BVG-Reform Ein grosser Brocken im Kampf um die 2. Säule ist geschafft

Von Gil Bieler

28.2.2023

Ergreift die SP das Referendum? Die Partei der Co-Präsidentin und Zürcher Nationalrätin Mattea Meyer ist mit dem Verlauf der Debatte über die BVG-Reform unzufrieden.
Ergreift die SP das Referendum? Die Partei der Co-Präsidentin und Zürcher Nationalrätin Mattea Meyer ist mit dem Verlauf der Debatte über die BVG-Reform unzufrieden.
Bild: Keystone/Anthony Anex

Die Reform der zweiten Säule ist dringend nötig, sehr teuer – und darum umstritten. Doch nun bringen die Beratungen im Nationalrat Fortschritte in gleich mehreren Punkten. Der Überblick.

Von Gil Bieler

28.2.2023

Es ist mit die umstrittenste Frage der Schweizer Politik: Wie soll der Ruhestand der Rentner*innen finanziert werden? Das Thema wird heute Dienstag auch im Nationalrat diskutiert – einmal mehr.

Konkret geht es um die Renten aus der beruflichen Vorsorge (BVG), der zweiten Säule. Die werden schrumpfen, weil der sogenannte Umwandlungssatz von heute 6,8 Prozent auf 6 Prozent sinkt.

Dieser Prozentsatz entscheidet, wie viel BVG-Rente jemand auf sein angespartes Kapital erhält. Ein Rechenbeispiel: Pro 100'000 Franken Altersguthaben gibt es heute eine Rente von 6800 Franken pro Jahr. Mit dem gesenkten Umwandlungssatz wären es noch 6000 Franken.

Es gibt also weniger Geld im Alter. Doch Betroffene aus jenen 15 Jahrgängen, die gleich nach Inkrafttreten der Reform pensioniert werden, sollen entschädigt werden. Aber wie genau? Darüber wird im Stände- und Nationalrat heftig gestritten. 

Wo gab es eine Einigung?

Bei den Kompensationszahlungen für die Übergangsjahrgänge. Der Nationalrat beschloss am Dienstag, auf das Modell des Ständerats umzuschwenken. Er folgte damit dem Vorschlag seiner zuständigen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit.

Der Lösungsansatz des Ständerats kam in der Wintersession nach einer Marathon-Debatte zustande und besagt: Rund die Hälfte der Versicherten in den Übergangsjahrgängen sollen von einem lebenslangen Rentenzuschlag profitieren. Wie hoch dieser ausfällt, richtet sich nach dem angesparten Pensionskassen-Guthaben.

Wer beim Eintritt ins Pensionsleben ein Altersguthaben von 215'100 Franken oder weniger angehäuft hat, soll den vollen Zuschlag erhalten. Wer dagegen mehr als 430'200 Franken auf der hohen Kante hat, erhält gar keinen Zuschlag. Diese Lösung sei zielgerichtet, befand auch die Nationalrats-Kommission.

Bisher verfolgte der Nationalrat einen anderen Ansatz und wollte weniger Geld in die Hand nehmen als der Ständerat. Nur rund 35 bis 40 Prozent der Rentner*innen der 15 Übergangsjahrgänge sollten eine Kompensation erhalten, statt 50 Prozent wie bei der Ständerats-Variante.

Die Ratslinke wollte zum ursprünglichen, vom Bundesrat unterstützten Kompromiss der Sozialpartner zurückkehren, der allen Betroffenen der Übergangsjahrgänge eine Entschädigung zugestehen sollte. Doch im Nationalrat blieben diese Stimmen erfolglos. Bundesrat und Innenminister Alain Berset kritisierte, dass die Hälfte der Betroffenen mit dem nun beschlossenen Modell keine Kompensation erhielte.

Wo gibt es weiterhin Differenzen?

Beim sogenannten Koordinationsabzug. Doch auch in diesem Bereich kamen sich die Räte am Dienstag näher.

Der Koordinationsabzug wird vom Brutto-Jahreslohn abgezogen. Nur das Geld, das übrigbleibt, ist in der Pensionskasse versichert.

Heute ist der Koordinationsabzug als Fixbetrag von rund 25'725 Franken ausgestaltet. Dieser relativ hohe Betrag führt dazu, dass Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen oder solche, die für mehrere Arbeitgeber tätig sind, ihr Einkommen nicht oder kaum in einer Pensionskasse versichern können.

Neu soll ein prozentualer Abzug gemacht werden. So viel steht schon einmal fest. Der Nationalrat sprach sich am Dienstag für einen Abzug von 20 Prozent aus. Bislang wollte er an einem Fixbetrag festhalten. 

Damit rückt in dieser Frage ein Kompromiss näher. Auch der Ständerat will einen prozentualen Abzug, schlägt aber 15 Prozent vor.

SP-Bundesrätin Barbara Gysi verfolgt die Debatte um die BVG-Reform in Bern. 
SP-Bundesrätin Barbara Gysi verfolgt die Debatte um die BVG-Reform in Bern. 
Bild: KEYSTONE

Wie geht es im Parlament weiter?

Der Nationalrat berät am heutigen Dienstag und – wenn nötig – auch noch am 13. März über die Reform der beruflichen Vorsorge. Der Ständerat hat sich das Thema für den 2. März vorgenommen. Doch ob sich die Räte in der Frühjahrssession einig werden, ist alles andere als sicher. Und ohnehin dürfte das letzte Wort nicht im Bundeshaus fallen.

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Kann sich auch das Stimmvolk dazu äussern?

Ziemlich sicher ja. Die Gewerkschaften haben bereits das Referendum gegen die BVG-Reform angekündigt, noch bevor die Beratungen zu Ende wären. Denn für eine aus ihrer Sicht akzeptable Lösung sieht Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), keine reelle Chance mehr. Der SGB bevorzugt nach wie vor den Kompromissvorschlag der Sozialpartner, der im Parlament unterging.

Womöglich erhält der SGB noch Unterstützung der SP. Auch die Sozialdemokrat*innen sind unzufrieden damit, wie sich die Ratsdebatte entwickelt. Sollte sich im Parlament eine Version durchsetzen, «welche die Ziele verfehlt, viel kostet und zu Rentenkürzungen führt», sei das Referendum nötig. So heisst es in einer Resolution zum Thema, das am SP-Parteitag vom Wochenende in Granges-Paccot FR beschlossen wurde.

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

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