«Die Erde bewegte sich wie wahnsinnig» Schweizer Heimleiter bangte um Demenzpatienten in Thailand

Jenny Keller

28.3.2025

Bewohner*innen und Betreuer*innen von Baan Kamlangchay.
Bewohner*innen und Betreuer*innen von Baan Kamlangchay.
alzheimerthailand.com

Nach dem Erdbeben in Südostasien berichtet der Leiter eines Alzheimer-Pflegezentrums für Schweizer Gäste von dramatischen Momenten – und davon, wie sein Team mit verängstigten Bewohner*innen umgegangen ist.

Jenny Keller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das Beben war auch in der Nähe von Chiang Mai heftig: Ein Schweizer Alzheimer-Pflegezentrum wurde stark durchgeschüttelt, blieb aber zum Glück weitgehend unbeschadet.
  • Menschen mit Alzheimer oder Demenz konnten das Ereignis schwer einordnen – die Nachwirkungen beschäftigen das Team weiter.
  • Das von Martin Woodtli gegründete Zentrum bietet Langzeitpflege für Schweizer*innen mit Alzheimer und Demenz in Thailand.

«Danke, mir geht es gut, ich bin wohlauf,» berichtet Martin Woodtli im Gespräch mit blue News. Als das Erdbeben den Norden Thailands erreichte, sass er in einem Restaurant. «Alles vibrierte. Ich dachte im ersten Moment, etwas mit meinem Kreislauf sei nicht in Ordnung», erzählt er.

Doch schnell wurde klar, dass es sich um ein Erdbeben handelte. Die Menschen rannten panisch auf die Strasse, das Restaurant leerte sich innert Sekunden. «Das war ein unheimlicher Moment. Man verliert komplett die Orientierung.»

Besonders eindrücklich war für ihn, wie subjektiv lang sich das Zittern anfühlte: «Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Obwohl es vielleicht nur zehn oder fünfzehn Sekunden waren, dehnte sich die Zeit.» Es sei ein Gefühl der Ohnmacht gewesen, sagt er. «Du kannst nicht fliehen. Ein Moment völliger Haltlosigkeit. Als ob der Boden unter den Füssen wegbricht. Die Erde bewegt sich wie wahnsinnig – und du kannst nichts tun.»

Keine Schäden, aber psychischer Druck

Martin Woodtli leitet seit 20 Jahren das Pflegezentrum Baan Kamlangchay in Faham Village, wenige Kilometer nördlich von Chiang Mai. Heute werden im Zentrum rund ein Dutzend Schweizer Alzheimer- und Demenzpatient*innen betreut, die rund um die Uhr von einem Team aus je drei Betreuer*innen umsorgt werden.

Im Alzheimerzentrum selbst blieben die Schäden überschaubar. «Unsere Häuser sind stabil geblieben, aber das Wasser im Pool schwappte heftig über, es sah im ersten Moment aus wie nach einer Überschwemmung. Aber viel wichtiger: Alle unsere Bewohner*innen blieben körperlich unversehrt.»

Psychisch war das Beben für viele dennoch eine grosse Belastung. Zwei Gäste seien stark verängstigt gewesen, berichtet Woodtli. Für Menschen mit Demenz sei eine solche Ausnahmesituation besonders verstörend: «Sie spüren, dass etwas nicht stimmt, können es aber nicht einordnen. Das führt zu einer tiefen Verunsicherung.»

Spitalbetten ins Freie verlegt

Einige Betroffene seien zudem nicht mobil gewesen und in ihrer Orientierung eingeschränkt – entsprechend waren sie auf die Hilfe der Betreuungspersonen angewiesen, ohne selbst fliehen zu können.

Aus Sorge vor einstürzenden Gebäuden hätten einige Spitäler in Chiang Mai ihre Betten samt Patient*innen kurzerhand ins Freie verlegt, erzählt Martin Woodtli. Die Zusammenarbeit mit den Behörden laufe ausserdem bisher gut.

Besonders findet er aber den Zusammenhalt unter den Menschen nach dem Erdbeben: «Die Leute helfen sich sofort gegenseitig, wo sie nur können. Man steht zusammen, das ist viel wert.»

Angst vor Nachbeben

Obwohl sich die Lage in Chiang Mai inzwischen etwas beruhigt hat, rechnet Martin Woodtli mit längerfristigen Auswirkungen – vor allem auf emotionaler Ebene. «Das wird in einigen Menschen womöglich noch eine Weile nachhallen», sagt er.

Beeindruckt zeigt er sich auch vom Verhalten seines Teams: «Auch unsere Betreuerinnen und Betreuer hatten grosse Angst – aber sie haben sich in dieser Extremsituation ausserordentlich professionell und einfühlsam um unsere Gäste gekümmert.»

In dem Moment unterbricht Martin Woodtli kurz das Interview. Er will sich vergewissern, wie es einem vorbeigehenden Bewohner geht, der während des Erdbebens am Morgen deutliche Angstreaktionen gezeigt hatte. Als er ihn anspricht, wirkt der Mann jedoch unbeeindruckt. «Was meinen Sie?», fragt er erstaunt. Er hat das Beben offenbar bereits vergessen.

Für Martin Woodtli ist dieser Moment exemplarisch für das Leben mit Demenz: Die akute Furcht war real, aber die Erinnerung daran ist schon wenige Stunden später verblasst. Er wünsche sich nun für Thailand und Myanmar vor allem eines: «Dass wir verschont bleiben von Nachbeben.»