Sicherheitsaspekte bei Planung vergessen «Verdammte Frechheit» – grosse Wut wegen Billetautomaten-Abbau

Petar Marjanović

28.4.2025

Dieser Billettautomat in Ostermundigen BE wird bald abgeschafft.
Dieser Billettautomat in Ostermundigen BE wird bald abgeschafft.
Bild: blue News

Die Verkehrsbetriebe Bernmobil bauen 60 Geräte ersatzlos ab. Für Fahrgäste ohne Smartphone oder Abo bedeutet das oft den Gang über vielbefahrene Kreuzungen. Bei der Planung wurden Sicherheitsaspekte nicht berücksichtigt.

Petar Marjanović

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In Bern werden rund 60 Billettautomaten abgeschafft. Bernmobil will damit hunderttausende Franken einsparen.
  • Wer im Alltag aufs Handy verzichtet, muss sich deshalb an Haltestellen umsehen und Automaten suchen und Kreuzungen überqueren.
  • Sicherheitsaspekte wurden nicht berücksichtigt. Menschen mit einem unsicheren Gang oder Rollator sind verärgert.

Die 72-jährige Martha S. steht verzweifelt an einer Haltestelle in Bern. Der Ticketautomat, den sie seit Jahren benutzt hat, ist verschwunden. Als der Bus einfährt, steigt sie ohne Billett ein und wendet sich hilfesuchend an den Fahrer. Er zuckt nur mit den Schultern. «Ich weiss nicht, wo Sie jetzt ein Ticket kaufen können», sagt er achselzuckend.

Später steigt sie mit dem Reporter von blue News aus und erzählt von ihrem Ärger. Ihre Geschichte ist kein Einzelfall: Die Berner Verkehrsbetriebe Bernmobil entfernen derzeit über 60 Ticketautomaten in der Bundesstadt und den umliegenden Gemeinden Köniz und Ostermundigen.

Kreuzungen überqueren für ein Ticket

Die Massnahme betrifft vor allem Haltestellen am Linienende stadtauswärts. Für Besucherinnen und Ausflügler ohne Smartphone oder Abonnement wird der ÖV-Besuch in der Bundesstadt damit zum Hindernislauf – wortwörtlich, wie es die Berner Lokalzeitung «Der Bund» jüngst anhand der Haltestelle Egghölzli aufzeigte: Sie liegt an einer vielbefahrenen Strasse, wo sich Autos, Busse, Trams und Velos kreuzen.

Ein- bzw. aussteigen kann man dort an vier Stellen. Einen Billettautomaten gibt es aber seit 2023 nur an einer Ein- bzw. Ausstiegsstelle. Damit ist zwar das Versprechen von Bernmobil erfüllt, wonach sich an jeder Haltestelle immer noch mindestens ein Automat in Sichtweite und maximal 50 Meter entfernt befindet. Zwischen den Haltepunkten liegen aber teils mehrere Fussgängerstreifen mit Ampeln. Mit dem Rollator dauert das schnell einige Minuten.

An der Haltestelle Egghölzli wurden 2023 bereits Automaten abgebaut.
An der Haltestelle Egghölzli wurden 2023 bereits Automaten abgebaut.
Bild: Swisstopo

Was das Unternehmen aber verschweigt: Bei der Planung wurden Sicherheitsaspekte für Fussgänger*innen nicht berücksichtigt, wie die Recherche von blue News ergibt.

Auf die direkte Frage, ob man bei der Planung Sicherheitsaspekte berücksichtigt habe, antwortete Bernmobil-Sprecher Rolf Meyer mit einem klaren «Nein». Die Erklärung des Unternehmens: «Im Bereich der Haltestellen überqueren generell sowieso viele Fahrgäste die Fahrbahn. Somit ist dies auch für den Ticketkauf ohne Weiteres möglich.»

«Bei Haltestellen überqueren generell sowieso viele Fahrgäste die Fahrbahn. Somit ist dies auch für den Ticketkauf ohne Weiteres möglich.»

