Stromkonzern in Not Die Axpo verdient viel Geld und braucht trotzdem Hilfe vom Bund

Von Andreas Fischer

6.9.2022

Den Notausgang gerade noch erwischt: Journalisten verlassen am Tag der Eröffnung die Staumauer des Muttsees oberhalb von Linthal GL.
Den Notausgang gerade noch erwischt: Journalisten verlassen am Tag der Eröffnung die Staumauer des Muttsees oberhalb von Linthal GL.
Bild: Keystone/Gian Ehrenzeller

Der Bund greift der Axpo mit bis zu vier Milliarden Franken unter die Arme. Warum muss der grösste Schweizer Stromkonzern unter den Schutzschirm? Wer könnte noch ins Schlingern geraten? Die wichtigsten Antworten.

Von Andreas Fischer

6.9.2022

Axpo nimmt als erstes Energieunternehmen den Rettungsschirm des Bundes in Anspruch, um angesichts der explodierenden Preise an den Energiemärkten zu verhindern, in kurzfristige Zahlungsschwierigkeiten zu geraten. Weil dies die Energieversorgung der Schweiz gefährden könnte, sichert der Bundesrat dem Unternehmen eine nachrangige Kreditlinie von bis zu vier Milliarden Franken zu.

Doch was bedeutet der Hilferuf des grössten Schweizer Energiekonzerns konkret? Wie können Stromkonzerne wie die Axpo plötzlich in Schieflage geraten, obwohl sie solide dastehen und Gewinne erzielen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum hat die Axpo überhaupt Liquiditätsprobleme?

Axpo-CEO Christoph Brand bezeichnet den Kreditantrag bei SRF als Vorsichtsmassnahme. Er könne nicht ausschliessen, dass es weitere «massive Erschütterungen an den Energiemärkten gibt, welche uns kurzfristig vielleicht überfordern könnten in punkto Liquidität».

Teilnehmer am Strombörsenhandel müssen Sicherheiten hinterlegen, erklärt Giovanni Leardini vom Kanton Aargau auf Nachfrage. Der Kanton Aargau gehört neben anderen Nordostschweizer Kantonen zu den Eigentümern der Axpo. Die Sicherheiten müssen gemäss Leardini bar bei einer Clearingbank hinterlegt werden: Damit sind Käufer und Verkäufer gegen Ausfälle der Gegenpartei abgesichert.

Da die Preise jeden Handelstag neu berechnet werden, sind auch die Sicherheitsleistungen entsprechend volatil und werden am Folgetag fällig. Als Folge der Preisexplosion am Strommarkt stiegen die Absicherungskosten und damit der Bedarf an flüssigen Mitteln bei den Stromkonzernen.

Giovanni Leardini rechnet vor: «Wenn ein Produzent eine Stromlieferung für 2024 im August 2021 zum Preis von 50 Euro pro Megawattstunde (MWh) an der Börse verkauft hat, der Strommarktpreis im August 2022 aber bei 300 Euro pro MWh liegt, muss der Produzent der Clearingbank innert 48 Stunden die Differenz – in dem Fall 250 Euro/MWh – an zusätzlichen Sicherheiten hinterlegen.» Bei bis zu 24 Terawattstunden, die die Axpo pro Jahr sichert, sind die Liquiditätsanforderungen entsprechend hoch.

Die hinterlegten Sicherheitsleistungen fliessen erst nach der Lieferung der vereinbarten Strommenge wieder an die Axpo zurück.

Macht die Axpo mit den hohen Strompreisen am Markt nicht auch hohe Gewinne?

«Richtig ist, dass die Axpo eigene Kraftwerke besitzt und damit im Moment gutes Geld verdient», erklärt Felix Nipkow von der Energiestiftung Schweiz im Gespräch mit blue News. «Allerdings ist die Axpo vor allem eine sehr grosse Stromhändlerin, die Strom weiterverkauft.»

