Immer mehr junge IV-Bezüger «Dieses Pulverfass wird in den nächsten Jahren explodieren»

Andreas Fischer

23.6.2025

Die psychische Belastung junger Menschen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Die psychische Belastung junger Menschen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
picture alliance / dpa

Wegen psychischer Probleme beziehen immer mehr junge Menschen eine IV-Rente. Das Problem werde sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, warnt ein Experte und befürchtet den Kollaps des Rentensystems.

Andreas Fischer

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Weil immer mehr junge Menschen mit psychischen Problemen eine IV-Rente beziehen, will die Konferenz der kantonalen IV-Stellen die Renten befristen und eine Alterslimite einführen.
  • Psychiater Thomas Ihde erklärt im «Tages-Anzeiger»-Interview, warum das keine gute Idee ist.
  • Er warnt, dass die Schweiz erst am Anfang einer «riesigen Welle» stehe. 

«Dieses Pulverfass wird in den nächsten Jahren explodieren.» Für Psychiater Thomas Ihde ist die psychische Gesundheit der Jungen «einer der grössten Brennpunkte unserer Gesellschaft».

Im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» erklärt der Experte, warum Hilfsangebote für junge Menschen mit psychischen Problemen weiterhin wichtig sind.

Hintergrund ist eine Forderung der Konferenz der kantonalen IV-Stellen (IVSK): Weil schweizweit immer mehr unter 25-Jährige eine IV-Rente wegen psychischer Probleme beziehen, wollen die IV-Stellen Renten befristen und eine Alterslimite einführen.

Wer jünger als 30 Jahre ist, soll demnach keinen Anspruch mehr auf eine IV-Rente haben, schlug IVSK-Vizepräsident Thomas Pfiffner, bei SRF vor.

Psychische Erkrankungen beginnen immer früher

Dies sei der komplett falsche Weg, kontert nun Thomas Ihde. Es sei kontraproduktiv, «noch mehr Druck auf junge IV-Bezüger» auszuüben. Schliesslich sei ohne soziale und finanzielle Sicherheit keine Genesung möglich.

Junge IV-Bezüger würden auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten wollen. Ohne Hilfeleistungen sei dies schlecht nicht möglich. Die notwendige Unterstützung müsste vom System kommen, die Verzahnung zwischen Arbeitsintegration und Therapie viel enger funktionieren.

«Es wäre zum Beispiel eine Möglichkeit», schlägt Ihde im «Tages-Anzeiger» vor, «dass die Betroffenen an den Vormittagen intensiv therapeutisch behandelt werden und an den Nachmittagen jeweils den Einstieg in die Erwerbstätigkeit probieren.»

Noch besser wäre es allerdings, würden allfällige Massnahmen schon viel früher angesetzt, nämlich präventiv bei Kindern und Jugendlichen. «Schwergradige psychische Krankheiten beginnen immer früher», erklärt der Psychiater, teilweise schon im Alter von zehn bis 15 Jahren.

Gleichzeitig aber «warten Kinder und Jugendliche in manchen Kantonen ein Jahr auf einen Termin bei einem Psychiater oder einer Psychotherapeutin.»

Probleme mit der «extrem kopflastigen Welt»

Thomas Ihde warnt, dass die Schweiz erst «am Anfang einer riesigen Welle» stehe. Schon heute werden Beratungsstellen (siehe Kasten unten) mit Anrufen zugedeckt. So hätten sich etwa die Beratungsanfragen junger Menschen mit Suizidgedanken in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht.

«Wenn die heutigen Jugendlichen in fünf Jahren erwachsen werden, wird die IV-Quote noch mal massiv ansteigen», prognostiziert Ihde und befürchtet, «dass das ganze Rentensystem in ein paar Jahren kollabieren könnte.»

Viele junge Menschen hätten Probleme mit der «extrem kopflastigen Welt». Im Job müsse man heute vor allem mentale Leistungen erbringen.

Oder wie es Thomas Ihde im «Tages-Anzeiger» ausdrückt: «Wir sind alle Hochleistungssportlerinnen und -sportler im Bereich Psyche.» Leistungseinbussen seien heute nicht mehr drin: Im Prinzip «ist die Arbeitswelt sehr intolerant geworden».

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung? Hier findest du Hilfe:


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