Ampel-Gespräche in Berlin Bei diesen Themen droht Streit

Von Sven Hauberg

7.10.2021

Rote Linien und Stolpersteine: In Berlin haben die Sondierungen zwischen SPD, Grünen und FDP begonnen. In diesen Punkten sind sich die Parteien einig – und das trennt sie.

Von Sven Hauberg

Nach 16 Jahren Angela Merkel könnte der SPD-Politiker Olaf Scholz ins Berliner Kanzleramt ziehen. Noch ist es allerdings ein weiter Weg bis dahin. Voraussetzung dafür, dass der 63-Jährige zum deutschen Bundeskanzler gewählt wird, ist eine sogenannte Ampel-Koalition: Scholz' SPD, die Gewinnerin der Wahlen von Ende September, müsste sich mit den Spitzen von Grünen und FDP auf ein Regierungsbündnis einigen. Eine ebenfalls mögliche grosse Koalition aus SPD und CDU/CSU gilt hingegen als unwahrscheinlich.

Seit heute Vormittag sondieren die Spitzen der drei Ampel-Parteien in Berlin. Nachdem die Grünen am Mittwoch vorgeprescht waren und zu Dreiergesprächen aufgerufen hatten, kann es offenbar nicht schnell genug gehen bei der Regierungsbildung. Kleiner werden die Unterschiede zwischen den drei möglichen Partnern dadurch aber nicht.



Vor allem zwischen den beiden kleinen Parteien sind die programmatischen Unterschiede gewaltig. «Grüne und FDP sehen viele Dinge sehr unterschiedlich», sagte gestern der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Bemühe man sich aber um Verständigung, könne «eine Art fortschrittsfreundliches Zentrum gebildet werden», so der Politiker weiter. «Und daraus ergibt sich viel Fantasie.»

In welchen Punkten Streit herrscht und wo sich die SPD, Grüne und FDP einig sind, zeigt der Überblick über die wichtigsten Themen.

Klimaschutz

Der Kampf gegen den Klimawandel war eines der zentralen Themen im Wahlkampf. Alle drei Parteien betonen, wie wichtig es sei, die menschengemachte Erderwärmung aufzuhalten. Heftig gestritten wird allerdings über den richtigen Weg.

Während die FDP vor allem auf die Innovationskraft der Wirtschaft und einen Emissionshandel setzt, fordern die Grünen ein stärkeres Eingreifen des Staates. Bis 2030, so die Öko-Partei, soll der deutsche CO2-Ausstoss um 70 Prozent gesenkt werden; die SPD hat eine Senkung um 65 Prozent zum Ziel erklärt.

Die Grünen fordern ein Aus für den Verbrennungsmotor bis 2030, was die FDP ablehnt. Auch gegen die Forderung von SPD und Grünen, ein Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen einzuführen, wehren sich die Liberalen.

Ebenfalls von den Grünen kommt die Forderung, bereits 2030 aus der Kohle auszusteigen – acht Jahre früher als eigentlich vorgesehen. Die SPD hat bei diesem Thema bereits ein Entgegenkommen signalisiert.

Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD, von links) im vergangenen Juni: Raufen sie sich zusammen, stellen sie die nächste deutsche Regierung.
Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD, von links) im vergangenen Juni: Raufen sie sich zusammen, stellen sie die nächste deutsche Regierung.
Bild: Keystone

Steuern und Finanzen

Rauf oder runter? Auch beim Thema Steuern sind die Unterschiede zwischen den potenziellen Ampel-Partnern gross. Hier dürfte es die härtesten Verhandlungen geben.

Die FDP lehnt Steuererhöhungen ab, für Grüne und SPD wiederum sind höhere Steuern zur Finanzierung von Zukunftsaufgaben wie dem Kampf gegen den Klimawandel kein Tabu. Sie sind ausserdem für die Einführung einer Vermögenssteuer sowie eine geringe Anhebung beim Spitzensteuersatz – beides lehnt die FDP ab.

Dissens gibt es auch beim Thema Schulden. SPD und FDP sprechen sich dagegen aus, die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse aufzuweichen, die Grünen hingegen plädieren für eine Reform, die neue Schulden erlaubt, um Investitionen in den Klimaschutz und in die Infrastruktur zu finanzieren. 

Sozial- und Gesellschaftspolitik

Im Bereich der Sozial- und Gesellschaftspolitik findet sich Trennendes und Verbindendes. Geht es um Werbung für Schwangerschaftsabbrüche oder um geschlechtliche Identitätsfragen, liegen Grüne und FDP eng beieinander. Auch für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Volljährige machen sich beide Parteien stark.

Unterschiedlich blicken die Parteien auf das Thema Mindestlohn: Sowohl Grüne als auch SPD fordern eine Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde, die FDP hingegen will keine Regelung, die über die gesetzlich festgeschriebene regelmässige Anpassung hinausgeht.



Unterschiedliche Ansätze verfolgen Grüne und SPD auf der einen sowie die FDP auf der anderen Seite auch beim Thema Arbeitslosengeld sowie bei der Frage, ob das Zwei-Klassen-System von privater und gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung aufrechterhalten werden soll oder nicht. Die FDP ist dafür, die Grünen und die SPD wollen eine Reform.

Mieten

Ein weiterer Wahlkampfschlager in den vergangenen Wochen und Monaten war das Thema Mieten, die vor allen in Grossstädten und Ballungsgebieten rasant ansteigen. Helfen soll hier die seit einigen Jahren bestehende Mietpreis-Bremse, die SPD und Grüne noch verschärfen wollen. Die FDP hingegen spricht sich für eine Abschaffung dieses Instruments aus.

Migration

Anders als noch vor vier Jahren wurde in diesem Wahlkampf kaum über Einwanderung gesprochen. Was nicht nur daran liegt, dass 2017 die Erinnerungen an die Einwanderungsbewegungen des Sommers 2015 noch frischer waren als heute; auch liegen die drei möglichen Ampel-Partner beim Thema Migration nicht weit auseinander. Gemeinsamkeiten gibt es vor allem zwischen FDP und Grünen. Beide Parteien fordern ein modernes Einwanderungsrecht, das auch den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland erleichtern soll.

Aussenpolitik

Auch die Aussenpolitik war kaum Thema im diesjährigen Wahlkampf. Dabei kommen – geht es nach der Analyse von FDP und Grünen – vor allem im Umgang mit Russland und China grosse Herausforderungen auf Deutschland zu.

Beide Parteien sehen das EU-Investitionsabkommen mit Peking kritisch und fordern auch gegenüber China und Russland mehr Härte in Menschenrechtsfragen. Die SPD, die in den vergangenen Jahren den deutschen Aussenminister gestellt hat, fordert mit Blick auf Russland eine Zusammenarbeit bei den Themen Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Zu den Herausforderungen durch China haben sich die Sozialdemokraten im Wahlkampf kaum geäussert.