Illegale Adoptionen aus Sri Lanka«Der Mutter wurden ohne ihr Wissen beide Kinder genommen»
Von Nicole Agostini und Gil Bieler
5.5.2023
«Der Mutter wurden ohne ihr Wissen beide Kinder genommen»
Hunderte Babys aus Sri Lanka wurden bis in die 90er-Jahre illegal in die Schweiz gebracht. Der Bund hilft den Adoptierten jetzt bei der Suche nach ihren Wurzeln. Gibt es erste Erfolge? Das weiss Sarah Ramani Ineichen vom Verein «Back to the Roots».
04.05.2023
Hunderte Babys kamen bis in die 90er-Jahre illegal aus Sri Lanka in die Schweiz. Der Bund hilft den Adoptierten bei der Suche nach ihren Wurzeln. Sarah Ramani Ineichen vom Verein «Back to the Roots» zieht eine erste Bilanz.
Von Nicole Agostini und Gil Bieler
05.05.2023, 06:32
05.05.2023, 09:00
Nicole Agostini und Gil Bieler
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Über Jahrzehnte hinweg wurden Babys aus Sri Lanka über illegalem Weg an Adoptiveltern in der Schweiz vermittelt.
Die Behörden wussten Bescheid, schauten aber weg.
Bundesrat, Kantone und der von Adoptierten gegründete Verein «Back to the Roots» haben im Mai 2022 ein Abkommen unterzeichnet, um Betroffene stärker zu unterstützen.
Ein Jahr später kann Sarah Ramani Ineichen von «Back to the Roots» eine positive erste Bilanz ziehen.
Es ist eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte: Zwischen den 70er- und den 90er-Jahren wurden fast 900 Babys aus Sri Lanka mittels illegaler Praktiken in die Schweiz zur Adoption gegeben.
Besonders stossend: Die Schweizer Behörden schauten weg, obwohl sie eindeutige Hinweise auf diese illegalen Machenschaften hatten. Das zeigt ein Bericht von 2020. Der Bundesrat hat diese Versäumnisse mittlerweile anerkannt und sein Bedauern geäussert.
Über 50 Adoptierte aus Sri Lanka haben sich gemeldet
Doch was ist mit den adoptierten Kindern von damals? Sie sind längst erwachsen – und wissen oft immer noch nicht, wo ihre familiären Wurzeln liegen. Deshalb beschlossen Bund und Kantone vor einem Jahr, die Betroffenen verstärkt bei der Herkunftssuche zu unterstützen.
Im Mai 2022 unterzeichneten Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die damals noch dem Justizdepartement vorstand, sowie Vertreter*innen der Kantone und des Vereins «Back to the Roots» ein entsprechendes Abkommen.
Seither ist einiges geschehen, sagt Sarah Ramani Ineichen, Präsidentin von «Back to the Roots», im Gespräch mit blue News. Im letzten Jahr hätten sich 54 adoptierte Personen aus Sri Lanka gemeldet, hinzu kämen 60 weitere Betroffene aus anderen Ländern.
Wie ihre Bilanz nach einem Jahr ausfällt, erfährst du im Video oben.
Aufwendige Abklärungen in Sri Lanka
Anlaufstelle für Adoptierte
«Back to the Roots» wurde 2018 von Adoptierten aus Sri Lanka gegründet. Der Verein setzt sich für die Interessen adoptierter Personen aus Sri Lanka in der Schweiz ein, will die Vernetzung stärken und bei der Herkunftssuche helfen. Kontakt für Betroffene: info@backtotheroots.net.
Pro Jahr stellten Bund und Kantone maximal 250'000 Franken zur Verfügung, um die Herkunft von 20 Personen zu klären. «Bloss wurde diese Zahl bereits unmittelbar nach der Unterzeichnung dieses Abkommens erreicht», sagt Ineichen. «Wir sind darum gleich in die Verhandlungen für ein Folgeabkommen eingestiegen, damit wir nicht schon Anfang 2022 Betroffene abweisen mussten.»
Die Nachforschungen in Sri Lanka sind aufwendig. «Back to the Roots» schaltet Zeitungsinserate und hängt Plakate aus. Wenn sich Familien melden, sponsert der Verein auch DNA-Tests, um eine allfällige Verwandtschaft abzuklären. Dass der Inselstaat südlich von Indien in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise steckt, erschwert die Abklärungen zusätzlich.
Wiedervereinigung ist ein Szenario, aber nicht das einzige
Und selbst wenn eine familiäre Verbindung hergestellt werden kann, muss die Wiedervereinigung eng begleitet werden. «Die meisten Kinder wurden wegen gesellschaftlichem oder finanziellem Zwang von ihrer Mutter getrennt oder ihr sogar nach der Geburt entrissen. Das ist traumatisierend, nicht nur für die Mütter, sondern auch für die Adoptierten», sagt Ineichen.
Dadurch könnten Entwicklungsstörungen ausgelöst werden, die sich bis ins Erwachsenenleben hineinziehen. «Darum ist es uns wichtig, beide Parteien gut vorzubereiten und auch extern psychologisch zu unterstützen.»
Eine erste Familienzusammenführung steht in den nächsten Tagen an. «Es gibt da noch viel zu tun», sagt Ineichen.
Das Pilotprojekt von Bund, Kantonen und «Back to the Roots» ist auf Ende 2024 befristet. Bereits jetzt werde daran gearbeitet, um zu klären, wie es danach weitergehe, sagt Ineichen.
Rückblick: So äusserte sich die damalige Justizministerin Karin Keller-Sutter im Mai 2022 zu den illegalen Adoptionen
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