Rolf Meyer

Sprecher Bernmobil

Laute Verärgerung, aber wenig tatsächlich betroffen

Hinzu kommt: Das Fahrpersonal kann oft nicht helfen, wie der Fall von Martha S. zeigt. Zwar beteuert Bernmobil, alle Chauffeure seien informiert, doch die Praxis sieht anders aus. Auf Nachfrage räumt das Unternehmen ein: «Logischerweise kennen sie aber nicht alle Standorte auswendig.» 

Das Unternehmen entgegnet auf die kritischen Fragen mit der Feststellung: «Wer einen Ticketautomaten bedienen kann, dürfte grundsätzlich auch fähig sein, ein Smartphone zu bedienen.»

Der Sprecher relativiert zudem das Ausmass des Ärgers: «Die Zahl der Fahrgäste, die vom Abbau überhaupt betroffen ist, ist sehr klein. Wenn sie von dieser kleinen Menge noch diejenigen Fahrgäste nehmen, die kein Smartphone haben, dann reden wir nochmals von deutlich weniger betroffenen Fahrgästen.»

Millionen-Einsparung als Hauptgrund

Doch wieso macht Bernmobil das ausgerechnet jetzt, wo ohnehin ein grosser Druck auf Gesellschaftsschichten herrscht, die nicht alles digital erledigen wollen? Der Grund für den Abbau ist klar: Geld sparen.

Laut Bernmobil werden an den betroffenen Standorten durchschnittlich weniger als sieben Tickets pro Tag verkauft. «Die Kosten für die Erneuerung eines Automaten betragen rund 13'000 Franken», erklärt Meyer. Durch den Verzicht auf die Modernisierung dieser wenig genutzten Automaten spart Bernmobil insgesamt etwa 780'000 Franken ein. Die alten Maschinen werden nicht verschrottet, sondern als Ersatzteillager verwendet.

Der Automat verkaufte nicht nur Busbilletts, sondern auch Parkkarten und Abos.
Der Automat verkaufte nicht nur Busbilletts, sondern auch Parkkarten und Abos.
Bild: blue News

Zusätzlich sinken laut Bernmobil die Betriebskosten um rund 20 Prozent, was über 10 Jahre Betriebszeit einen Betrag von über 2 Millionen Franken ausmacht. Davon haben auch Menschen etwas, die Steuern zahlen. Oder wie es der Sprecher der Verkehrsbetriebe sagt: Es gehe auch um den haushälterischen Umgang mit den Steuergeldern.

«Dammbruch» laut Konsumentenschutz

Dennoch spricht der Konsumentenschutz von einem «Dammbruch». Die Stiftung befürchtet, dass das nur der Anfang von weiteren Serviceabbau-Runden sei. Auch in den sozialen Medien sorgt die Massnahme für Verärgerung. Eine Frau spricht von einer «verdammten Frechheit» gegenüber jenen Kunden, die sich nicht mit dem «ganzen Elektronikmist auskennen». Ein Facebook-User schreibt: «Mein Handy wird nicht zur Kreditkarte … ich bleibe bei Bargeld.»

Die Stiftung für Konsumentenschutz spricht von einem «Dammbruch». Sie befürchtet, dass das nur der Anfang von weiteren Serviceabbau-Runden sei. Besonders für Kinder, die noch kein elektronisches Billett auf dem Smartphone haben, sei es gefährlich, ihre Mehrfahrtenkarte noch rasch auf der gegenüberliegenden Strassenseite zu entwerten, warnt Sara Stalder vom Konsumentenschutz. 

«Wir fordern, dass Billettkäufe weiterhin ohne Smartphone und Kreditkarte möglich sind!»

Stiftung für Konsumentenschutz

Immerhin: Bernmobil verspricht auf Anfrage von blue News, «sicherlich bis 2035» weiterhin Noten und Münzen anzunehmen. 

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