Giftgasangriff Zeugen aus Duma: Erst Chlor, dann Chaos und Tod

Sarah el Deeb, AP

19.4.2018

Was am 7. April tatsächlich in der syrischen Stadt Duma passierte, ist bis heute unklar. Auch die Menschen, die vor Ort waren, haben unterschiedliche Versionen von dem mutmasslichen Giftgasangriff.

Als die Bomben auf Duma fielen, hatten sich viele Bewohner der syrischen Stadt in unterirdischen Schutzräumen zusammengekauert. Plötzlich roch es nach Gas. Panik machte sich breit. «Chlor, Chlor», schrien einige. Manche rannten hinaus in die Nacht und verloren auf der Strasse das Bewusstsein, wie Überlebende berichten. Andere kletterten auf die Dächer - in der Hoffnung, sie wären sicherer über den Gasschwaden. Viele schafften es nicht die Treppen hinauf und wurden später tot gefunden.

Vieles rund um den mutmasslichen Giftgasangriff auf die syrische Stadt Duma vom 7. April liegt weiter im Dunklen, darunter auch die genaue Zahl der Toten. Denn bis heute hat es keine unabhängige Untersuchung gegeben.

Am Dienstag sollten internationale Chemiewaffenexperten Duma betreten - zehn Tage nach dem Angriff. Doch das Vorab-Team der UN, das prüfen sollte, ob es dort sicher für die Delegation ist, geriet unter Beschuss. Auch ein Sprengsatz explodierte. Wann die Untersuchung beginnen kann, war fraglich. Die USA werfen Syrien und seinem Verbündeten Russland vor, auf Zeit zu spielen, um Beweise zu beseitigen, dass dort tatsächlich Giftgas zum Einsatz gekommen sei.

Die Nachrichtenagentur AP sprach mit Rettungskräften, Ärzten und zahlreichen Bewohnern von Duma. Einige sind dort geblieben, andere leben inzwischen in anderen Städten - und jeder hat seine eigene Version von jenem verhängnisvollen Abend. Zweifelsfrei überprüfen konnte die AP die Richtigkeit all ihrer Angaben nicht. Aber ein AP-Team besuchte Duma am Montag und es lag immer noch ein eigenartiger Geruch in der Luft.

Ein merkwürdiger Geruch

Den ganzen Tag habe es Bombenangriffe gegeben, berichtet der 20 Jahre alte Sanitäter Ahmed. Am Abend hätten dann zahlreiche Raketen eingeschlagen, mehrere Dutzend innerhalb von etwa zehn Minuten. Nachdem der Beschuss nachgelassen habe, seien er und sein Team ausgerückt, um nach Verletzten zu suchen. In der Nähe eines Einschlagsortes hätten sie einen starken Geruch wahrgenommen. Dann sahen sie Menschen, die wegliefen und dabei schrien: «Chlor, Chlor!»

Ahmed rannte in das Gebäude, versuchte zum Schutzraum vorzudringen. Aber er kam nicht weit. Zwei Leichen - ein Mann und eine Frau - lagen im Weg. Seine Augen schwollen zu, er bekam Atemprobleme. Überall habe es stark nach Chlor gerochen, sagt er.

Er eilte zu einem nahegelegenen Lazarett. Dort hätten sich bereits Hunderte Menschen gedrängt. Viele litten unter Atemnot, einige hatten das Bewusstsein verloren. Nachdem er sein Gesicht gewaschen habe, sei es ihm langsam besser gegangen, sagt Ahmed. Zusammen mit anderen Helfern ging er zurück zum Ort des Angriffs. Doch es habe dort noch immer so stark nach Gas gerochen, dass sie das Gebäude nicht betreten konnten.

Kurz nach dem Angriff wurde Ahmed zusammen mit Tausenden anderen aus Duma gebracht, die Stadt ergab sich den Regierungstruppen. Er glaubt, dass die syrische Regierung hinter dem Angriff steckt. «Es war wie ein Erdbeben», sagt er.

«Es ist Chlor! Es ist Chlor!»

Die Männer und Frauen in dem Schutzraum bereiteten sich auf das Abendgebet vor, als sich ein penetranter Geruch ausbreitete. «Es ist Chlor! Es ist Chlor», schrien einige.

Chaled Nuseir war zusammen mit 51 anderen Menschen in den beiden Räumen, als die Dämpfe aufzogen. Er rannte zum nahegelegenen Krankenhaus, rief nach Sanitätern und verlor dann das Bewusstsein.

Einige Zeit später kam der 25 Jahre alte Gemüsehändler wieder zu sich, als ihm Menschen das Gesicht mit Wasser und Essig wuschen. Er rannte zurück zum Schutzraum. Dort fand er die Leichen seiner Frau und seiner beiden kleinen Töchter. Sie hätten weissen Schaum vor dem Mund gehabt, sagt Nuseir.

Seine Frau Fatmeh Karut sei im neuen Monat schwanger gewesen. Die beiden Töchter Kamar und Nur seien 18 Monate und zweieinhalb Jahre alt gewesen, sagt er. Nur fünf Menschen aus dem Schutzraum hätten überlebt.

Am nächsten Morgen seien Sanitäter gekommen, hätten die Leichen aus dem Raum geborgen und sie in einem Massengrab in der Nähe des Zoos beigesetzt.

Nuseir zufolge wurde ein undichter Gaszylinder gefunden. Er habe nicht so ausgesehen, als sei er abgeworfen worden, denn er sah noch unversehrt aus. «Es gab keine Geräusche von einer Explosion», sagt er. Aus seiner Sicht sind für das Gas die islamistischen Rebellen verantwortlich, die die Stadt zum Zeitpunkt des Angriffs noch kontrollierten. Zwei andere Bewohner von Duma pflichten ihm bei. Regierungssoldaten stehen in der Nähe, allerdings ausser Hörweite. «Wenn wir hier stehen und etwas von einem Flugzeug herunterfällt - explodiert es dann nicht? Der Zylinder war unversehrt, als wir ihn fanden - und es strömte etwas aus ihm aus.»

«Sie haben alle ihr Leben verloren»

Abdullah Abu Humam versuchte noch am Abend, den Ort des Angriffs zu erreichen. Aber die Bombenangriffe waren zu heftig. Erst am folgenden Morgen gelangte er dorthin. Selbst zwölf Stunden später sei der Gasgeruch noch so stark gewesen, dass er die unterirdischen Schutzräume nicht betreten konnte.

In oberen Stockwerken fand er jedoch mehrere Leichen. Augenscheinlich hatten sie versucht, nach oben zu kommen, als das Gas sich ausbreitete. «Sie wussten, dass sie gerettet werden könnten, wenn sie nach oben klettern», sagt er. «Wir fanden sie auf der Türschwelle dort. Sie stürzten auf die Treppen. Frauen, Kinder, sogar einige Männer.

Abu Humam filmte in einem Appartement, wo mindestens ein Dutzend Leichen lag, darunter sieben kleine Kinder. Niemand war verwundet, eine Frau schien Schaum vor dem Mund zu haben. «Einige waren im Bad und versuchten, sich abzuwaschen. Aber nichts hat sie gerettet. Sie haben alle ihr Leben verloren.»

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite