Leben mit der Minimalrente – Teil 1 Die Hälfte des Geldes ist weg, bevor der Monat begonnen hat

Von Gil Bieler

7.11.2022

Musst du dir schon in jüngeren Jahren Sorgen um deine Altersvorsorge machen?
Musst du dir schon in jüngeren Jahren Sorgen um deine Altersvorsorge machen?
Bild: Keystone

Wenn alles teurer wird, haben auch die Gedanken rund ums Geld Hochkonjunktur: Wie viel bleibt den Menschen in der Schweiz im Alter? Und reicht das für den gewohnten Lebensstil? Ein Gedankenexperiment.

Von Gil Bieler

7.11.2022

Es ist eine jener Mitteilungen, die ich normalerweise nicht einmal zur Kenntnis genommen hätte: «AHV/IV-Minimalrente steigt um 30 Franken», vermeldete der Bundesrat im Oktober. Aber eben, die Zeiten sind nicht normal. Der Strom wird teurer, die Krankenkassenprämien sowieso.

Wegen der Inflation haben auch Gedanken ums Geld Hochkonjunktur, und auch der Abstimmungskrimi um die AHV-Reform klingt in den Ohren noch nach. Also öffne ich das Communiqué eben doch, um zu erfahren:

Mit wie viel Geld müssen Rentner*innen hierzulande eigentlich auskommen?

Die Antwort: 1225 Franken pro Monat. So viel beträgt die minimale AHV-Rente neu ab 1. Januar 2023. Der Bundesrat hat sie wegen der Preis- und Lohnentwicklung um 2,5 Prozent oder eben 30 Franken angehoben.

Kann man davon leben? Sich weiterhin Biogemüse und Kinobesuch leisten? Solche Fragen ploppen auf, obwohl meine Pensionierung noch in weiter Ferne liegt. Die Altersvorsorge ist ein Dauerbrenner unter den grössten Sorgen der Bevölkerung.

Gopf, das tönt nicht gerade luxuriös

Da gibt es nur eines, Budget erstellen. 1225 Franken AHV-Rente pro Monat gibt es von der AHV im Minimum. Hinzu kommt die Rente aus der zweiten Säule. Wie hoch diese ausfällt, hängt von der Lohnsumme und dem Umwandlungssatz der jeweiligen Pensionskasse ab. In meinem Fall sagt der Vorsorgeausweis einen Jahresbeitrag von rund 23'000 Franken voraus. Das macht pro Monat 1917 Franken Pensionskassen-Rente.

Zusammen habe ich also 3142 Franken pro Monat zur Verfügung. Gopf, das tönt nicht gerade luxuriös. Und davon geht ein guter Batzen für all die fixen Ausgabeposten drauf.

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980 Franken frisst schon mal die Miete weg. Knapp 290 Franken für die Krankenkassenprämie. 40 Franken für Fernseh- und Internet-Abo. Handy: 50 Franken. Dann noch ein paar Zeitungsabos und Streamingdienste: 53 Franken. Und Sport: bescheidene 200 Franken. Macht zusammen Fixkosten von 1613 Franken.

3142 minus 1613 Franken: bleiben 1529 Franken. Die Hälfte des Budgets ist schon aufgebraucht, bevor ich mit Geldausgeben begonnen habe.

Umgerechnet bleibt ein Tagesbudget von 51 Franken. Wenn man vom absoluten Minimum ausgeht, ohne Sparguthaben auf der Bank. Das klingt alles andere als luxuriös, sollte aber zu schaffen sein. Oder?

Frauen im Nachteil

Es liegt in der Natur des Menschen, sich mit anderen zu vergleichen. Mich interessiert darum: Wie luxuriös fällt meine Rente im Schweizer Schnitt aus? In den Zahlen des Bundesamts für Statistik findet sich die Antwort.

Männer beziehen aus erster und zweiter Säule im Durchschnitt eine Rente von 54'764 Franken pro Jahr, also 4564 Franken im Monat. Das ist also einiges mehr, als in meinem fiktiven Rechenbeispiel mit Minimalrente und 3142 Franken. Bei den Frauen dagegen sieht die Sache anders aus.

Frauen kommen auf durchschnittlich 35'840 Franken Rente aus AHV und Pensionskasse im Jahr. Das macht 2986 Franken im Monat. Frauen haben damit im Alter 34,6 Prozent weniger Rente zur Verfügung als Männer. Das zeigt der in diesem Jahr erstmals für die Schweiz berechnete Gender Pension Gap, der genau diesen finanziellen Unterschied zwischen den Geschlechtern untersucht.

Diese Differenz geht laut Bund auf die häufig genannten Gründe zurück: Frauen arbeiten häufiger in Teilzeitpensen. Ausserdem bezieht nur knapp jede zweite Frau überhaupt eine Rente aus der Pensionskasse – gegenüber sieben von zehn Männern.

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Und auch «Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern über einen längeren Zeitraum» sowie Auswirkungen des Familien- und Lebensmodells wirken sich aus. Das zeigt sich etwa daran, dass der Gender Pension Gap bei Verheirateten am stärksten ausgeprägt ist, da Ehepaare in der Regel «eine ökonomische Einheit bilden und ihre Einkommen zusammenlegen». Bei Ledigen dagegen sei gar kein Unterschied zu beobachten.

Viele Zahlen, ein Fazit: Als lediger Mann darf ich mich mit meinen 51 Franken im Monat kaum beschweren. Wie weit das im Alltag reicht – im Laufe des Monats ziehe ich Bilanz.

Renten-Anpassung auch Thema im Parlament

Rentner*innen mit klammem Portemonnaie können auf einen weiteren Zustupf im nächsten Jahr hoffen: Im Parlament sind derzeit mehrere Vorstösse in der Beratung, die sich mit der Anpassung des Rentenniveaus befassen. So fordern die Ständeräte Paul Rechsteiner (SG, SP) sowie Pirmin Bischof (SO, Mitte) in inhaltlich übereinstimmenden Motionen, dass die AHV- und IV-Renten spätestens per Anfang 2023 vollumfänglich an die Teuerung angepasst werden. Zudem soll der Bundesrat dem Parlament ein Konzept vorlegen, wie die Renten bei einer Teuerung von mehr als 2 Prozent künftig regelmässig angepasst werden können. Der Ständerat hat die beiden Vorlagen bereits angenommen. Wenn das Thema in der Wintersession in den Nationalrat kommt, könnte das Gesetz bereits in der Frühjahrssession dringlich verabschiedet werden. Die höheren Renten würden dann rückwirkend auf den 1. Januar 2023 ausbezahlt. (gbi, sda)