Mehr Freizeit wagen Die 4-Tage-Woche ist auch für Arbeitgeber attraktiv

Von Andreas Fischer

28.2.2022

Vier Tage arbeiten, drei Tage frei: Einige Schweizer Firmen wollen mit neuen Arbeitszeitmodellen die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden erhöhen.
Vier Tage arbeiten, drei Tage frei: Einige Schweizer Firmen wollen mit neuen Arbeitszeitmodellen die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden erhöhen.
Keystone

Weniger Arbeit, mehr Freizeit – oder beides? In der Schweiz kommen bereits einige Unternehmen mit vier Arbeitstagen pro Woche aus. Wie funktionieren die neuen Arbeitszeitmodelle? blue News hat nachgefragt.

Von Andreas Fischer

28.2.2022

Ein zusätzlicher freier Tag pro Woche für die Mitarbeitenden? Das ist nicht nur für Arbeitnehmende interessant. Auch Arbeitgeber erhoffen sich davon Vorteile. Doch wie lässt sich eine 4-Tage-Woche umsetzen? blue News hat bei zwei Schweizer Arbeitgebern nachgefragt: Im Schweizer Office der Marketingfirma Awin wird das 4-Tage-Modell bereits seit einem Jahr umgesetzt. In den Zürcher 25hours Hotels soll es in Kürze eingeführt werden.

Beide Unternehmen verfolgen unterschiedliche Ansätze, aber mit einem ähnlichen Ziel: Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden soll gesteigert werden. «Man könnte jede Woche einen Städtetrip machen. Zumindest in der Theorie», sagt Lukas Meier schmunzelnd. Meier ist General Manager der beiden 25hours Hotels in Zürich und überzeugt davon, dass sich die 4-Tage-Woche «längerfristig bezahlt machen wird».

Eine 4-Tage-Woche könne durchaus ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen sein, sagt auch der Organisationspsychologe Johann Weichbrodt von der Fachhochschule Nordwestschweiz im Interview mit blue News. «Im Kontext der Veränderung der Arbeitswelt, der Flexibilisierung, die wir gerade erleben, könnte die 4-Tage-Woche ein Modell sein.» Weichbrodt weist allerdings darauf hin, dass dieses Modell nicht nur Vorteile hat.

Volles Pensum an vier Tagen

«Eigentlich wollten wir das Modell im ersten oder zweiten Quartal 2022 einführen, allerdings hat uns Omikron einen Strich durch die Rechnung gemacht», sagt Lukas Meier. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben, zumal die in Deutschland gegründete Hotelkette die 4-Tage-Woche am Standort in Hamburg bereits erfolgreich erprobt.

«Dort wird das Modell von 80 Prozent der Mitarbeitenden angenommen», sagt Meier und ist optimistisch, dass auch die Zürcher Belegschaft mitzieht. In persönlichen Gesprächen bekommt er vorwiegend positive Signale.

Trotz 4-Tage-Woche soll in den Zürcher 25hours Hotels trotzdem das volle 100-Prozent-Pensum gearbeitet werden. Nur eben an vier statt an fünf Tagen. «Die Mitarbeiteten arbeiten dann statt 8,4 Stunden täglich 10,5 Stunden», erläutert Meier.

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Weniger Arbeit bei vollem Lohn

Bei Awin verfolgt man einen anderen Ansatz. «Wir wollten von Anfang an eine echte 4-Tage-Woche», erzählt Florian Wallner, der seit 2017 für den Zürcher Standort der Marketingfirma zuständig ist. Bereits seit einem Jahr setzt Awin das 4-Tage-Modell um, offiziell noch als Testphase.

In Zürich arbeiten sechs Leute bei Awin, weltweit sind es etwa 1'200 Mitarbeitende. Für alle gilt dasselbe, auch für den Vorstand: «Die 4-Tage-Woche wurde im ganzen Unternehmen ausgerollt, als Teil einer weitreichenden Unternehmensvision», sagt Wallner und erklärt, warum bei vollem Lohnausgleich weniger gearbeitet wird. «Das Ziel der Vision war eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit. Eine Verdichtung der Arbeitszeiten wäre diesem Ziel nicht gerecht geworden.»

Als ihm seine Vorgesetzten von der Idee einer 4-Tage-Woche erzählten, sei Wallner wie alle Mitarbeitenden überrascht gewesen. Im Rückblick findet er es aber genau richtig, dass sich «das Unternehmen dieses Ziel gesetzt hat. Es hat eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung, wenn der Vorstand sagt: Wir wollen die 4-Tage-Woche umsetzen. Das ist ein Ziel, mit dem sich viele Mitarbeitende identifizieren konnten und das sie erreichen wollten.»

