Deutsche Presse zum Schweizer Rechtsrutsch «Die Hau-den-Ausländer-Karte hat gezogen»

SDA, mmi

23.10.2023

Zuwanderungsängste lassen Schweiz nach rechts rücken

Zuwanderungsängste lassen Schweiz nach rechts rücken

STORY: Bei den Parlamentswahlen in der Schweiz hat die national-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ihre Vormachtstellung voraussichtlich ausgebaut. Hochrechnungen des Schweizer Fernsehens zeigten die Partei am Sonntagabend bei 29 Prozent. Deutlich schlechter schnitten die Grünen ab. Nach rekordhohen 13,2 Prozent in der stark von der Klimadiskussion geprägten Wahl 2019 sackte ihr Anteil laut Hochrechnung auf rund neun Prozent. Die Sozialdemokraten konnten zwar leicht zulegen. Insgesamt dürfte sich die grosse Kammer des Schweizer Parlaments aber leicht nach rechts bewegen. Die SVP hatte im Wahlkampf vor allem auf ihr traditionelles Thema gesetzt: Die Begrenzung der Zuwanderung. Rückenwind erhielt die Partei Meinungsforschern zufolge dabei vom Krieg in der Ukraine und der Migrationskrise in Europa. Auch in anderen europäischen Ländern hatten rechte Parteien, die Sicherheitsthemen betonten, einen Aufschwung erlebt. Den Einfluss der Wahlen auf politische Weichenstellungen in der Schweiz in den kommenden Jahren stufen Experten als gering ein. So werden wohl die Anteile der Parteien in der siebenköpfigen Koalitionsregierung nicht angetastet. Bedeutender sind für die Politik in dem Land die vierteljährlichen Volksabstimmungen zu Sachthemen, die den Handlungsspielraum von Regierung und Parlament beschränken. Dies schlägt sich auch in der Wahlbeteiligung nieder, deutlich weniger als 50 Prozent gingen bei den Parlamentswahlen an die Urne.

23.10.2023

Die Nachbarländer reagieren einstimmig auf das Wahlergebnis der Schweiz: Die SVP habe es geschafft, mit Angst-machender Rhetorik Europas Dauerthema zu bewirtschaften und ihre Wählerschaft zu mobilisieren.

SDA, mmi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die SVP geht mit plus neun Sitzen als Siegerin der gestrigen Wahlen hervor.
  • Die ausländische Presse – allen voran Deutschland – zieht einheitliche Schlüsse aus den Ergebnissen.
  • Vor allem die Rhetorik der SVP bezüglich Migration – aber auch der Nahost-Konflikt – habe die Wähler mobilisieren können.

Die Politik-Analysen geben nach dem gestrigen Wahltag in Europas Presse ein einstimmiges Bild ab: Die aufwiegelnde Rhetorik der SVP habe bei den Wählenden am meisten verfangen. Ein Presseüberblick.

«Die Hau-den-Ausländer-Karte hat gezogen»

Die deutsche Zeitung «Die Zeit» titelt ihren Kommentar zu den Wahlen in der Schweiz mit folgenden Worten: «Die Hau-den-Ausländer-Karte hat gezogen.»

«Die SVP gewinnt die Parlamentswahlen in der Schweiz. Die Rechtspopulisten wurden wählbar für Frustrierte und Verunsicherte aller Lager. Das Land rückt weiter nach rechts. Zuletzt war die Frage nicht mehr ob, sondern nur noch wie stark die SVP bei den Parlamentswahlen in der Schweiz zulegen würde.»

SVP setze auf migrantenfeindliche Sprüche

Das deutsche Magazin «Der Spiegel» blickt über die Grenze und kommentiert: «Rechtsruck in der Schweiz: Die SVP setzte auf migrantenfeindliche Sprüche – und kommt bei der Parlamentswahl laut Hochrechnung auf 29 Prozent. Die Verlierer sind die Grünen.»