Bei langfristigen Stromlieferverträgen werde teilweise Jahre im Voraus ausgemacht, an einem bestimmten Tag eine gewisse Menge Strom zu einem festgelegten Preis bereitzustellen. «Die Axpo ist dann verpflichtet, die vereinbarte Menge zu liefern», sagt Nipkow. «Wenn die eigenen Kraftwerke dafür nicht ausreichen, muss sie Strom zukaufen. Hat sie diesen nicht selbst mit langfristigen Verträgen gesichert, muss sie ihn ad hoc am Markt beschaffen. Bei den volatilen Preisen derzeit müsste sie dafür wahrscheinlich mehr bezahlen, als sie kalkuliert hatte.»

Einen Vorwurf kann man der Axpo laut Giovanni Leardini nicht machen: «Das Gros der geplanten Stromproduktion wird aus Überlegungen bezüglich Preissicherheit und Budgetplanung bis zu drei Jahre im Voraus verkauft. Dies entspricht dem Branchenstandard.»

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Sind auch andere Energieversorger gefährdet und müssen unter den Rettungsschirm?

«Unter den Rettungsschirm können nur die drei grossen systemrelevanten Energieversorger schlüpfen. Das sind neben der Axpo die Alpiq und die BKW», erklärt Felix Nipkow. Wie gefährdet die einzelnen Versorger sind, lasse sich von aussen nicht beurteilen. «Ich gehe stark davon aus, dass es viele kleinere Gemeindewerke gibt, die nicht in eine finanzielle Schieflage geraten werden.»

Der Stromkonzern Alpiq hat derweil die Aktivierung des Rettungsschirms begrüsst. Der Bundesrat sende damit ein wichtiges, vertrauensbildendes Signal an die Märkte. Alpiq unternehme aber weiterhin alles, um keine Bundeshilfe beanspruchen zu müssen.

Das dritte systemrelevante Schweizer Energieunternehmen sieht den Rettungsschirm nach wie vor kritisch. «Wir halten den Rettungsschirm nicht für das richtige Mittel», sagte Ronald Trächsel, Finanzchef des Berner Energiekonzerns BKW.

Wenn ein Unternehmen unterstützt werden müsse, sei man nicht dagegen, so Trächsel. Man sollte aber nicht andere mit in Haft nehmen. Die BKW selbst werde keine Staatshilfe in Anspruch nehmen müssen.

Wie sinnvoll ist der Rettungsschirm denn nun?

«Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass der Rettungsschirm Sinn macht – eben auch, um vorbereitet zu sein, wenn ein systemrelevantes Unternehmen Probleme bekommt», legt Felix Nipkow die Position der Energiestiftung dar. «Was man sicher nicht riskieren will, ist ein Blackout.»

Die Frage sei natürlich, welche Bedingungen daran geknüpft sind. «Die transparente Offenlegung der Bücher und das Dividendenverbot gehen in die richtige Richtung. Man hätte allerdings noch ein Bonusverbot verankern können», so Nipkow.

Ausser der SVP halten auch alle Parteien die Unterstützung der Axpo für nötig. FDP und Mitte begrüssen die strengen Regeln, wenngleich es tragisch sei, «dass ein Stromunternehmen im Kantonseigentum Liquiditätshilfe des Bundes benötigt», wie FDP-Chef Thierry Burkart mitteilte.

Die Grünliberalen lobten die schnelle Reaktion des Bundesrats. Die SVP warf Sommaruga vor, diese habe den Energiemarkt so aufgestellt, dass der Rettungsschirm erst nötig wurde.

SP und Grüne halten die Axpo-Rettung für notwendig, forderten aber den Umbau des Strommarkts. Die Stromversorgung müsse wieder viel mehr Teil des Service public werden, der bezahlbar bleiben soll und von der Profitoptik ausgeschlossen gehöre, sagte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer.

Welche Rolle spielt die Liberalisierung des Strommarktes?

