellt und der sagt: ‹Hey, weisst du noch das eine Mal, als wir den Dreier mit der Ziege hatten?›» Und damit nicht genug: Tucker Carlson wird am Ende des Gesprächs sagen, es sei «eines der merkwürdigsten Interviews«, das er je geführt habe.

Eine politisch motivierte Untersuchung gegen Matt Gaetz? Dumm nur, dass Trumps Justizminister sie angestossen hat.
Eine politisch motivierte Untersuchung gegen Matt Gaetz? Dumm nur, dass Trumps Justizminister sie angestossen hat.
Archivbild: Keystone

Und was ist nun mit jener 17-Jährigen, der der 38-Jährige zu nahe gekommen sein soll? Gaetz erzählt Carlson, er sei eigentlich das Opfer. Jemand habe seinen wohlhabenden Vater kontaktiert und 25 Millionen Dollar gefordert – oder der Ruf seines Sohnes werde mit einer falschen Story über eine 17-Jährige zerstört. Das Justizministerium habe es auf ihn abgesehen.

Dumm nur, dass die Untersuchung bereits unter William Barr eingeleitet wurde, der unter Trump Justizminister war – und Treffen mit Gaetz am Ende seiner Amtszeit tunlichst vermieden hat. Auch die mediale Blendgranate mit der versuchten Erpressung zündet nicht: Von nun an wird es für den Republikaner nur noch schlimmer werden.

Die Frauen-Jäger

Denn sein Verhalten fällt nun auf einen Mann zurück, der kurz nach der Erstürmung des Kapitols getönt hat, die Angreifer seien verkleidete «Antifa-Terroristen» gewesen und all jene scharf angegriffen hat, die auch nur leise Kritik am Kurs von Donald Trump geübt haben. Andere Politiker berichten, Gaetz habe ihnen im Senat Nacktfotos junger Frauen gezeigt. «Es war für ihn eine Sache von Stolz», so ein Anonymus zu «CNN».

Im Laufe der Woche werden weitere Unappetitlichen bekannt – vor allem im Zusammenhang mit einem engen Freund von Gaetz. Joel Greenberg ist offenbar zuerst ins Visier der Behörden geraten. Der 33-Jährige und Gaetz haben offenbar dieselben Interessen, zu denen Party und Frauen zählen. Wie das tönt, zeigt eine Abgeordnete aus Florida, die eine schmierige Sprachnachricht der beiden veröffentlicht.

Der Ausschnitt enthüllt zwar nichts Illegales, doch das Märchen vom unschuldigen Männlein nimmt den Machos bald keiner mehr ab. Gegen Greenberg wird schliesslich in 33 Punkten Anklage erhoben – darunter «Sex trafficking of a minor», also sexuelle Handlungen mit einer Minderjährigen.

Ein Langhaar-Anwalt wie aus «Big Lebowski» 

Die Ermittlungen gegen Greenberg spülen weitere Anschuldigungen gegen Gaetz an die Oberfläche: Von Sex auf Ecstasy-Drogen ist die Rede, von kaschierten Zahlungen an willige Frauen und mutwilligen Verschleierungen von Reisen über die Grenzen von Bundesstaaten hinweg. Greenberg knickt ob der Anklage ein – und willigt ein, mit den Behörden zusammenzuarbeiten.

In diesem Moment gibt Greenbergs Anwalt ein denkwürdiges Interview. «Muss sich Matt Gaetz wegen irgendetwas Sorgen machen?», fragt der Reporter – im Video zu sehen ab Minute 6:44.«Muss sich Matt Gaetz...», wiederholt der Anwalt langsam und lacht. «Das ist so eine gute... Muss sich Matt Gaetz wegen irgendetwas Sorgen machen? Uuuund Sie bitten mich, in Matt Gaetz' Kopf hineinzuschauen, richtig?»

Ein Reporter sagt ungeduldig: «Aus Ihrer Perspektive.» «Aus meiner Perspektive?», wiederholt der leicht schnarchig wirkende Advokat und lacht. Er habe gehofft, durch viel Gerede solche Fragen vermeiden zu können. Dann kommt es endlich zur Sache: «Ich bin mir sicher, Matt Gaetz fühlt sich heute nicht besonders wohl.»

Gaetz hat noch nicht mal angefangen

Das Damokles-Schwert hängt nun über Gaetz – und seine Verteidigung wird immer schwerer. Ein Bericht der «Washington Post», nachdem der Republikaner eine Blanko-Begnadigung von Donald Trump erbeten hat, bevor der das Weisse Haus räumt, wird vom Ex-Präsidenten dementiert. Trump leistet sogar Schützenhilfe.

Late Night USA – Amerika verstehen
blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Er organisiert in seinem Mar-a-Lago-Club in Florida eine Veranstaltung für Matt Gaetz, die offiziell von den «Women for America First» ausgerichtet wird. Doch der Auftritt gleicht einer Farce: «Ich kann euch versichern: Ich habe noch nicht mal angefangen zu kämpfen. Für das Land, das ich liebe und für die Nation, von der ich weiss, dass sie vom America-First-Prinzip profitiert.»

Das hört man nicht gerne von einem, der seit zehn Jahren in der Politik ist, lästert Stephen Colbert in seiner «Late Show». Gaetz streitet nach wie vor alle Anschuldigungen ab – und sieht die Sonnenseite der Affäre. «Die letzte Woche war voller Ermutigungen durch Präsident Trump, Marjorie Taylor Greene und Jim Jordan und der Make-America-Great-Again-Nation, die mir so viel Liebe gesendet haben.»

Kim Jong-un und Taliban? Ja. Gaetz? Ui, nei!

Jim Jordan, der frühere Football-Coach, der in einen Missbrauchsskandal verwickelt war, QAnon-Anhängerin Taylor-Greene und Trump, der das Recht bekanntlich für flexibel hält – so beweist man seine Unschuld eigentlich nicht. Und Gaetz verschweigt, dass Marjorie Taylor-Greene alle Selfies mit ihm von ihrem Twitter-Account gelöscht hat.

Er sagt nicht, dass sein Team ein Treffen mit Trump im Mar-a Lago arrangieren wollte, das der Ex-Präsident angeblich ausgeschlagen haben soll. «Wie toxisch muss man sein, dass Trump einen nicht trifft?», fragt Jimmy Kimmel in seiner gestrigen Show. «Er ist buchstäblich der Brieffreund von Kim Jong-un, er hat einst die Taliban zu einem Glamour-Camping-Wochenende nach Camp David eingeladen – und nun darf Matt Gaetz ihn nicht treffen?»

Doch wenn man Gaetz Glauben schenkt, ist auch die Geschichte vom verhinderten Trump-Treffen «total» erlogen. Er habe Trump nur deswegen nicht gesehen, weil er in den lange geplanten Ferien mit seiner Verlobten sei. Sie heisst Ginger Lucky, obwohl sie brünett ist und mit Matt Gaetz zusammen ist, lästert »Late Night with Seth Meyers». Und Kimmel grätscht nach: «Na, das wird ein lustiger Urlaub.»

Wahrheit hin, Lüge her – eines steht fest: Die Luft für den Politiker Matt Gaetz wird immer dünner.