Lagebild Ukraine Wo Putin nach dem Fall von Bachmut zuschlagen will

Von Philipp Dahm

5.5.2023

USA sagen der Ukraine weitere Waffen und Munition zu

USA sagen der Ukraine weitere Waffen und Munition zu

Die USA haben der Ukraine neue Waffen- und Munitionslieferungen im Wert von 300 Millionen Dollar (273 Millionen Euro) zugesagt. Das Paket umfasst unter anderem Munition für Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars, Haubitzen, Artilleriemunition und Wa

04.05.2023

Bachmut steht vor dem Fall – und die nächste Festung, die Russland den Weg nach Westen erschwert, ist Siwersk. Von dort aus könnte aber auch Kiew zuschlagen, wenn die lang erwartete Offensive endlich beginnt.

Von Philipp Dahm

5.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Jewgeni Prigoschin droht mit dem Anzug seiner Söldner-Truppen aus Bachmut am 10. Mai. Der Wagner-Boss hat den Beginn der ukrainischen Offensive für den 9. Mai prophezeit.
  • Prigoschins Aussagen zeugen von einem inner-russischen Konflikt.
  • Neben Soledar und Bachmut ist Siwersk die dritte wichtige Festung im Donbass, die Moskau als Nächstes in Visier nehmen dürfte.
  • Die Ukrainer haben hier jedoch starke Stellungen, von denen auch Gegenangriffe im Donbass möglich sind.
  • Im Süden liefern sich die Kriegsparteien Artillerie-Duelle. Zudem führt Kiew bewaffnete Aufklärung in dem Gebiet durch.

Jewgeni Prigoschin platzt mal wieder der Kragen. In einem Video, das der Wagner-Boss am 4. Mai auf Telegram veröffentlicht, steht er vor Dutzenden von Soldaten-Leichen, die angeblich in der Ukraine gestorben sind.

«Uns fehlen 70 Prozent der benötigten Munition», sagt der 61-Jährige, während seine Taschenlampe auf die Gefallenen zündet. Es sollen die Verluste eines einzigen Tages sein. «[Sergei] Schoigu, [Waleri] Gerassimow, wo ist die Munition?», fragt er mit Blick auf den Verteidigungsminister und den Chef der Streitkräfte.

Jewgeni Prigoschin zeigt Leichen und schimpft auf die Bürokraten in Moskau.
Jewgeni Prigoschin zeigt Leichen und schimpft auf die Bürokraten in Moskau.
AP

«Das Blut ist noch frisch»: Prigoschin deutet auf die Leichen hinter sich. «Sie kamen als Freiwillige und sie sterben, damit ihr wie fette Katzen in euren Luxusbüros sitzen könnt.» Damit nicht genug: «Das sind die Scheiss-Väter und Scheiss-Söhne von jemandem. Und ihr F******, ihr Schl*****, eure Innereien werden in der Hölle schmoren.»

Prigoschin droht mit Abzug zur Unzeit

Tatsächlich scheint es so, als würde der Kreml Wagner austrocknen lassen – und stattdessen auf andere Privatanbieter militärischer Fertigkeiten setzen. Im Gegensatz zu Wagner darf Patriot in russischen Gefängnissen neue Söldner anheuern: Chef dieser Gruppe ist niemand anderes als Minister Schoigu. Auch Gazprom unterhält eine Privatarmee.

In einem neuen Video sagt Prigoschin, Wagner werde am 10. Mai aus Bachmut abrücken. Zwar ist das Gros der Stadt inzwischen erobert, doch der Söldner-Sultan rechnet nach eigener Aussage mit einer ukrainischen Grossoffensive ab dem 9. Mai. Ob Prigoschin seine Ankündigung wahrmachen wird, bleibt abzuwarten.

Apropos: Am 9. Mai ist erstmals seit Tagen wieder Regen in Bachmut angesagt, nachdem das Schlachtfeld derzeit trocknet. Mensch und Material sind auf ukrainischer Seite bereit loszuschlagen, sobald der Boden mechanisierte Vorstösse zulässt.

Neue ukrainische Verbände «verdammt stark»

Was Kiew nun militärisch aufbietet, beeindruckt: «Die 82. Luftsturm-Brigade ist verdammt stark – und könnte die kommende Offensive anführen», staunt «Forbes»: Die 2000 Mann starke Elite-Truppe ist im Februar aufgestellt worden.

Sie setzt aber nicht wie der Name nahelegt auf Flugzeuge oder Helikopter, sondern auf die 14 Challenger 2, die aus Grossbritannien kommen, sämtliche 40 Schützenpanzer Marder aus Deutschland sowie 90 amerikanische Radschützenpanzer vom Typ Stryker.

Die deutschen Leopard 2A6 sollen angeblich bei der 1. Panzerbrigade eingesetzt werden. Wo diese Verbände zuschlagen werden, ist nach wie vor ein grosses Geheimnis. Auch wenn mit einem Angriff im Süden gerechnet wird, dürfte es dennoch Vorstösse an anderen Frontabschnitten geben, um das Kernziel der Offensive zu kaschieren.

