Die Spur führt bis nach Westafrika Darum ist der Online-Betrug um Zürcher Wohnungen noch viel dreister

Philipp Dahm

30.10.2025

Gigantische Schlange anlässlich der Besichtigung einer Musterwohnung in Zürich: Betrüger im Ausland nutzen die Wohnungsnot in Schweizer Städten schonungslos aus.
Gigantische Schlange anlässlich der Besichtigung einer Musterwohnung in Zürich: Betrüger im Ausland nutzen die Wohnungsnot in Schweizer Städten schonungslos aus.
Bild: Keystone

Ein Betrug, eine gestohlene Identität, eine Spur, die bis nach Westafrika führt: blue News zeigt, wie Schweizer Ausweise in die Hände internationaler Betrüger geraten – und warum das kein Einzelfall ist.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • blue News berichtete über einen Wohnungsbetrug in Zürich, bei dem mit geklauten Schweizer IDs das Vertrauen erweckt wurde.
  • Eine Betroffene erklärt nun, wie die Betrüger an ihre Ausweiskopie gelangten – sie fiel auf denselben Täter herein.
  • Der Fall zeigt, wie weitverzweigt und professionell die Betrugsmasche ist – und wie aus einem einzelnen Inserat ein internationales Netzwerk wird.

Betrüger erleichtern L. H., der in Zürich eine Wohnung sucht, um 998 Franken. Mit falschen Wohnungsbildern, dubiosen Emails und einer gestohlenen Identität gehen der oder die Täter vor. Um andere vor dem Betrug zu warnen, erzählte der Schweizer blue News seine Geschichte (hier zum Nachlesen).

Das Vorgehen der Täterschaft war besonders perfid. Denn im Zentrum steht eine Ärztin aus Zürich, die von dem Betrug gar nichts wusste. Wie sind der oder die Täter an ihre ID und jene ihrer Tochter sowie an den Arztausweis der Frau gekommen? Mit diesen Dokumenten haben sie das Vertrauen von Loïc H. erschlichen – und vermutlich nicht nur von ihm. 

Wie also kam es zu diesem Identitätsmissbrauch?

blue News konnte mit der Ärztin reden. Wir nennen sie hier Silvana Plättli, ihre wahre Identität bleibt anonym. Und was Plättli erzählt, lässt aufhorchen: Ihr Fall ist «genau gleich wie beim Herrn H.» verlaufen. 

Ihre Tochter hat bereits seit Mitte Mai verzweifelt nach einem WG-Zimmer gesucht. «Sie hat gesagt: ‹Mama, hilf mir bitte beim Suchen.› Und was mache ich? Ich suche, und falle auf denselben Betrüger rein, auf den Herr H. hereingefallen ist. Wenn ich den Wortlaut in Ihrem Artikel lese, sind es die gleichen Aussagen.»

«Genau dieselbe Masche» – nur mit «Herrn Sebastian»

Das war Mitte September. Ihr ist sogar eine Bleibe an derselben Adresse angeboten worden – Stampfenbachstrasse 151: «Es ist genau die Wohnung, bei der ich auch hereingefallen bin. Die Fotos vom Inneren der Wohnung sind aber andere Bilder.»

Am 11. September bietet «Herr Sebastian» Plättli die Wohnung in der Stampfenbachstrasse 151 an – mit «Außengang», mit dem Satz «MÖGLICHKEIT, EINIGE DER MÖBEL ZU ENTFERNEN, WENN SIE WOLLEN», der Anrede «Guten Morgen» am Nachmittag und «Vielen Dank fürs Korrekturlesen!» am Ende.
Am 11. September bietet «Herr Sebastian» Plättli die Wohnung in der Stampfenbachstrasse 151 an – mit «Außengang», mit dem Satz «MÖGLICHKEIT, EINIGE DER MÖBEL ZU ENTFERNEN, WENN SIE WOLLEN», der Anrede «Guten Morgen» am Nachmittag und «Vielen Dank fürs Korrekturlesen!» am Ende.
zVg

Plättli hat inzwischen nach den Fotos, die sie bekommen hat, im Internet gesucht. Resultat: Die exakt gleichen Fotos finden sich bei Angeboten in Lille, Rom und Saint-Étienne. Im Nachhinein ist man ja immer klüger, räumt Plättli ein: «Die Bilder sehen aus wie aus dem Prospekt einer Ferienwohnung.» Doch damals schöpft die Schweizerin noch keinen Verdacht.

