«Waffe» in Moskaus Informationskrieg Russischer Song geht viral – doch was steckt wirklich dahinter?

Lea Oetiker

9.3.2025

Die beiden Mädchen singen den Song «Sigma Boy».
Die beiden Mädchen singen den Song «Sigma Boy».
Screenshot YouTube

Zwei junge russische Mädchen haben mit ihrem Song «Sigma Boy» einen viralen Hit gelandet. Kiew bezeichnet den Ohrwurm als «Waffe» in Moskaus Informationskrieg. Das steckt dahinter.

Lea Oetiker

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Song «Sigma Boy» von den jungen russischen Sängerinnen Betsy und Marija Jankowskaja ist ein viraler Hit.
  • Mittlerweile ist er international bekannt.
  • Der Song ist jedoch umstritten, da er als Teil des russischen Informationskrieges und als Förderer patriarchalischer Weltanschauungen kritisiert wird.

Sie tanzen auf einer Bühne in farbigen Plüschjacken. «Sigma, Sigma Boy, Sigma Boy, Sigma Boy», singen die beiden Mädchen dabei. Die Bühne wird dabei von einer farbigen Lichtshow beleuchtet. 

Die beiden Mädchen sind die 11-jährige Swetlana Tschertischtschewa – auch unter dem Künstlernamen «Betsy» bekannt – und die 12-jährige Marija Jankowskaja. Betsy sing bereits seit Jahren Kindersongs, Marija ist regelmässig im russischen Kinderfernsehsender CTC Kids zu sehen.

Wer den Song kennt, weiss: Der Ohrwurm wird man kaum wieder los. Und das, obwohl «Sigma, Sigma Boy, Sigma Boy, Sigma Boy» der einzige Teil im Lied ist, den man überhaupt versteht. Der Rest ist russisch.

Der Song ist im Oktober 2024 erschienen, und mittlerweile ist er international bekannt. Auf TikTok tanzen Influencer und Stars wie Dieter Bohlen zur Melodie. Auf Youtube wurde der Clip bereits über 91 Millionen Mal aufgerufen. In den Charts erreicht er hohe Platzierungen.

Den Song geschrieben hat Betsys Vater Michail Tschertischtschew, ein russischer Musikproduzent, in Zusammenarbeit mit dem Rockmusiker Mukka. 

Ein toxisches Männerbild

Doch was hat es mit diesem Song auf sich? Eigentlich hätte es laut Michail Tschertischtschew ein Kindersong werden sollen. Mukka hatte für den Song nach den beliebtesten Begriffen im Internet-Slang gegoogelt, wie er gegenüber einem russischen Medium erzählt. Dabei landete er mit «Sigma» einen Volltreffer.

Das Wort «Sigma» wird vor allem im Zusammenhang mit «Sigma Male» gebracht. Sigma-Männer werden häufig als Einzelkämpfer, Aussenseiter und Alleingänger mit Charaktereigenschaften wie Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit angesehen, die niemanden ausser sich selbst als wertvoll erachten. Sie richten sich an ihren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen aus.

Vor allem die Manosphäre – eine Gruppe von Online-Gemeinschaften mit frauenfeindlichen Ansichten – propagiert dieses Männerbild. Dabei sehen sie Patrick Bateman aus «American Psycho» als Ideal. 

Im Lied singen die beiden Mädchen über einen Flirt mit einem solchen «Sigma Boy»: «Jedes Mädchen will mit dir herumtanzen», sagen sie.

Eine «patriarchalische und prorussische Weltanschauungen»

Ist das Lied also einfach ein wieder einmal fragwürdiger Ohrwurm? Nein, findet die deutsche Europaabgeordnete Nela Riehli. Im Dezember in Strassburg befürchtete sie, dass das Lied «patriarchalische und prorussische Weltanschauungen» vermittle. Es sei ein Beispiel für «russische Unterwanderung» des öffentlichen Diskurses durch soziale Medien.

Diese Kritik wollte Russland nicht auf sich sitzen lassen. «Im Westen begnügt man sich nicht damit, alles Russische abzulehnen», schrieb Leonid Sluzki, ein russischer Politiker und Duma-Abgeordneter, auf Telegram. «Jetzt haben europäische Politiker sogar Angst vor russischen Kindern.» Und triumphierte: «Die weiche Macht der russischen Kultur siegt in der globalen Pop-Szene.»

Doch vor wenigen Wochen bezeichnete auch Kiew «Sigma Boy» als «Waffe» in Moskaus Informationskrieg. Das ukrainische Zentrum für die Bekämpfung von Desinformationen erklärte, dass der Song zwar harmlos erscheinen möge, aber bei jungen Menschen ein positives Russlandbild und die Idee von Dominanz und Männlichkeit fördere.

Sexualisierung von Kindern?

Doch nicht allen in Russland gefällt der Song. Eine ultrakonservative russisch-orthodoxe Bewegung hat die Schöpfer des Liedes der Sexualisierung von Kindern beschuldigt.

«Sigma Boy» wird jedoch weiterhin auf Dauerschleife abgespielt. Mittlerweile gibt es sogar einen Trap- und Techno-Remix davon.