Alt Bundesrat im «Bluewin»-InterviewChristoph Blocher: «Meine Frau sehnt sich längst nach meinem Ruhestand»
Silvana Guanziroli
1.2.2019
Seine Mission ist die Rettung der Schweizer Unabhängigkeit. Deshalb zieht alt Bundesrat Christoph Blocher gegen das EU-Rahmenabkommen in die Schlacht. Seine Fans lieben ihn, seine Gegner glauben, er jage einem Phantom nach. In der «Bluewin»-Rubrik «Jetzt mal ehrlich» nimmt er Stellung.
Herr Blocher, sprechen wir über die EU – ein Konstrukt, welches Sie definitiv nicht mögen. Wann war Ihnen klar, dass die Schweiz nie in ein solches Gebilde eintreten darf?
Schon sehr früh. Ich war Ende 20. Damals war Friedrich Traugott Wahlen noch in der Landesregierung (bis 1965 im Bundesrat, Anm. der Redaktion). Die Schweiz trat der EFTA, der europäischen Freihandelsassoziation, bei und entschied sich gegen den Beitritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (heute EU), weil – wie Wahlen der EU erklärte – die Schweiz ihre bewährte Staatsordnung nicht aufgeben will. Es war ein klares Signal für die Unabhängigkeit der Schweiz.
Sie fühlten sich durch die EU also schon immer bedroht?
Bedroht nicht gerade. Es gibt eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf: Die unabhängige Schweiz will sich weiterhin selbst regieren. Sie ist selbstbestimmt, neutral und direktdemokratisch. Die Regelung innerer Angelegenheiten kann nicht Sache anderer Staaten sein! Die Bürger sind die Gesetzgeber und dank dem Föderalismus, können Kantone auch selbstbestimmt handeln.
Diese Abgrenzung ist wieder brandaktuell. Der Bundesrat hat das Rahmenabkommen mit der EU nicht abgelehnt, er hat es in die Konsultation geschickt. Damit sind Sie ganz und gar nicht zufrieden.
Diese Konsultation ist eine Propaganda-Aktion, um das Parlament zu einem Ja zu bringen. Der Bundesrat wollte weder Nein noch Ja sagen. Also beschloss er, die Entscheidung zu vertagen. Ich befürchte, dass Bundesrat und die Parlamentsmehrheit nicht die Kraft haben, die Unabhängigkeit vor den drängelnden EU-Kommissaren zu verteidigen. Also kommt es zur Volksabstimmung.
Erfreulich ist, dass sich immer mehr Vertragsgegner zu Wort melden, nachdem das Abkommen offengelegt wurde. So befürchten die Kantone zu Recht, dass sie durch das Rahmenabkommen die Steuerhoheit verlieren. Die Umweltschützer merken, dass die EU das Gentechnikverbot verbieten würde und schliesslich merken jetzt auch die Gewerkschaften, dass der Lohnschutz dann nicht mehr in Bern, sondern in Brüssel entschieden wird.
Wie oft telefonieren Sie in dieser Frage mit Bundesrat Ueli Maurer?
Hin und wieder, ist doch klar. Aber auch mit anderen Bundesräten. Tatsächlich war dieses Rahmenabkommen schon im Gespräch als ich noch Bundesrat war. Und schon damals hatte ich mich gegen jede institutionelle Bindung gewehrt. Nachher – 2013 – forderte die EU eine institutionelle Anbindung an die EU – die Schweiz solle sich für fremdes Recht und fremde Richter verpflichten. Leider willigten der Bundesrat und die Mehrheit des Parlamentes ein. Was könnte das heissen? Vieles könnte uns blühen. Zum Beispiel, dass EU-Bürger im Nachgang zur Personenfreizügigkeit das Stimmrecht auf Gemeindeebene bekommen.
Sie sprechen bereits von einem Referendum, sollte der Bundesrat sich für das Rahmenabkommen entscheiden. Wieviel Zeit und Geld werden sie dafür verwenden?
Ich habe mich aus dem Nationalrat zurückgezogen, um mich ganz dieser Sache zu widmen. Wieviel Geld ich hier reinstecke, weiss ich noch nicht. Kommt Zeit – kommt Rat.
Ihre Fans sind glücklich, schützen Sie die Schweiz vor der EU. Für Ihre Gegner haben Sie sich verbissen. Was sagen Sie dazu?
