Faktencheck Wie viele Arbeiter starben auf den WM-Baustellen in Katar?

tgab

17.11.2022

Fussball-WM in Katar – das sind die Stadien

Fussball-WM in Katar – das sind die Stadien

Fussball-WM in Katar – das sind die Stadien

16.11.2022

Beim Bau von Stadien und Hotels für die Fussball-WM gab es offiziell drei Todesfälle. In Medien ist von bis zu 15'000 Opfern die Rede. Welchen Zahlen kannst du trauen?

tgab

Wenn am Sonntag in Katar die Fussball-WM startet, ist das auch ein Verdienst von Tausenden Gastarbeitern, die in sengender Hitze auf den Baustellen geschuftet und sieben gigantische neue Spielstätten, einen Flughafen sowie Dutzende glänzende Fassaden in Rekordzeit hochgezogen haben. Wie viele von ihnen dabei ums Leben kamen, ist umstritten.

Die offizielle Zahl von drei Personen, die FIFA-Präsident Gianni Infantino nennt, stammt vom katarischen WM-Organisationskomitee und bezieht sich auf Männer, die bei Arbeitsunfällen auf offiziellen Stadion-Baustellen gestorben sind: 2018 stürzte ein Gerüstbauer im Al-Wakrah-Stadion in die Tiefe, im selben Stadion wurde 2016 ein Arbeiter von einem Tankfahrzeug überrollt. 2017 fiel ein Gastarbeiter im Khalifa International Stadion aus grosser Höhe in den Tod. Vorfälle, die keine direkten Arbeitsunfälle waren, und Todesfälle auf Baustellen, die die übrige Infrastruktur der WM betreffen, wurden nicht berücksichtigt.

Das Khalifa International Stadium in Doha. Im Jahr 2005 renoviert, ist es Teil der Fussball-WM 2022.
Das Khalifa International Stadium in Doha. Im Jahr 2005 renoviert, ist es Teil der Fussball-WM 2022.
Getty Images

Natürliche Todesursache Hitzeschlag

Todesfälle durch Herz-/Kreislauf-Stillstand, etwa aufgrund von Erschöpfung, oder nach einem Hitzschlag werden in Katar meist nicht weiter untersucht, sondern als «natürliche Todesursachen» behandelt, wie Recherchen von Amnesty International ergeben haben. Solche «Non-Work-Related-Deaths» listen die katarischen WM-Organisatoren mit 37.

Seit der «Guardian» in einem Artikel vom Februar 2021 die Zahl von 6751 toten Gastarbeitern veröffentlichte, tobt die Diskussion um die Todesfälle. Das WM-Organisationskomitee nennt die Zahl undifferenziert. Tatsächlich hat der «Guardian» in den Herkunftsländern Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka ganz allgemein Todesopfer in Katar abgefragt, für die Zeit zwischen der WM-Vergabe 2010 und Ende 2020. Die Zahl umfasst also nicht nur Todesopfer auf WM-Baustellen: Weder die Jobs noch die Arbeitgeber wurden ermittelt. Überdies fehlen Angaben aus den Philippinen und Kenia, aus denen ebenfalls viele Arbeitsmigranten in Katar stammen.

Die Zahl von 15'021 Toten ist nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International vom August 2021 bekannt geworden. Sie stammt aus den offiziellen Statistiken der katarischen Behörden und bezieht sich auf Tote nicht-katarischer Staatsangehörigkeit seit WM-Vergabe 2010 bis zum Jahr 2020, darunter nicht nur gering qualifizierte Baustellenarbeiter, sondern auch Ärzte, Ingenieure oder Geschäftsleute. Wie viele der Opfer im Zusammenhang mit WM-Projekten stehen, ist aus den Statistiken nicht abzulesen. Es gibt auch keine Angaben zu Alter, Geschlecht und Beruf.

Zahlreiche Todesfälle bleiben unklar

Diese Intransparenz im Umgang mit Todeszahlen steht denn auch vonseiten der Menschrechtsorganisationen in der Kritik. Keine dieser Zahlen sei verlässlich, sagt Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International dem ZDF. Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, spricht von gut 70 Prozent der Todesfälle, bei denen die Ursache nicht genannt oder mit «natürliche Todesursache» oder «Herzstillstand» sehr vage gehalten werde.

Für Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist das verdächtig, «denn wir sprechen hier in den meisten Fällen von gesunden und jungen Männern in ihren 20ern oder 30ern», wie er dem «Tagesspiegel» sagte.

Nachdem Katar die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Opferfamilien abgelehnt hat, sieht Michalski die FIFA in der Pflicht. Katar als Ausrichter der Fussball-WM und der Fussball-Weltverband seien «beide Auftraggeber dieser Baustellen und stehen deswegen nach internationalen Richtlinien in der Verpflichtung, die Familien der Arbeiter finanziell zumindest etwas zu entschädigen», so Michalski, der davon ausgeht, dass beim Bau der für die WM notwendigen Infrastruktur «Tausende gestorben sind».