Politologe analysiert «Das Schweizer Volk muss man schrittweise mitnehmen, und das ist bislang gelungen»

Von Maximilian Haase

22.12.2021

2G und Homeoffice, aber kein Lockdown: die Strategie des Bundesrats in der fünften Corona-Welle. (Symbolbild)
2G und Homeoffice, aber kein Lockdown: die Strategie des Bundesrats in der fünften Corona-Welle. (Symbolbild)
KEYSTONE/Michael Buholzer

Im Vergleich zu den Nachbarländern verschärft die Schweiz die Corona-Massnahmen nur zögerlich. Wie sieht die Strategie des Bundesrats eigentlich aus? Politologe Mark Balsiger analysiert die Lage vor den Feiertagen.

Von Maximilian Haase

In Innenräumen 2G mit Maske oder 2G+, Homeoffice-Pflicht, die Teilnehmerzahl für private Treffen beschränkt – aber Restaurants und Bars dürfen geöffnet bleiben, Veranstaltungen weiterhin stattfinden. Während etwa Deutschland über einen Lockdown zum Jahreswechsel nachdenkt, werden die Massnahmen hierzulande nur in kleinen Schritten angezogen.

Was aber können die Verschärfungen angesichts der nahenden Omikron-Welle zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch ausrichten? Sind nach Weihnachten weitere Massnahmen zu erwarten? Und welche Strategie fährt der Bundesrat eigentlich? Der Politologe Mark Balsiger glaubt: «Wenn die Situation sich dramatisch zuspitzt, wird ein Lockdown unumgänglich.»



«Mit der Homeoffice-Pflicht und den Weihnachtsferien, die die Kontakte insgesamt reduzieren sollten, hoffen sie, durchzukommen» – so bewertet der Berner Politanalyst die Entscheidungen des Bundesrates vor den Feiertagen. Aber: «Es ist vollkommen offen, ob diese Spekulation aufgeht», sagt er zu blue News.

Der Druck der Wirtschaft sei «enorm», so Balsiger auch mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft. Aber Druck komme auch von den Bergkantonen, in denen der Wintersport eine grosse Bedeutung habe: «Die Kantone sind mächtige Akteure am Verhandlungstisch.»

Teilweise seien die Kantone überfordert, sagt Balsiger, «es gibt Entscheidungsträger, die auch nach bald zwei Jahren ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind». Für den Experten gilt dies auch auf Bundesebene.

«Viele Leute sind gereizt, die Ungewissheit belastet sie»

Kamen die verschärften Massnahmen möglicherweise zu spät? Der Vorwurf «Too little, too late» sei so alt wie die Pandemie, meint Balsiger. Rückblickend könne man aber sagen, «dass die Schweiz mit diesem Ansatz nicht komplett falsch gelegen ist». Ob dies auch bei der fünften Welle einigermassen aufgehe, sei allerdings offen.

«Wenn Omikron ähnlich heftig über die Schweiz rollt wie über andere Länder, wird die Situation noch angespannter, die Kritik an der offiziellen Corona-Politik noch lauter.» Die Anspannung sei regelmässig spürbar, «viele Leute sind gereizt, die Ungewissheit belastet sie». 

Zur Person
Mark Balsiger

Mark Balsiger ist Politikanalyst, Kommunikationstrainer und Buchautor. Er initiierte die Bewegung «Courage Civil».

Sollten die Betten auf den Intensivstationen in den nächsten Wochen komplett belegt und zu wenig Fachpersonal zur Stelle sein, droht dem Experten zufolge ein erneuter Lockdown. Müssten die Ärzte dann entscheiden, wer behandelt werde und wer nicht, «macht es bei vielen Leuten Klick». Balsiger erklärt: «Das Wort Triage hat einen grässlichen Klang, und die Menschen fürchten um ihre Gesundheit.»

«Sie tragen solidarisch mit, was sie verstehen»

«Das Schweizer Volk muss man schrittweise mitnehmen, und das ist bislang gelungen», analysiert der Politologe. Die Verschärfungen im Jahr 2020 seien für die meisten verständlich und nachvollziehbar gewesen. Auch weiterhin werden die Corona-Massnahmen von einem Grossteil der Bevölkerung mitgetragen, wie aktuelle Umfragen und das Ja zum Covid-19-Gesetz vom 28. November zeigen.

Was den Vergleich zu den Nachbarländern angehe, dürfe man die grossen kulturellen Unterschiede nicht ausblenden. Die Schweizerinnen und Schweizer seien «freiheitsliebend und sperrig», sagt Balsiger: «Sie tragen solidarisch mit, was sie verstehen.» Dessen sei sich der Bundesrat bewusst und habe deshalb «in den letzten 22 Monaten den Hebel auch nie brüsk in eine andere Richtung gedreht».



Balsiger übt aber auch Kritik: Die Behörden hätten es verpasst, die Entscheidungswege im Verlauf der Pandemie zu beschleunigen und zu verbessern. Ungenügend, sagt Balsiger, sei auch die Kommunikation.

Weitere Massnahmen laut BAG «gut möglich»

Und was sagen die staatlichen Stellen selbst? Laut Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) seien weitere Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie «gut möglich». Sämtliche Massnahmen würden aufgrund der erwarteten Omikron-Welle überprüft.

«Es bleibt abzuwarten, ob die geltenden Massnahmen den Druck auf die Spitäler entlasten können», sagte Mathys am Dienstag vor den Medien in Bern. Man müsse genau und laufend beobachten, wie Omikron sich verhalte. Mathys warnte, es sei abzusehen, dass die Fallzahlen schon in diesem Jahr wieder rasch zunehmen dürften.

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22.12.2021

Mit Material von SDA