Am 28. September bietet die vermeintliche Silvana Plättli L. H. die gleiche Wohnung an – mit «Außengang», mit dem Satz «MÖGLICHKEIT, EINIGE DER MÖBEL ZU ENTFERNEN, WENN SIE WOLLEN», der Anrede «Guten Morgen» am Abend und «Vielen Dank fürs Korrekturlesen!» am Ende.
Am 28. September bietet die vermeintliche Silvana Plättli L. H. die gleiche Wohnung an – mit «Außengang», mit dem Satz «MÖGLICHKEIT, EINIGE DER MÖBEL ZU ENTFERNEN, WENN SIE WOLLEN», der Anrede «Guten Morgen» am Abend und «Vielen Dank fürs Korrekturlesen!» am Ende.
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«Es ist genau dieselbe Masche gewesen», erinnert sich Plättli. «Ich habe geschrieben, dass ich für meine Tochter suche und seriös bin. Mir haben ‹Herr und Frau Sebastian› geantwortet: Sie seien ein älteres Paar aus Deutschland, und sie kämen nur, um die Wohnung zu zeigen, wenn man wirklich interessiert ist.» Herr und Frau Sebastian tauchen später in dieser Geschichte noch einmal auf, als für Frau Plättli die Suche eigentlich längst zu Ende war.

Kein Geld? Dann den Ausweis!

Was Plättli auch aufgefallen ist in dem Mail: das schlechte Deutsch im Schriftverkehr: «Da hätten auch die Alarmglocken läuten müssen.» Auch in ihrem Fall wurde eine Anzahlung über 998 Franken gefordert – die gleiche Summe wie bei H.. Plättli aber zögert zu ihrem Glück: «Das habe ich nicht gemacht.»

Was «Herr Sebastian» für Informationen von den Plättlis verlangt.
Was «Herr Sebastian» für Informationen von den Plättlis verlangt.
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Die Sache ist der Ärztin nicht geheuer: Sie redet sich bei den mutmasslichen Betrügern heraus, dass sie gerade im Ausland sei und für die Überweisung vor Ort sein müsse. «Dann wollten sie den Ausweis.» Silvana Plättli ist eine Frau der alten Schule: Bei Geldfragen ist sie vorsichtig. Sie macht auch kein Online-Banking.

Aber Papiere? Die muss man doch öfters irgendwo angeben, denkt sie. «Und ich habe die Dokumente geschickt: meinen, den von meiner Tochter und den Arzt-Ausweis.» Plättli muss lachen. «Blöderweise auch noch den Arzt-Ausweis, der abgelaufen ist. Das war ein Missgeschick.»

Findige Betrüger: Wenn dem Opfer schon kein Geld abgeknüpft werden kann, sollen sie zumindest persönliche Dokumente senden. So kommen sie an die ID von Silvana Plättli und ihrer Tochter.
Findige Betrüger: Wenn dem Opfer schon kein Geld abgeknüpft werden kann, sollen sie zumindest persönliche Dokumente senden. So kommen sie an die ID von Silvana Plättli und ihrer Tochter.
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Als das Mail abgeschickt ist, geht Plättli zur Arbeit. Am Abend erzählt sie ihrem Sohn von der Sache. Der Teenager geht mit der Mutter hart ins Gericht: «Er schaut es sich an und meint: ‹Das ist doch fake, das ist Scam! Und du schickst noch deine Daten› Jesses, Gott, da habe ich alles nochmal gelesen, und dachte: ‹Natürlich!›». Plättli schaltet die Polizei ein und erstattet Anzeige.

«Ich war so euphorisch»

Die Behörden raten ihr, wegen der Aussicht auf einen zukünftigen Identitätsmissbrauch die Ausweise für ungültig erklären zu lassen, damit niemand unter ihrem Namen Geld wäscht oder einen Kredit aufnimmt. «Da musste ich für mich und meine Tochter alles neu machen lassen.»

So sieht das Mail mit den Konto-Angaben aus, die «Herr Sebastian» Silvana Plättli schickt.
So sieht das Mail mit den Konto-Angaben aus, die «Herr Sebastian» Silvana Plättli schickt.
zVg

Plättli ärgert sich, dass sie den Betrügern auf den Leim gegangen ist. «Ich war so euphorisch, als er mir geschrieben hat, er gebe mir die Wohnung. Es war ein super Angebot. Das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.»