«Die SVP setzte im Wahlkampf vor allem auf ihr traditionelles Steckenpferd, die Begrenzung der Zuwanderung. (...) Auf den Wahlplakaten der SVP prangten migrantenfeindliche Sprüche und der Ruf nach Schliessung der Schweizer Grenzen. Die Partei legte der dritten Hochrechnung zufolge um 3,3 Prozentpunkte zu und errang damit 61 der insgesamt 200 Sitze im Parlament, dem Nationalrat. (...) Verlierer der Wahl sind die Grünen, die der Hochrechnung zufolge in der Wählergunst vier Prozentpunkte verloren. Nach rekordhohen 13,2 Prozent in der stark von der Klimadiskussion geprägten Wahl 2019 sackte ihr Anteil nun auf 9,2 Prozent ab. (...) Den Einfluss der Wahlen auf politische Weichenstellungen in der Schweiz in den kommenden Jahren stufen Experten als gering ein. Bedeutender sind die vierteljährlichen Volksabstimmungen zu Sachthemen, die den Handlungsspielraum von Regierung und Parlament beschränken.»

Wieder einmal: Rechtsrutsch

Gemäss Kommentar der «Süddeutschen Zeitung» dürfte der neu aufgeflammte Krieg in Nahost der SVP zum Wahlsieg verholfen haben.

«Ein Faktor, der sich zeitlich noch nicht in den Umfragen spiegeln konnte und den Rechtspopulisten wohl zugutekam: der neu aufgeflammte Krieg in Nahost, der das Gefühl der Unsicherheit und den Wunsch nach Abschottung befeuert haben dürfte. Insofern deckt sich die schweizerische Entwicklung mit der in vielen europäischen Nachbarstaaten: Auf Konflikte, Krisen und Unsicherheit reagieren, viele Wählerinnen und Wähler, indem sie für Parteien stimmen, die sich für Abgrenzung und eine Besinnung aufs Nationale einsetzen. In der Schweiz, wo die rechte Partei schon viele Jahre fest im Sattel sitzt, wäre es überraschend gewesen, wenn ausgerechnet sie nicht von dieser Stimmung profitiert hätte. (...) Interessant im Vergleich zu den Entwicklungen im restlichen Europa ist das relativ gute Abschneiden der Sozialdemokraten (SP).»

Bestätigung eines europäischen Trends

Nicht nur bei der deutschen Presse, sondern auch in Frankreich oder in Grossbritannien liegt das Interesse beim Wahlsieg der SVP. Über den Sieg der SVP, die erneut stärkste Partei wird, schreibt die konservative französische Zeitung «Le Figaro»: Die «populistische Rechte» gewinne mit Themen wie dem «Kampf gegen die Masseneinwanderung». Die «Deutsche Welle» titelt, dass in der Schweiz «die populistischen Rechte wachse». Beim Portal «Bloomberg» heisst es, die «anti-migrantische SVP» festige ihre Position als stärkste Partei.

Und nach Auffassung der Londoner «Financial Times» hat der Erfolg der SVP am Wahlsonntag den Aufschwung populistischer Parteien in ganz Europa bestätigt.

«Obwohl die SVP seit Langem eine feste Grösse in der Schweizer Politik ist (...) signalisiert ihr starkes Abschneiden die Unzufriedenheit unter der Wählerschaft nach vier turbulenten Jahren. Die SVP hatte sich gegen Covid-19-Massnahmen gewehrt und kritisierte jüngst die Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland scharf (...). Innenpolitische Anliegen dominierten den Wahlkampf, wobei die SVP am stärksten in Erscheinung trat. (...) Der Sieg der SVP kehrt den dramatischen Linksrutsch der Schweizer Politik der letzten Eidgenössischen Wahlen von 2019 um. Er könnte sich auf heikle anstehende internationale Fragen für das Land auswirken – einschliesslich der bereits angespannten Beziehung zur Europäischen Union und der Haltung zu wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. (...) Die Wahlen bestätigen ein Wiederaufleben der Populisten an den Wahlurnen in ganz Europa.»

Bereits im Vorfeld süffisante Berichterstattung

Dass die Analysen der internationalen Presse bissig ausfallen, verwundert kaum. Denn bereits im Vorfeld zu den Wahlen hat insbesondere die Deutsche Presse sich über die Parlamentswahlen ausgelassen.

Schlagzeilen wie «Verloren in der Mitte Europas» («Süddeutsche»), «Der ganz normale Rechtspopulismus» («FAZ»), «Wo Angst vor Fremden schon Folklore ist» («Tagesspiegel») oder «Im radikalen, reichen Idyll zeigt die Schweiz ihr hässliches Gesicht» («Focus online»), dominierten die Berichterstattung. 

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