Wird Siwersk das neue Bachmut?

Nach einer vollständigen Eroberung Bachmuts bietet es sich für Russland an, den fehlenden Eckpunkt der Defensivlinie anzugreifen, die von Bachhmut und Soledar bis Siwersk geht. Siwersk liegt 36 Kilometer nordwestlich von Bachmut.

Nach Soledar und dem potenziellen Fall von Bachmut ist Siwersk die letzte ukrainische Stadt auf der bisher so widerstandsfähigen Verteidigungslinie Kiews im Donbass.
Nach Soledar und dem potenziellen Fall von Bachmut ist Siwersk die letzte ukrainische Stadt auf der bisher so widerstandsfähigen Verteidigungslinie Kiews im Donbass.
YouTube/Reporting from Ukraine

Doch genau in diesem Gebiet könnte auch Kiew in die Offensive gehen, erklärt Reporting from Ukraine: Die ukrainische Armee hat um die Stadt herum starke Verteidigungsstellungen bezogen, von denen sich auch Angriffe auf die Flanken der russischen Invasoren realisieren liessen.

Spannend bleibt auch die Lage im Süden: Russische Quellen berichten, ukrainische Kräfte würden bewaffnete Aufklärung an der Front nahe Orichiw betreiben. Ein Video zeigt weiter, wie eine russische Panzerhaubitze vom Typ 2S1 Gwosdika zerstört wird.

Artillerie-Angriffe an der Frontlinie im Süden

Es ist deshalb bemerkenswert, weil das Ganze angeblich auf der Kinburn-Nehrung passiert – also auf der Halbinsel, die vor dem Ausfluss des Dnepr ins Schwarze Meer liegt. Es ist nicht nur russische Artillerie, die von dort aus Städte wie Mikolajew oder Cherson bedroht. Beryslaw am rechten, westlichen Dnjepr-Ufer wird auch aus der Luft angegriffen.

Dabei setzt der Kreml auf den Einsatz der ungelenkten Gleitbombe FAB-500. Der Vorteil: Russische Jets können sie in respektvoller Entfernung vom Ziel abwerfen, ohne Gefahr zu laufen, abgeschossen zu werden. Der Schaden, den die Geschosse in der einstigen Zollstation anrichten, ist beängstigend.

Die ukrainische Artillerie nimmt derweil weiterhin russische Lager weit hinter der Frontlinie ins Visier: Tokmak, das rund 30 Kilometer hinter der Kontaktlinie liegt, ist erneut zum Ziel geworden. Auch die ukrainischen Dohnenangriffe auf Öl-Tanks auf der Kim können im Zusammenhang mit einer kommenden Offensive gesehen werden.

Warum die F-16 so wichtig wäre

Russische Angriffe mit Gleitbomben erhöhen das Bedürfnis nach westlichen Kampfjets. Während Mitte April der amerikanische Vize-Verteidigungsminister Colin Kahl noch sagte, es brauche 1,5 Jahre, bis F-16-Jets geliefert werden könnten, gibt es laut ukrainischem Aussenminister Dmytro Kuleba «Signale» aus der Nato, dass das Training mit der F-16 beginnen könne.

Der ukrainische Pilot Karaya ist 29 und hat bereits über 77 Kampfeinsätze hinter sich. Das Radar der Mig-29 ist nicht gut genug, beklagt der Held der Ukraine im Interview mit dem US-Sender Scripps News. «Wir brauchen Sichtkontakt.» Wenn er mit seinem Flugzeug Drohnen jagt, kann das zum Problem werden, wenn ihn Trümmerteile treffen.

Karaya ist auch über Bachmut unterwegs – aber nur in einer Höhe von gut 20 Metern. «Wir arbeiten in der Zone, die ihre Luftabwehr abdeckt.» Weil der russische Gegner ihn aber aus viel grösserer Entfernung erfassen und bekämpfen kann, habe die ukrainische Luftwaffe kaum eine Chance, solange ihnen keine westlichen Jets zur Verfügung stehen.

Waffen-Update

Abhilfe will Amsterdam schaffen: Die Niederlande führen Gespräche, die die Abgabe von F-16-Jets möglich machen sollen, so Premier Mark Rutte beim Besuch Wolodymyr Selenskyjs in Den Haag am 4. Mai. «Wir arbeiten eng mit unseren Partnern in Belgien, Grossbritannien, Dänemark und anderen Ländern zusammen, um diese Debatte irgendwie zu einem Ergebnis zu bringen.»

Der Ukraine ist es am Morgen des 4. Mai angeblich gelungen, eine russische Ch-47M2 Kinschal abzuschiessen. Es wäre das erste Mal, dass die Hyperschall-Rakete, die aus der Luft abgeschossen worden ist, abgefangen werden konnte.