Kriegsverbrechen Bundesanwaltschaft klagt algerischen Ex-Minister an

SDA/phi

29.8.2023 - 13:22

Khaled Nezzar (Mitte) 2002 in Paris.
Khaled Nezzar (Mitte) 2002 in Paris.
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Die Bundesanwaltschaft hat beim Bundesstrafgericht in Bellinzona Anklage gegen den ehemaligen algerischen Verteidigungsminister Khaled Nezzar eingereicht. 

Keystone-SDA, SDA/phi

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  • Algeriens Ex-Verteidigungsminister ist Khaled Nezzar.
  • Nezzar soll zwischen 1992 und 1994 versucht haben, «die islamistische Opposition auszurotten».
  • Nach einer Anzeige im Oktober 2011 hat die Bundesanwaltschaft mehr als zehn Jahre ermittelt.
  • Kriegsverbrechen sind in der Schweiz unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers strafbar.

Der ehemalige algerischen Verteidigungsminister Khaled Nezzar wird in der Schweiz angeklagt. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, der er zwischen 1992 und 1994 begangen haben soll. Die dem Minister vorgeworfenen Verbrechen stehen im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Algerien zwischen Regierung und Islamisten in den 1990er-Jahren, wie die Bundesanwaltschaft heute mitteilte.

Namentlich soll Nezzar gegen das Kriegsvölkerrecht gemäss den Genfer Konventionen verstossen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Nezzar hatte zu Beginn dieses Krieges die Militärjunta angeführt.

Gemäss Anklageschrift soll er wissentlich und willentlich Folter und «andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen», Verletzungen der körperlichen und psychischen Unversehrtheit, willkürliche Inhaftierungen und Verurteilungen sowie Hinrichtungen zumindest gebilligt, koordiniert und gefördert haben.

Sein Aktionsplan habe das Ziel gehabt, «die islamistische Opposition auszurotten». Die Bundesanwaltschaft dokumentierte elf Sachverhalte mit jeweils mehreren Tatvorwürfen, welche sich zwischen 1992 und 1994 ereignet haben. Die Klägerin wird ihre Anträge nach eigenen Angaben anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona stellen.

Krieg forderte bis zu 200'000 Menschenleben

Für den Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung bis zum rechtskräftigen Urteil. Die umfangreichen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft dauerten Jahre. Im Februar 2022 gab die Behörde bekannt, dass sie die Schlussbefragung mit Nezzar durchgeführt habe. Angehört wurden insgesamt 24 Personen.

Informationen zum Fall waren von der in Genf ansässigen Nichtregierungsorganisation (NGO) Trial International veröffentlicht worden, die gegen die Straflosigkeit von Kriegsverbrechen kämpft.

Während des auch «décennie noire» genannten Bürgerkrieges zwischen 1992 und 1999 sollen gemäss verschiedenen öffentlichen Quellen bis zu 200'000 Menschen getötet und rund 1,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden sein. Weitere 20'000 Personen sollen verschwunden sein.

Juristisches Hin und Her

Nezzars Anwälte betonten in der Vergangenheit wiederholt, der frühere Verteidigungsminister habe die ihm für den Zeitraum zwischen Januar 1992 und Januar 1994 zur Last gelegten Taten immer bestritten. Die Kläger würden sich auf unüberprüfbare Quellen im Internet stützen. Nezzar werde nun auch als Komplize und nicht mehr als Täter angesehen.

In den mehr als zehn Jahre dauernden Ermittlungen gab es zahlreiche juristische Wendungen. Trial International hatte das Verfahren initiiert, indem die Organisation im Oktober 2011 eine Strafanzeige gegen Nezzar einreichte, als dieser sich in Genf aufhielt.

Nachdem er am nächsten Tag freigelassen worden war, hatte Nezzar die Schweiz gegen das Versprechen verlassen, den Vorladungen der Justiz Folge zu leisten. Die Bundesanwaltschaft hatte daraufhin beschlossen, eine strafrechtliche Untersuchung wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten.

Strafbar unabhängig vom Tatort

2012 legte Nezzar Beschwerde gegen die gegen ihn eingeleitete Strafverfolgung ein und machte geltend, dass ihn seine Funktion als Verteidigungsminister zum Zeitpunkt der Taten vor einer möglichen Strafverfolgung in der Schweiz geschützt habe.

Das Bundesstrafgericht wies die Beschwerde allerdings mit der Begründung ab, dass es ausgeschlossen sei, sich bei internationalen Verbrechen auf eine Immunität zu berufen.

2017 stellte die Bundesanwaltschaft das Verfahren mit der Begründung ein, dass Anfang der 1990er-Jahre in Algerien kein bewaffneter Konflikt bestanden habe, woraufhin die klagenden Parteien beim Bundesstrafgericht Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung einreichten.

Das Bundesstrafgericht gab schliesslich 2018 seine Entscheidung bekannt, die Einstellung des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft aufzuheben, sodass diese die Untersuchung wieder aufnehmen musste. Kriegsverbrechen sind in der Schweiz seit 1968 strafbar, unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers. Die Schweiz ratifizierte die Genfer Konventionen am 31. März 1950, Algerien am 20. Juni 1960.