Taskforce-Chefin Tanja Stadler blickt zurück – und nach vorn «Bis zum Herbst sollten wir uns wappnen»

Von Alex Rudolf

22.3.2022

Taskforce-Chefin Tanja Stadler: «Bis zum Herbst sollten wir uns wappnen»

Taskforce-Chefin Tanja Stadler: «Bis zum Herbst sollten wir uns wappnen»

Als Präsidentin der Covid-Taskforce des Bundes wurde Tanja Stadler zu einer der bekanntesten Personen der Schweiz. Nun, da die Wissenschafts-Gruppe Ende April aufgelöst wird, blickt die ETH-Professorin im Gespräch mit blue News zurück.

21.03.2022

Als Präsidentin der nationalen Covid-Taskforce wurde Tanja Stadler zu einer der bekanntesten Personen der Schweiz. Der Wissenschafts-Beirat löst sich Ende März auf – und die ETH-Professorin blickt mit blue News zurück.

Von Alex Rudolf

22.3.2022

Frau Stadler, aktuell steigen die Fallzahlen wieder an. Besorgt Sie diese Tendenz?

Sie birgt Risiken. Beispielsweise, dass viele Menschen aufgrund einer Covid-Infektion der Arbeit fernbleiben. Dies trifft neben anderen Bereichen auch die Spitäler. Bei vergangenen Covid-Wellen stand die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens wegen zu vielen Patient*innen im Vordergrund, heute eher wegen zu vielen Ausfällen aufseiten des Personals. Verschiedene Umfragen zeigen, dass dies seit mehreren Wochen ein Problem ist.

Und Long Covid?

Sämtliche Studien hinsichtlich Long Covid basieren auf Virus-Varianten, die vor Omikron verbreitet waren. Wir wissen, die Impfung schützt zu einem gewissen Mass, aber wir wissen auch, dass man trotz Impfschutz an Long Covid erkranken kann.

Corona geriet wegen des Kriegs in der Ukraine aus dem öffentlichen Fokus. Ist dies gefährlich?

Dass der Krieg in der Ukraine die Menschen aktuell sehr beschäftigt und medial im Fokus ist, finde ich sehr verständlich. Zudem muss man sagen, dass wir das Wichtigste zu Covid bereits wissen. Wie funktioniert die Übertragung? Wie kann man sich schützen? Das ist allen klar. Die Frage ist eher: Was sind wir noch bereit zu unternehmen, um die Zirkulation des Virus zu bremsen?

Tanja Stadler
Mathematikerin und Biostatistikerin Tanja Stadler, Professorin am Department of Biosystems Science and Engineering ETH Zuerich in Basel, am Dienstag, 31. August 2021. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Bild: Keystone

Die 41-jährige Tanja Stadler präsidiert die Schweizer Covid-Taskforce seit vergangenem Sommer, was sie zur wohl bekanntesten Wissenschaftlerin des Landes machte. Die Mathematikerin und Biostatikerin ist ordentliche Professorin am Departement für Biosysteme für computergestützte Evolution an der ETH Zürich in Basel. Die gebürtige Stuttgarterin hat zwei Kinder.

Welche Massnahmen werden Sie trotz Aufhebung auch im April befolgen?

In Innenräumen werde ich weiterhin eine Maske tragen, denn dies ist erwiesenermassen der beste Schutz für sich selbst und die anderen. Wenn ich Symptome habe, bleibe ich zu Hause. Auch wenn ich asymptomatisch positiv getestet würde – auch hier fiele die Isolation weg –, bliebe ich im Homeoffice. Dass dies ein Privileg meines Berufs ist, ist mir bewusst.

Überträgt man den Menschen zu viel Eigenverantwortung mit dem Wegfall der Isolationspflicht?

Ich verstehe das Bedürfnis, dass man bei einer asymptomatischen Infektion nicht tagelang zu Hause sein möchte. So ist der Wegfall ein politischer Entscheid. Aus wissenschaftlicher Sicht ist aber klar: Wenn ich positiv bin, kann ich auch andere anstecken. Hier wären dann FFP2-Masken sehr hilfreich.

Denken Sie, dies wird von vielen Menschen so befolgt?

Das ist lediglich eine wissenschaftliche Einschätzung. Klar ist: Fallen Masken und Isolationspflicht, wird es mehr Ansteckungen geben als mit diesen Massnahmen. Was man mit diesem Wissen macht, muss die Politik entscheiden.

Im Frühling und Sommer gehen die Ansteckungen erfahrungsgemäss zurück. Sie sagen, wir müssen uns für den Herbst rüsten. Wie?

Pandemie
Fürchtest du dich noch vor einer Covid-Ansteckung?

Es gibt zwei wichtige Komponenten. Besonders im Herbst sollten wir uns vergegenwärtigen, dass das Virus mittels Aerosolen und Tröpfchen übertragen wird. In der Zeit bis dahin sollten wir uns wappnen. Beispielsweise die Belüftungssysteme in unseren Innenräumen aufrüsten. Dies hilft nicht nur im Kampf gegen Covid, sondern auch gegen alle anderen respiratorischen Krankheiten. Auch sollte uns klar werden, dass wir stets auf Masken als Schutz vor einer Übertragung zurückgreifen können.

Und in Sachen Forschung?

