Flüchtlingssituation Darum stellen immer mehr Türkinnen und Türken Asylgesuche in der Schweiz

tchs

29.10.2022

Das Staatssekretariat für Migration - hier Staatssekretärin Christine Schraner Burgener - verzeichnet einen Anstieg von Asylanträgen aus der Türkei.
Das Staatssekretariat für Migration - hier Staatssekretärin Christine Schraner Burgener - verzeichnet einen Anstieg von Asylanträgen aus der Türkei.
Bild: KEYSTONE

In der Schweiz spitzt sich die Situation um Geflüchtete zu, Kapazitäten werden knapp. Doch nicht nur aufgrund des Ukraine-Kriegs steigen die Asylgesuche. Viele Anträge stammen aus der Türkei. Aber warum?

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In der Schweiz hat sich eine prekäre Flüchtlingssituation entwickelt, die Lage ist so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die zahlreichen Menschen, die hierzulande Schutz suchen, bringen den Bund zunehmend an die Kapazitätsgrenzen, wie das SRFberichtet. Ein Grund hierfür ist der Ukraine-Krieg: Seitdem russische Truppen Ende Februar das Nachbarland angriffen, hat die Schweiz insgesamt etwa 70'000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen.

Allerdings steigen auch Asylgesuche aus anderen Ländern, wie das Staatssekretariat für Migration SEM bekannt gab. Insbesondere Menschen aus der Türkei bitten in der Schweiz um Asyl. Doch woran liegt das?

Menschenrechtslage ist «sehr schlecht»

Adrian Schuster, Länderexperte der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und Türkei-Spezialist, erklärte gegenüber dem SRF, man müsse die Zahlen «etwas relativieren». Demnach gehört die Türkei schon seit Jahren zu den Herkunftsländern mit den meisten Asylgesuchen.

Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 beobachtete das Staatssekretariat für Migration jedoch einen kontinuierlichen Anstieg von Asylgesuchen aus der Türkei. Dabei habe sich der Hauptgrund laut Schuster nicht verändert: «Die menschenrechtliche Lage in der Türkei ist sehr schlecht», so der Experte. Es herrsche Repression gegen oppositionelle und kritische Stimmen.

Auf Anfrage des SRF benennt die SEM noch zwei weitere Ursachen: Einerseits die Pandemie, andererseits steigende Nahrungsmittel- und Energiepreise. Die Volkswirtschaften der Herkunftsländer seien geschwächt, das gelte auch für die Türkei.

Nicht nur Kurdinnen und Kurden wollen aus der Türkei fliehen.
Nicht nur Kurdinnen und Kurden wollen aus der Türkei fliehen.
Bild: KEYSTONE

Wie die Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Donnerstag berichtete, handle es sich bei den Asylsuchenden vorwiegend um Kurdinnen und Kurden. Das SEM veröffentlicht neben der Nationalität keine weiteren Informationen, Schuster unterstreicht jedoch, dass es sich nicht nur um kurdische Asylsuchende handelt.

Als zweite grosse Gruppe nennt er mutmassliche und tatsächliche Anhänger der Gülen-Bewegung. Türkische Behörden machen sie für den Putsch 2016 verantwortlich.

Präsidentschaftswahlen 2023 verschärfen Repression

Die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr verschärfen laut Schuster die Repression. Beispielhaft nennt er die Verhaftung der Popsängerin Gülsen, die vor vier Monaten einen Scherz über religiöse Schulen machte. «Die Verhaftung dieser Frau stellt konservative Kreise in der Türkei zufrieden, um Wählerschaft zu gewinnen», so Schuster.

Diese Wählerschaft begünstigt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. «Wer der Regierung quer kommt, kann vermehrt in den Fokus der Behörden geraten», berichtete Schuster im SRF-Interview.

Das SEM glaubt, dass die Asylanträge aus der Türkei bis zum Wintereinbruch weiter zunehmen werden. Die zukünftige Entwicklung schätzt die Behörde folgendermassen ein: Über den Winter hinaus soll ein leichter Rückgang erfolgen, doch im Verlauf des Frühjahrs 2023 sollen die Asylanträge wieder zunehmen. Die längerfristige Entwicklung sei laut SEM vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen sowie der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig.