Zurück aus den USA Zurück aus den USA: Migranten aus El Salvador droht zu Hause der Tod

Andrew Selsky, AP

4.7.2018

Ein Mitglied der berühmt-berüchtigten Gang Barrio 18.
Ein Mitglied der berühmt-berüchtigten Gang Barrio 18.
dpa

Für Flüchtlinge aus El Salvador ist der Weg über die US-Grenze oft die letzte Chance. Denn zu Hause herrschen die Gangs und töten alle, die ihnen in die Quere kommen. Inzwischen gibt es mehr Bandenmitglieder in El Salvador als Polizisten und Soldaten.

Erst fuhr sie rund 2000 Kilometer mit dem Bus, watete dann durch den Rio Grande und erreichte schliesslich das ausgedörrte Texas, wo die Grenzpatrouille sie binnen einer Stunde schnappte. Warum das alles? Die Antwort der Frau ist einfach: Zwei ihrer Kinder seien schon von Verbrecherbanden zu Hause in El Salvador umgebracht worden, sie selbst und ihr Mann seien geflohen, bevor sie das gleiche Schicksal ereilen würde. Ihr Ziel: Houston, wo das einzige überlebende Kind wohne.

Die Zahl der von den US-Grenztruppen aufgegriffenen Migranten hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark gewandelt. Waren im Jahr 2000 noch 98 Prozent der rund 1.6 Millionen gefassten Einwanderer aus Mexiko, zählten die Behörden 2017 nur noch rund 128'000 Mexikaner und fast 163'000 Menschen aus El Salvador, Guatemala und Honduras. «Das sind Menschen, die in der überwiegenden Mehrheit vor Gewalt fliehen», sagt die US-Migrationsforscherin Kathy Bougher. «Und sie brauchen Sicherheit.»

Die Frau aus El Salvador, die ihren Namen nicht nennen möchte, ist inzwischen in ihre Heimat zurückgebracht worden, an Händen und Füssen gefesselt und ohne ihren Mann. Ihre Heimat - das ist eines der gefährlichsten Länder der Welt. «Ich habe Angst», sagt sie, als sie zusammen mit anderen zurückgeschickten Migranten in orangefarbenen Plastikstühlen auf die Tüten mit ihren Habseligkeiten wartet. Ihr langes Haar hat sie zu einem Knoten hochgebunden, das weisse Shirt ist am Bauch schmutzig von den Fesseln, die sie auf dem Rückflug getragen hat. Die Frau sagt, sie habe keine andere Wahl als nach Hause zurückzukehren, wo eine kaltblütige Gang alles Leben kontrolliert: die junge Mädchen tötet, wenn sie sich weigern, als Sexsklavinnen zu arbeiten, die jene umbringt, die sie verdächtigt, eine rivalisierende Bande zu unterstützen, die ihre Opfer in Massengräbern verschwinden lässt.

Staat ist für bis zu 15 Prozent der Gewalt verantwortlich

An einem Tag im vergangenen November verlässt die 19-jährige Tochter der Frau das Haus. Sie treffe eine Freundin, sagt sie: «Mama, ich bin doch bald wieder da. Ich gehe nicht weit», habe sie gesagt. Aber sie kehrte nicht zurück. Die Frau sagt, sie sei zur Polizei gegangen, aber die habe den Fall nie verfolgt. Vier Monate später habe ihr 15-jähriger Sohn gesagt, er gehe zum Supermarkt. Auch er kehrte nicht zurück. So entschied sich die Mutter, zusammen mit ihrem Mann wegzugehen, bevor auch sie noch verschwinden würden.

In der salvadorianischen Hauptstadt San Salvador ist die Bedrohung durch die Gangs nicht unmittelbar zu spüren. Der chaotische Verkehr zieht vorbei an Hotels, amerikanischen Fastfood-Restaurants, Bürogebäuden aus Beton und grünen Kreiseln. Doch die schmalen Strassen, die von den Hauptstrassen abgehen, führen in die ärmeren Viertel. An deren Einfahrten lungern Jugendliche, die mit ihren Handys die Bandenbosse warnen sollen, falls die Polizei oder Fremde auftauchen. «Posteros» werden die Jugendlichen genannt - nach den Zementpfosten, wie sie überall in San Salvador stehen.

Vor 15 Jahren begann die Regierung von El Salvador, härter gegen die Kriminalität vorzugehen, Tausende Mitglieder kamen ins Gefängnis. Doch die Banden breiteten sich dennoch weiter aus, Verbrechen wurden sogar per Handy hinter Gittern begangen. Der salvadorianische Verteidigungsminister sagte im Jahr 2015, es gebe rund 60'000 Bandenmitglieder im Land - gegenüber 50'000 Polizisten und Soldaten.

Doch die offiziellen Sicherheitskräfte tragen zu der Gewalt bei, die die Menschen in Richtung Norden an die US-Grenze treibt. Polizisten und Soldaten, die offen oder versteckt mit geheimen «Vernichtungsgruppen» vorgehen, sind für geschätzt 10 bis 15 Prozent der Bedrohungen und Gewalt verantwortlich. Das berichten regierungsunabhängige Organisationen. Schon allein der Verdacht, zu einer Gang zu gehören, reicht demnach, um Ärger zu bekommen.

«Man kann sich nirgendwo verstecken»

La Chacra, das Viertel in dem hinter hohen Mauern die Einwanderungsbehörde residiert, wird von der Gang Mara Salvatrucha kontrolliert. MS-13, wie sie auch genannt wird, und die rivalisierende Barrio 18 haben die Arbeiterviertel wie ein Schachbrettmuster unter sich aufgeteilt. Wer in diesen Gegenden ein Geschäft besitzt, muss an die Banden zahlen - wer sich weigert, wird umgebracht. Uber-Fahrer José Antonio Avalos hütet sich davor, in eines dieser Viertel zu fahren. «Jeden Morgen hole ich vor La Chacra ein Mädchen ab», sagt er. «Rein kann ich nicht, weil sie mich dann nach meinem Ausweis fragen. Wenn sie an deiner Adresse sehen, dass du aus dem Stadtteil einer rivalisierenden Gang kommst, halten sie dich für einen Spion und könnten dich umbringen.»

Wer von einer Gang bedroht wird, hat nicht viele Möglichkeiten. In eine andere Stadt zu ziehen, hilft meist nur kurzfristig in El Salvador, das etwa so gross ist wie das Bundesland Hessen. Irgendwann werden Bandenmitglieder einen Menschen fragen, woher er komme. Es könnte dann sein, dass dort genau diese Gang herrscht. Oder eben die rivalisierende Bande. «Dies ist ein kleines Land, man kann sich nirgendwo verstecken», sagt US-Forscherin Bougher.

Die Frau, die in Fesseln aus den USA zurückgekehrt ist, weiss noch nicht, ob sie es noch mal versuchen würde. Zunächst müsse sie herausfinden, wann ihr Mann wiederkommen werde. Er werde immer noch in Texas festgehalten. Die Frau borgt sich ein Handy, um eine Freundin anzurufen, die sie in ihr kleines Backsteinhaus fahren soll, das noch voller Erinnerungen an ihre vermissten Kinder steckt. Wer dort auf sie warten werde? «Niemand.»

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