Vergleiche ich mein Engagement mit meinem Kampf 1992 gegen den EWR/EU-Beitritt (Europäischer Wirtschaftsraum, Anm. der Redaktion), dann gibt es einen deutlichen Unterschied. Ich stehe heute nicht mehr so einsam da. Die Front geht weit über meine Fangemeinde hinaus und auch die SVP steht 2019 ganz hinter der Sache, was vor 27 Jahren anders war. Für die, welche die Schweiz aus eigennützigen Gründen preisgeben wollen, mag das verbissen erscheinen.
Trotzdem. Sie sind keine 20 mehr. Gibt es Momente, in denen Sie es leid sind zu kämpfen oder Ihre Frau sagt, lass gut sein, geniess lieber deine Rente?
Würde ich auf meine Frau hören, dann wäre ich schon längst im Ruhestand. Bei dieser Frage darf man aber nicht auf seine Frau hören. Wobei sie wohl recht hat, schöner wäre es sicher (lacht). Aber dafür bin ich nicht da, denn die Verhinderung dieses Unterwerfungsvertrages braucht Zeit, Kraft, persönliche Unabhängigkeit und viel Erfahrung. Und das habe ich. Und neue jüngere und unverbrauchte Kräfte rücken nach. Aus diesem Grund hat Roger Köppel das Präsidium von EU-No, dem Komitee gegen den schleichenden EU-Beitritt, übernommen.
Ihre Nachfolge ist also geregelt.
Ja, überall. Alle meine Unternehmen habe ich abgegeben, die gehören mittlerweile meinen Kindern und sie führen sie gut. Ich habe mich aus dem Nationalrat und der Parteileitung zurückgezogen, Jüngere rücken nach. Roger Köppel ist einer, meine Tochter Magdalena Martullo ebenfalls und eine ganze Reihe talentierter SVP-Nationalräte. Aber es gibt natürlich viele, die den mühsamen Weg, den ich gegangen bin, nicht gehen wollen. Sie haben Angst, vom Establishment auf den 'Grind' zu bekommen. Ich kann dies ertragen.
Wirklich immer? Es ist ja nicht nur lustig, angegriffen zu werden.
Nein, aber man muss es in Kauf nehmen – der guten Sache willen.
Kommt es zur Volksabstimmung beim Rahmenabkommen, haben Sie keine Garantie, dass Sie damit durchkommen. Es könnte für Sie die erste Niederlage in der EU-Frage werden. Das könnte Ihr Vermächtnis schmälern.
Ich schaue nicht auf mein Vermächtnis. Aber: wird die schweizerische Unabhängigkeit preisgegeben, sehe ich wirklich schwarz für die Schweiz. Ich war mein Leben lang ein schweizerischer Exportunternehmer. Wenn hier aber plötzlich die gleichen, für den Schweizer Standort schlechten Bedingungen vorherrschen, wie in der EU, gibt es ja keinen Grund mehr mit der Firma in der Schweiz zu produzieren. Und so denken viele Unternehmer. Sie wechseln dann schnell den Standort, was die Schweiz hart treffen würde.
2019 ist ein Wahljahr. Ein klassisches SVP-Thema ist die Migration. Doch derzeit gibt es so wenig Zuwanderung, wie schon lange nicht mehr. Fehlt der Partei das Kernthema?
Wenig Zuwanderung? Da lassen Sie sich aber in die Irre führen. Gehen Sie auf die Strasse, in den Hauptbahnhof Zürich oder Bern, und schauen Sie! Als ich im Amt war, konnte ich die Asylzahlen von über 20'000 auf rund 10'000 reduzieren. Und hätten sie mich nicht aus dem Amt vertrieben, wären es im Folgejahr 2008 5000 gewesen. Seither sind wir wieder weit darüber.
2015 waren wir auf fast 40'000, was mit der offenen Balkanroute und dem Syrienkonflikt zu tun hatte. Im letzten Jahr waren es, Stand Ende September, aber nur noch 11'484 Gesuche...