Inventur der Arbeitsabläufe

Bei Awin habe die Vorstellung, künftig bei vollem Lohn nur vier Tage pro Woche arbeiten zu müssen, viel Energie und Kreativität freigesetzt. «Die Teams haben die 4-Tage-Woche als Chance begriffen, auch zu privaten Themen wie Weiterbildungen und Unikurse voranzutreiben», so Wallner. Die positiven Reaktionen hätten klar überwogen, wenngleich sich alle Mitarbeitenden von Anfang an bewusst waren, dass die Umstellung eine Herausforderung sei.

«Deswegen war es wichtig, dass von Anfangen alle Menschen im Unternehmen involviert waren, um eigene Lösungsvorschläge zu erarbeiten», erinnert sich Wallner. Bei aller Freude und Begeisterung, «waren alle pragmatisch genug, um gleich zu überlegen, wie sie das Projekt zum Laufen bekommen».

In einer Art Inventur der Arbeitsabläufe kam alles auf den Prüfstand. Die Arbeit wird ja nicht weniger, nur weil weniger gearbeitet wird. Wallner sagt: «Wir haben gelernt, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und so auch mal einen Schlussstrich unter Projekte zu ziehen, die uns unseren aktuellen Zielen nicht näher bringen oder die mittlerweile nicht mehr relevant sind.»

Mit optimierten Prozessen und neuen Tools wurden Arbeitsabläufe umgestaltet und verschlankt. Meetings wurden auf ein Minimum reduziert, für Mitarbeitende gab es Trainings zum Thema Zeitmanagement und Gesundheit. Durch diese Massnahmen werden die wirklich wichtigen Arbeiten weiterhin erledigt, auch wenn insgesamt weniger Wochenstunden gearbeitet werden.

Mehrkosten machen sich bezahlt

Das ist in der Hotelbranche nicht ganz so einfach. Deswegen wird bei den 25hours Hotels das Modell mit der komprimierten Arbeitszeit verfolgt. «Stellen Sie sich vor, man arbeitet 100 Prozent, hat aber immer drei Tage frei», sagt Lukas Meier. «Damit zeigen wir, dass auch Hotellerie und Gastronomie eine gute Work-Life-Balance bieten können.»

Das sei wichtig. In der Branche müsse man als Arbeitgeber attraktiv sein, um Mitarbeitende anzuziehen. «In der Schweiz sind momentan etwa 10’000 Stellen in der Gastronomie offen», weiss Lukas Meier. Das geplante 4-Tage-Modell, so Meiers Hoffnung, würde junge, Lifestyle-orientierte Mitarbeitende anziehen. Die könnten dann mit regelmässig drei freien Tagen besagte Städtetrips machen.

Die Einsatz- und Dienstplanung wird allerdings eine Herausforderung, gibt Meier zu. «Die Leute sind zwar immer noch genauso viele Stunden da, aber eben an weniger Tagen: Die Aufgaben neu zu strukturieren, ist unsere Challenge.» Kommt hinzu, dass die 4-Tage-Woche mehr kostet, wie Meier unumwunden zugibt. «Wir kommen nicht darum herum, neue Mitarbeitende einzustellen. Wir brauchen mehr Leute, das ist aber so budgetiert.»

Die Mehrkosten nehme man in Kauf. «Längerfristig wird sich die 4-Tage-Woche bezahlt machen», ist Meier überzeugt, «weil sie ein gutes Argument sind, bei einem 25hours Hotel anzuheuern.»

Ein Modell für die Zukunft

Ein ganz neues Modell ist die 4-Tage-Woche nicht, gibt Awin-Manager Florian Wallner zu. «Die Nachfrage danach gibt es schon länger. Bislang wurde sie aber vor allem als Teilzeit-Modell umgesetzt: 80 Prozent arbeiten, bei 80 Prozent Gehalt.» Wallner glaubt auch, dass echte 4-Tage-Wochen nicht nur für bestimmte Branchen umsetzbar sind. In der Schweiz sind es vor allem kleinere Unternehmen aus der Kreativ- und Digitalbranche, die sie bereits eingeführt haben.

«Wir erleben gerade eine generelle strukturelle Veränderung am Arbeitsmarkt», sagt Wallner. Der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei stärker geworden, es gebe veränderte Ansprüche bei der Selbstbestimmung und nicht zuletzt forderten die demografischen Veränderungen ein Umdenken: «Es kommen einige Faktoren zusammen, die das Modell tragfähig für die Zukunft machen dürften.»

Auch bei der Gewerkschaft Unia macht man sich verstärkt Gedanken, wie sich kürzere Arbeitszeiten durchsetzen lassen. Wie die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet, liebäugelt man sogar mit einer Volksinitiative für eine 35-Stunden-Woche.