«Der Stromhandel wäre auch ohne Liberalisierung an einem schwierigen Punkt – durch die Gasknappheit, die Dürre und die Probleme bei den französischen AKW», sagt Felix Nipkow. Ausserdem ist der Strommarkt in der Schweiz ohnehin nur teilliberalisiert. «Lediglich Kunden, die mehr als 100'000 Kilowattstunden pro Jahr verbrauchen, können im freien Markt kaufen. Alle anderen bleiben im Monopol gefangen: Das heisst, die Liberalisierung ist auf halbem Wege stecken geblieben. Das führt momentan übrigens zu dem Effekt, dass Kunden, die im freien Markt sind, wieder zurück zum Monopolanbieter wechseln wollen, weil die Preise niedriger sind.»

Welche Bedingungen muss die Axpo für den Schutzschirm genau erfüllen?

«Der Kredit ist noch nicht ausbezahlt worden und es ist auch nicht sicher, dass überhaupt Geld fliessen wird», sagt Felix Nipkow. «Es gibt im Moment lediglich eine Absicherung des Bundes.»

Sabine D’Amelio-Favez, die Direktorin der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV), erklärte, der Inhalt der Verfügung zwischen dem Bund und der Axpo könne wegen des Geschäftsgeheimnisses nicht veröffentlicht werden. Klar ist aber: Umsonst gibt es den Kredit nicht.

Der Kredit unterliege marktüblichen Zinsen von 1 Prozent im Monat bis 2 Prozent im Jahr. Dazu komme ein Risikozuschlag von 4 bis 8 Prozent sowie das erwähnte Dividendenverbot.

Was bedeuten das Dividendenverbot für die Finanzen der an der Axpo beteiligten Kantone?

Aus den Geschäftsjahren 2021/20 und 2020/19 hat die Axpo eine Dividende von je 80 Millionen Franken ausgeschüttet. «Mit seinem Aktienanteil von knapp 14 Prozent erhielt der Kanton Aargau je 11,1 Millionen Franken», erläutert Giovanni Leardini. «In den sechs vorangehenden Geschäftsjahren hat die Axpo keine Dividende entrichtet.»

Der Kanton Aargau habe im Aufgaben- und Finanzplan 2023–2026 keine Dividendenerträge berücksichtigt. «Die Eigentümer der Axpo haben bereits im Mai 2022 in Aussicht gestellt, dass sie bis auf Weiteres auf Dividendenausschüttungen der Axpo verzichten.»

Auch der Kanton Zürich rechnet für die nächsten zwei Jahre nicht mit einer Dividende der Axpo, wie es auf Nachfrage hiess. «Im Budgetentwurf 2023 und in der Finanzplanung 2024 sind keine entsprechenden Beträge eingestellt», teilte Dominik Bonderer von der kantonalen Baudirektion mit.

Hätten die Liquiditätsprobleme absehbar sein müssen und verhindert werden können?

Eher nicht. Die momentanen Preisverwerfungen hätten laut Giovanni Leardini ein «noch nie dagewesenes Ausmass an Volatilität und Höhe angenommen». Zuletzt habe der Preis für eine Bandlieferung (Basisstrom, Anm. d. Red.) im Jahr 2023 innert drei Tagen 50 Prozent zugenommen und handelte am 26. August um 1118 Euro pro Megawattstunde. «Zum Vergleich: Im Vorjahr, im August 2021, handelte derselbe Kontrakt durchschnittlich zu 70 Euro.»

Liquiditätsrisiken könne man vermindern, indem die Stromproduktion nicht an der Börse, sondern bilateral abgesichert oder erst kurzfristig im Spotmarkt verkauft werde. Dies sei aber mit anderen Risiken verbunden: etwa dem Ausfallrisiko der Gegenpartei oder einem Preisrisiko.

«Die Axpo hat», so Leardini, «nach eigenen Angaben die Hedgingtätigkeit (langfristige Kontrakte, d. Red.) bereits frühzeitig reduziert und erwiesenermassen viel Liquidität frühzeitig und vorausschauend beschafft.»

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.