«Elternteil» statt «Mami» oder «Papi»Kinderpsychologen kritisieren Zürcher Gender-Ratschlag
Von Stefan Michel
22.9.2023
Die Empfehlungen der Stadt Zürich zur gendersensiblen Erziehung entrüsten manche. blue News hat drei Kinderpsychologen gefragt, was sie von den Ratschlägen halten. Schnell wird klar: nicht viel.
Von Stefan Michel
22.09.2023, 08:52
22.09.2023, 10:41
Stefan Michel
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Stadt Zürich empfiehlt Eltern, Väter oder Mütter anderer Kinder als Elternteil oder Betreuungsperson zu bezeichnen, statt als Mami oder Papi.
Viele sind entrüstet und halten das für völlig überzogen.
Auch Kinderpsychologen kritisieren den städtischen Erziehungstipp, haben aber durchaus auch ihre Anregungen an Mamis und Papis.
Der Skandal war vorprogrammiert und er hat nicht enttäuscht: «Wenn Sie von anderen Familien reden, können Sie neutrale Bezeichnungen wie z. B. Kind, Elternteil oder Betreuungsperson verwenden», empfiehlt die Stadt Zürich Eltern, wenn sie ihr Kind gendersensibel erziehen wollen.
Unabhängig davon, wie jemand zu staatlichen Erziehungstipps und genderneutralen Perspektiven auf die Gesellschaft steht: Was macht es mit den Kindern, wenn sie nur noch ihre eigenen Eltern als Mami und Papi bezeichnen, die anderen aber als Personen oder Elternteile bezeichnen sollen?
Kinder-Psychologe Karl Dülli hat während 30 Jahren mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Seit einigen Jahren ist er pensioniert. Seine spontane Reaktion auf den städtischen Erziehungstipp: «Ich bin da sehr kritisch. Der Prozentsatz derjenigen, bei denen Unsicherheit bezüglich ihres Geschlechts besteht, ist sehr klein. Sich diesem sprachlich anzupassen, ist nicht angemessen.»
Die geschlechtsneutrale Formulierung ist für Dülli aber nicht nur die Mühe nicht wert, sie schade dem Kind, ist er überzeugt: «Das löst Verunsicherung aus. Die Sicht von Kindern ist eingeteilt in Männer und Frauen. Für die überwiegende Mehrzahl der Kinder ist das die Realität.»
Philipp Ramming, Sprecher der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie, wird noch deutlicher: «Die sprachliche Neutralität löscht die Unterschiede aus. Und sie verhindert, dass Kinder lernen, mit der Vielfalt umzugehen.» Für den Kinderpsychotherapeuten steht fest: «Wenn es keine Unterschiede geben darf, dann ist man überfordert, wenn die Unterschiede offensichtlich sind.»
Die Tipps der Stadt Zürich bezeichnet Ramming als Zeichen der Hilflosigkeit. «Es ist die gleiche Hilflosigkeit, in die Eltern geraten, wenn sie versuchen, die Kinder ‹richtig› zu erziehen. Erziehung von Herzen ist wirkungsvoller, als genderkorrekte Sprach- und Verhaltensregelungen.»
«Dieser Ratschlag ist ein Zeichen der Hilflosigkeit»
Philipp Ramming
Sprecher der Schweizerischen Vereinigungfür Kinder- und Jugendpsychologie
Anstatt Unterschiede nicht anzusprechen, empfiehlt Ramming Eltern, ihre Kinder zur Neugierde zu erziehen und ihnen beizubringen, die Vielfalt zu sehen und emotional mit der Vielfalt zurechtzukommen.
Papi soll ein bisschen Mami werden – und umgekehrt
Nicht ganz so hart beurteilt Kinder- und Jugendpsychologe Christoph Pally, der den Erziehungstipp vor allem unglücklich formuliert findet. Die Absicht dahinter unterstützt er und die ist ihm gemäss: «Das Lebensrecht aller Menschen mit all ihren speziellen Eigenheiten muss anerkannt werden.» Das geschehe aber nicht, indem man bestimmte Sprachregelungen ausgebe, sondern müsse im täglichen Handeln passieren.
Darüber hinaus plädiert er dafür, dass Mütter auch väterliche Qualitäten entwickeln oder erweitern und Väter die mütterlichen. Konkret meint Pally damit, dass Väter an ihrem Mitgefühl arbeiten sollen, während die Mütter nicht nur trösten, sondern auch ermutigen, es nach einer schmerzhaften Erfahrung nochmals zu versuchen. Papi soll also auch ein bisschen Mami sein und Mami etwas von Papis Qualitäten übernehmen.