Die Forschung läuft ungeachtet der Jahreszeit weiter. Es ist aber wichtig, dass wir ausreichend Daten sammeln und auf diese Weise sehen, wie gut der Schutz der Bevölkerung vor schweren Verläufen und Long Covid ist. Auf diese Weise wissen wir, wann gewisse Personengruppen eine Auffrischungsimpfung brauchen.

Implizieren Sie damit, dass eine erneute Auffrischungsimpfung für jede*n wenig sinnvoll ist?

Nein. Wir impfen aus zwei Gründen. Erstens, und dafür wurden die Impfungen entwickelt, um Menschen vor schweren Verläufen zu schützen. Wissen wir, dass die Impfung diese Aufgabe bei einer gewissen Personengruppe nicht mehr erbringt, wird eine Auffrischung stark empfohlen. Ich rechne damit, dass beispielsweise für ältere Menschen im Herbst eine vierte Impfung naheliegt.

Und der zweite Grund?

Die generelle Zirkulation. Sehen Sie, jedes Jahr lassen sich viele Menschen gegen die Grippe impfen. Die Wahrscheinlichkeit infiziert zu werden, sinkt somit. Eine Impfung schützt zumindest temporär vor einer sogenannten milden Infektion und vor Long Covid. Weil wir wissen, dass der Impfschutz bei allen irgendwann abnimmt, ist es durchaus sinnvoll, die Impfungen weiterhin niederschwellig allen anzubieten, die das wollen.

Die Taskforce löst sich Ende März auf. Ist die Pandemie also vorüber?

Mit der Auflösung wollen wir sicher nicht suggerieren, dass die Pandemie vorbei ist. Wir veröffentlichten ein Dokument, das sich damit befasst, was künftige Herausforderungen sein könnten. Es könnte sein, dass die Fallzahlen aufgrund einer neuen Variante steigen oder der Immunschutz gegen schwere Verläufe nicht mehr gegeben ist. Wir glauben aber, dass es die Taskforce als solche nicht mehr braucht und die weitere Bewältigung der Krise im Rahmen der regulären Strukturen angegangen werden kann.

Bei der Pandemie ging es oftmals darum, Wissenschaft und Politik unter einen Hut zu bringen. Fiel es Ihnen schwer, keine politischen Positionen zu beziehen?

Ich persönlich habe nicht das Bedürfnis, über die Wissenschaft hinauszugehen. Schwierigkeiten hat mir die Kommunikation bereitet, wenn der Wunsch vonseiten der Öffentlichkeit bestand, von der Politik beschlossene Massnahmen einzuordnen und mich zu positionieren. Beispielsweise jetzt, wo keine Masken mehr getragen werden müssen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es sonnenklar, dass Masken nützen. Was man politisch aus dieser Kenntnis macht, ist eine andere Frage – viele Faktoren werden einbezogen. Ich besinne mich immer wieder auf meine beratende Rolle, in der wir uns nicht politisch positionieren.

Besonders rechte Kreise warfen der Taskforce auch Alarmismus vor.

Das waren schwierige Momente. Denn wir als Taskforce hatten den Anspruch, alle Kenntnisse in unsere Einschätzungen miteinzubeziehen – auch wenn diese sehr negativ waren. Wir wiesen auf Risiken hin, was für mich nichts mit Alarmismus zu tun hat. Aber: Im Nachhinein wurde uns klar, dass wir in gewissen Momenten von der Öffentlichkeit nicht als nüchtern empfunden wurden. Davon wurde die öffentliche Debatte beeinflusst, was für die Bewältigung der Pandemie sicher nicht förderlich war.

Was hätten Sie rückblickend anders gemacht?

Rein wissenschaftlich stehe ich hinter der Arbeit der Taskforce. Hinsichtlich der Kommunikation haben wir im Verlauf der Pandemie viel gelernt. Mit diesem Wissen würde es heute wohl zu weniger Missverständnissen kommen.

Welche?

Beispielsweise Missverständnisse bezüglich dessen, was die Wissenschaft kann und was sie eben nicht kann. Bei einer Pandemie herrscht viel Unsicherheit, weil am Anfang noch wenige Daten vorhanden sind. Es gelang uns nicht immer, diese Unsicherheiten in Bezug auf die Pandemie ideal zu vermitteln.

Woran denken Sie konkret?

Beispielsweise den R-Wert. Diesen kommunizierten wir mit einem Punktschätzer und einem Unsicherheitsintervall. Wir hätten wohl verstärkt kommunizieren sollen, dass sich dieser Punktschätzer aber nicht dazu eignet, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Auch standen bestimmte Szenarien bei unseren Berechnungen im Fokus, die teils eingetroffen und teils nicht eingetroffen sind. Diese Szenarien wurden oft als Prognosen verstanden. Wir hätten wohl klarer kommunizieren sollen, was Szenarien sind und was sie können – und was eben nicht.

Sie wurden zu einem der bekanntesten Gesichter der Schweiz. Freuen Sie sich auf mehr Anonymität?

Derart in der Öffentlichkeit zu stehen, war neu für mich. Als Druck habe ich dies nie empfunden. Eher als Privileg, dass wir Wissenschaftler*innen mithelfen dürfen, diese Krise zu überwinden. Was ich persönlich schwierig fand, waren Situationen, wo rote Linien überschritten wurden und etwa Drohungen gegen mich ausgesprochen wurden.