98 Prozent haben Antikörper Sind wir nun alle immun gegen Corona?

Von Gabriela Beck

14.5.2022

Pipettieren von Blutproben für einen SARS-CoV-2-Antikörpertest.
Pipettieren von Blutproben für einen SARS-CoV-2-Antikörpertest.
Quelle: Corona Immunitas

Testergebnisse zeigen, dass Ende März beinahe alle Schweizer Einwohner*innen mit Corona infiziert oder dagegen geimpft waren. Ein Experte erklärt, was daraus zu schliessen ist.

Von Gabriela Beck

Was im ersten Pandemiejahr noch zu hitzigen Diskussionen führte – Durchseuchen oder nicht – ist nun eingetreten: Praktisch die gesamte Schweizer Bevölkerung hat Antikörper gegen Sars-CoV-2 entwickelt. Das geht aus der aktuellen fünften Testrunde von «Corona Immunitas» hervor. Das Team des Forschungsprogramms der Swiss School of Public Health misst regelmässig den Immunstatus der Bevölkerung.

Die Seroprävalenz in den Kantonen Tessin und Zürich lag demnach per Ende März bei 97 bis 98 Prozent. Zwischen den Altersgruppen fanden sich keine grossen Unterschiede, berichten die Forschenden.

Seroprävalenz

  • Als Seroprävalenz bezeichnet man die Häufigkeit spezifischer Antikörper im Blutserum, die auf eine bestehende oder durchgemachte Infektionskrankheit hinweisen oder aufgrund einer Impfung vom Körper entwickelt wurden. Sie wird zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer definierten Personengruppe nachgewiesen.

Der hohe Wert sei eine Folge von Impfungen und Infektionen, insbesondere aus der jüngsten Omikron-Welle, schrieben die Forschenden. Im Wallis und in der Waadt war die Seroprävalenz mit rund 90 Prozent etwas niedriger, weil die Proben vor der Omikron-Welle genommen wurden.

Prof. Dr. Milo Puhan, Leiter von «Corona Immunitas» und Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich, erklärt im Interview mit blue News, was die Messung bedeutet.
Milo Alan Puhan
Universität Zürich

Herr Puhan, ist man mit Antikörpern im Blut immun?

Nicht unbedingt. Die gemessenen Seroprävalenzen sind ausschliesslich ein Mass dafür, ob man Kontakt mit dem Virus hatte. Zwar gehen Antikörper im Blut mit einer gewissen Immunität einher, das hängt aber sehr stark von der Anzahl und Art der Antikörper ab. Ab einer gewissen Konzentration der Antikörper ist man vor einem schweren Verlauf aber relativ zuverlässig geschützt.

Wie viele Antikörper sind für eine Immunität nötig?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt verschiedene Arten von Antikörper-Tests, die technisch und auch von der Testgüte her unterschiedlich funktionieren und daher schwer miteinander zu vergleichen sind.

Kann ich mich noch anstecken, wenn ich immun bin?

Wir unterscheiden zwischen funktioneller Immunität und steriler Immunität. Bei einer funktionellen Immunität ist man nicht gefeit vor einer erneuten Infektion. Man ist aber geschützt gegen einen schweren Verlauf. Die sterile Immunität dagegen liegt vor, wenn der Organismus einen entsprechenden Erreger aufgrund der erfolgten Immunisierung abwehren kann, sodass sich die Viren nicht relevant vermehren können. Die Corona-Infektionen und -Impfungen führen nur zu einer funktionellen Immunität, wie die Omikronwelle deutlich aufgezeigt hat.

Kann ich mich auch wiederholt anstecken?

Ja. Der Grund liegt in den sich ständig verändernden Varianten. Bis zur Delta-Variante, die immer noch mit dem ursprünglichen Wildtyp von Sars-CoV-2 verwandt war, gab es relativ wenige Fälle von wiederholten Infektionen. Seit Omikron ist das anders. Erfreulicherweise verläuft eine Infektion mit Omikron in den meisten Fällen aber recht mild, insbesondere wenn man geimpft ist. Allerdings fällt auch die Immunantwort, also die Reaktion des Körpers auf das Coronavirus, dementsprechend nicht besonders stark aus. Diese Immunreaktion ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und auch von der Virusmenge abhängig.

Ist eine Impfung immer noch sinnvoll?

Die funktionelle Immunität nimmt mit der Zeit ab. Wie schnell, ist auch wieder von der Virusvariante und jedem einzelnen Menschen abhängig. Eine Grundimmunisierung ist daher auf jeden Fall sinnvoll. Beim Booster kommt es auf das Timing an, damit man für kritischere Zeiten wie dem Herbst und Winter geschützt ist. In der Schweiz wird für den Herbst vermutlich besonders für Corona-Risikogruppen wie die Älteren oder Vorerkrankten ein Booster empfohlen werden. In der nächsten Testphase im Juni/Juli 2022 wird Corona Immunitas prüfen, inwieweit die Seroprävalenz und die Immunität in der Schweizer Bevölkerung abnehmen und so auch über die Impfstrategie informieren.