Am 3. Oktober schickt die vermeintliche Silvana Plättli L. H. die Daten eines anderen Kontos.
Am 3. Oktober schickt die vermeintliche Silvana Plättli L. H. die Daten eines anderen Kontos.
zVg

Nachdem der versuchte Scam aufgeflogen war, geht sie der Sache selber nach und beginnt zu recherchieren. «Und dann hab ich einen Film von ‹SRF Investigativ› gefunden, der zwei Wochen vor meinem Fall gelaufen war».

Die SRF-Journalisten sind genau jenen Betrügern auf der Spur, denen auch Plättli und H. zum Opfer fielen. Im Beitrag sieht Plättli bekannte Fotos –  es sind die gleichen Wohnungsbilder wie beim Inserat der Stampfenbachstrasse 151.

«Herr Sebastian» sitzt in Benin

Das SRF-Team hat sich als wohnungssuchend ausgegeben und konnte die Betrüger in Porto-Novo in Benin verorten. «Ich gehe davon aus, dass das der gleiche ist: Der hat sich auch als Herr Sebastian ausgegeben.» Der gleiche Name, mit dem sich die Betrüger schon bei ihr gemeldet hatten.

Plättli gräbt weiter: Sie sichtet weitere Angebote auf dem Portal, auf dem sie auch die Wohnung in der Stampfenbachstrasse gefunden hatte. Ihre Erkenntnis: «Jede dritte Wohnung ist ein Scam gewesen. Das hat mich erschreckt. Man findet die Fotos in Prag, Genf, Paris, in Schottland, in Polen – überall.»

SRF Investigativ hat «Herrn Sebastian» in Benin aufgespürt, der wahrscheinlich hinter den verschiedenen Betrugsfällen in Zürich steckt.
SRF Investigativ hat «Herrn Sebastian» in Benin aufgespürt, der wahrscheinlich hinter den verschiedenen Betrugsfällen in Zürich steckt.
Google Earth

Das Drama hat für die Schweizerin nun zunächst ein Ende – bis an ihrem freien Tag Herr H. in ihrer Praxis auftaucht und sie wegen einer Wohnungsvermittlung sprechen will. «Ich dachte: Nein, jetzt findet der Identitätsbetrug wirklich statt.» Weil Herr H. seine Angaben nicht hinterlässt, finden die Opfer aber nicht zueinander.

Täter schreibt Plättli unter ihrem eigenen Namen an

Zwei Tage später meldet sich die Polizei wegen der Anzeige von H. Plättli verweist auf ihren eigenen Fall und die gesperrten Dokumente – und eigentlich könnte die Sache damit für die Frau vorbei sein. Ist sie aber nicht: Weil sich Plättli derart über die Betrugsmasche aufregt, macht sie die Probe aufs Exempel.

«Ich habe mich auf so ein Scam-Angebot gemeldet, bei dem ich dachte, es könnten die Täter sein. Ich habe einen falschen Namen und eine falsche Mailadresse benutzt. Und dann hat er tatsächlich zurückgeschrieben – in meinem Namen. Und etwa im dritten Mail hat er mir meinen eigenen Ausweis geschickt, um zu zeigen, dass er seriös ist.»

Silvana Plättli meldet sich auf eine verdächtige Anzeige für eine Wohnung in der Zürcher Allmendstrasse 104 – und bekommt eine Mail zurück, die in ihrem eigenen Namen geschrieben ist. Sie bekommt in dieser Mail vom 14. Oktober auch die eigenen Ausweispapiere zugesandt. Der Ton ist analog zum Schriftverkehr der vorherigen Fake-Annoncen.
Silvana Plättli meldet sich auf eine verdächtige Anzeige für eine Wohnung in der Zürcher Allmendstrasse 104 – und bekommt eine Mail zurück, die in ihrem eigenen Namen geschrieben ist. Sie bekommt in dieser Mail vom 14. Oktober auch die eigenen Ausweispapiere zugesandt. Der Ton ist analog zum Schriftverkehr der vorherigen Fake-Annoncen.

Plättli schreibt ihm, sie werde die Dokumente prüfen und anschliessend überweisen. Sie lässt den Betrüger eine Zeitlang «zappeln», um ihm dann zu eröffnen, dass die Ausweise gesperrt worden seien. «Da ist natürlich nichts mehr zurückgekommen.»


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