Steigende Coronazahlen Kritik an BAG-Kampagne: «Die Leute wollen Führung»

Von Gil Bieler

9.10.2020

Eine Informationstafel mit den Hygiene- und Abstandsregeln wird in Bern montiert.
Eine Informationstafel mit den Hygiene- und Abstandsregeln wird in Bern montiert.
Bild: Keystone/Peter Klaunzer

Die Covid-Fallzahlen steigen wie seit Monaten nicht mehr. Nun kritisiert Kommunikationsexpertin Suzanne Suggs: Die Kampagne des Bundesamts für Gesundheit funktioniert nicht. Sie fordert einen ganz neuen Ansatz.

Die Coronavirus-Fallzahlen steigen so rasch an wie seit Anfang April nicht mehr. Die Gründe dafür stehen noch nicht eindeutig fest – Experten verweisen auf den Rückzug in Innenräume wegen der sinkenden Temperaturen und vermehrte Tests, Bundesrat Alain Berset beklagte jüngst eine wachsende Sorglosigkeit gerade im Familienkreis.

Am Anstieg der Fallzahlen zeige sich gleichzeitig aber auch, dass die Kommunikationsstrategie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) nicht wirke, findet Suzanne Suggs. Sie ist Professorin für Soziales Marketing an der Universität Lugano und als Expertin für öffentliche Gesundheitskommunikation Mitglied der Science-Taskforce.



In den BAG-Kampagnen gehe es primär darum, zu informieren: «Doch das ist nicht genug, um Leute zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen», sagt die Kommunikationsexpertin zu «blue News».

Die Kernbotschaften würden zwar ständig wiederholt und seien auch einfach formuliert – sogar zu einfach. «Wir lesen und hören ständig ‹Wascht die Hände› und ‹Haltet Abstand›. Weshalb dieses Verhalten so wichtig ist, darüber werde jedoch nicht aufgeklärt», kritisiert Suggs. Denn auch wenn die Krise schon seit Monaten andauere, müsse man weiterhin diese Aufklärungsarbeit leisten: «Die Leute wollen Führung.»

Eine neue Message

Zwar gaben die BAG-Verantwortlichen heute Freitag vor den Medien bekannt, dass die Signalfarbe der Informationskampagne wegen der jüngsten Entwicklung auf Orange umgestellt werde. Suggs aber wünscht sich einen komplett neuen Ansatz: Man sollte der Bevölkerung vor Augen führen, welche Freiheiten wir uns bewahren könnten.

«Wenn wir diszipliniert bleiben, können wir weiterhin ins Restaurant gehen, in eine Bar, ins Büro oder zur Schule. Wir können einen zweiten Lockdown verhindern. Das sind alles positive Aspekte, um die wir gemeinsam kämpfen müssen.»

Neuseeland mache es vor: Die dortige Kampagne appelliert an ein Wirgefühl. «Unite Against Covid-19» lautet ein Slogan, zu Deutsch: «Gemeinsam gegen Covid-19». Ein anderer lässt sich übersetzen mit: «Bleib zu Hause, rette Leben.» «Auch die Schweiz müsste besser betonen, dass wir alle Teil einer Gemeinschaft sind», sagt Suggs.

Junge spüren eine «Corona-Müdigkeit»

Beim BAG verteidigt man die Präventionskampagne: «Die Kampagne erreicht die Leute, aber es ist eine ‹Corona-Müdigkeit› zu spüren», heisst es auf Anfrage. «Kampagnen können hinsichtlich Aufmerksamkeit für ein Thema vieles leisten. Einstellungsänderungen oder Verhaltensänderungen sind aber auch von sehr vielen anderen Faktoren abhängig.»

Dass die Plakate und Spots zu wenig präsent wären, scheint auch nicht das Problem zu sein. So gaben in einer Umfrage Ende Juli 89 Prozent der Teilnehmer an, dass sie die BAG-Kampagnen wahrgenommen hätten. Doch sank die Zustimmung zur Aussage «Ich trage Verantwortung, dass die Verbreitung des neuen Coronavirus verlangsamt wird» – besonders bei den 18- bis 24-Jährigen. «Dies deutet auf eine gewisse Corona-Präventionsmüdigkeit bei den jungen Erwachsenen hin», heisst es im Bericht.

«Mach's einfach» – der richtige Tonfall?

Die aktuelle BAG-Kampagne legt daher auch einen Fokus auf die junge Altersgruppe. Die Plakate und Spots thematisieren unter anderem das Nachtleben, werden auf den sozialen Medien und der Gaming-Plattform Twitch platziert. Ausserdem duzt man die Bevölkerung: Der Slogan der Kampagne lautet: «Mach's einfach.» Womit natürlich gemeint ist, dass man sich an die Verhaltensregeln halten solle.

Ein guter Ansatz, findet Suggs. Doch die Formulierung sei nicht optimal. Der Ton sei herablassend. «Mach’s einfach», als würde man einem Kind etwas anordnen. Dabei dürfe man nicht unterschätzen, dass gerade junge Menschen solche Anweisungen kritisch hinterfragten, sagt die Professorin, und beruft sich auf ihre Erfahrung im Uni-Alltag. Junge müsse man mit wissenschaftlichen Fakten und guten Gründen überzeugen, was in den aktuellen Plakaten fehle.

Soll junge erreichen: die aktuelle Covid-Kampagne des Bundesamts für Gesundheit.
Soll junge erreichen: die aktuelle Covid-Kampagne des Bundesamts für Gesundheit.
Quelle: BAG

Eine gute Kommunikationskampagne spreche verschiedene Zielgruppen individuell an, liefere überzeugende Argumente und werde mit Feedback aus dieser Zielgruppe weiter optimiert. Denn: «Ein Slogan allein kann das Verhalten der Leute nicht verändern.»

Mit Blick auf die anstehende kältere Jahreszeit heisst es beim BAG: «Weitere Teilkampagnen sind in Arbeit. Die vermehrt in der kalten und nassen Jahreszeit auftretenden Krankheitssymptome sind dabei ein Thema.»

Keine zusätzlichen Pressekonferenzen geplant

Nun, da die Fallzahlen auf ein Niveau wie zuletzt im Frühling hochgeschnellt sind, fällt ein Unterschied in der Kommunikation der Behörden besonders auf: Daniel Koch, ehemaliger «Mr. Corona» des Bundes, war damals auf allen Kanälen präsent.

Sein Nachfolger Stefan Kuster tritt deutlich weniger in Erscheinung. Bräuchte es angesichts der jüngsten Entwicklung wieder häufigere Pressekonferenzen? Darauf antwortet das BAG mit einem einzigen Wort: «Nein.» 

Eine verpasste Chance, findet Suzanne Suggs: «Die Behörden sollten jede Chance nutzen, zur Bevölkerung zu sprechen. Das Thema ist zu ernst.» 


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