…was heisst hier «nur noch». Der überwiegende Teil sind nicht an Leib und Leben Verfolgte. Heute sagt man jedem, der kommt, er sei ein Flüchtling, auch all die Wirtschaftsflüchtlinge. Eine richtige Lotterordnung haben wir bei den vorläufig Aufgenommenen. Fast alle bleiben hier – für Jahre. Mittlerweile liegt diese Zahl bald so hoch wie jene der anerkannten Flüchtlinge. Und sind die Personen erst mal fünf Jahre hier, können sie bleiben. Ab dann tragen die Gemeinden die Kosten. Das wird noch mächtig für Ärger sorgen. Für gewisse Gemeinden betragen diese Sozialkosten schon heute über die Hälfte ihres Budgets!
Bei der Zuwanderung aus der EU sind die Zahlen hingegen auch niedriger.
Bei der Einführung der Personenfreizügigkeit 1999 versprach man von höchster Ebene, es kommen 8'000 maximal 10'000 pro Jahr. Heute sind es insgesamt 3 bis 4-mal mehr. Und sie können hier bleiben.
Aber es bleiben nicht alle. Im Gegenteil. Die Zahl der Abwanderung hat zugenommen.
Sagen wir es so. Wir sind jetzt auf einem Stand von netto 30'000 bis 40’000 Personen pro Jahr, die 2018 aus dem EU-Raum in die Schweiz übergesiedelt sind. Das ist zwar weniger als die über 70’000 in Spitzenjahren. Aber immer noch deutlich mehr als das, was mal versprochen wurde und tragbar ist. Darum haben Volk und Kantone der Masseinwanderungsinitiative zugestimmt, aber das Parlament hat diesen Verfassungsartikel nicht umgesetzt. Und dann haben wir auch noch über 300’000 Grenzgänger, was mit dem institutionellen Abkommen ein neues Problem wird. Sollten diese bei den Sozialleistungen und der Rente mit den Schweizern gleichgestellt werden, wird uns das Milliarden Franken pro Jahr kosten.
Die Zuwanderung wird also weiter von der SVP beackert?
Was heisst beackert? Die SVP will das gigantische Zuwanderungsproblem lösen. Dazu wären die Politiker gewählt. Weil sie nicht handelten, hatten wir auch mit der Masseneinwanderungs- und der Ausschaffungsinitiative solchen Erfolg.
Seither hat die SVP keine Volksinitiative mehr durchgebracht.
Das ist der normale Verlauf von Volksinitiativen. Auch wenn wir verloren haben, hat die SVP gewonnen. Eine Volksinitiative lancieren darf man nur, wenn daraus eine Win-Win-Situation entsteht. Das war auch bei der Selbstbestimmungsinitiative der Fall. Wir haben zwar verloren, aber die Gegenpartei hat im Abstimmungskampf die direkte Demokratie und den Verfassungsvorrang beschworen. Also ein Gewinn. So funktioniert Politik.
Für die Wahlen kann die SVP eigentlich nur ein Ziel haben. Wieder rund 30 Prozent erreichen. Schafft sie das? Die Prognosen sind ja nicht so günstig.
Ich weiss es nicht. Die Prognosen waren schon bei den letzten Wahlen schlecht und dann haben wir fast unanständig um viele Stimmen zugelegt. Wir werden sehen.
Der Ruhestand ist für Sie noch kein Thema. Doch nicht mehr alle trauen Ihnen die gleiche Schlagkraft zu. Wahlbeobachter Claude Longchamp zum Beispiel sagt, die Ära Blocher ist definitiv vorbei. Was sagen Sie dazu?
Claude Longchamp lag mit seinen Fehlprogosen oft daneben. Vielleicht auch weil er im Vorstand der SP sass. Das Schönste, was mir passieren kann, ist dass man mich nicht mehr braucht, weil wieder alle die Unabhängigkeit der Schweiz verteidigen. Vielleicht kommt es dazu, dass alle Politiker wieder zu den traditionellen Werten der Schweiz stehen.
STORY: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat mit grosser Mehrheit einen sofortigen, bedingungslosen und dauerhaften Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen sowie die sofortige Freilassung aller Geiseln gefordert. 158 Vertreter der 193 Mitglieder zählenden Generalversammlung stimmten für den Antrag. Deren Resolutionen sind nicht bindend, haben aber politisches Gewicht und spiegeln eine globalere Sicht auf den Krieg wider. Die USA, Israel und sieben andere Länder stimmten gegen die Resolution, mehrere Staaten enthielten sich. Das Gremium in New York hatte bereits im vergangenen Jahr einen Waffenstillstand im Gazastreifen gefordert.
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