13 Tage festgebunden Jetzt müssen sich drei Ärzte von «Carlos» vor Gericht verantworten

Von Jennifer Furer

26.8.2020

«Carlos», der eigentlich Brian heisst und auch so genannt werden will, steht dieses Mal nicht selbst vor Gericht.
«Carlos», der eigentlich Brian heisst und auch so genannt werden will, steht dieses Mal nicht selbst vor Gericht.
Keystone

Drei Ärzte des Jugendstraftäters «Carlos» stehen heute Mittwoch vor dem Bezirksgericht Zürich. Sie sollen den damals 15-Jährigen 13 Tage lang fixiert haben. Die Staatsanwaltschaft fordert Freiheitsstrafen.

Drei Psychiater des Jugendstraftäters «Carlos», der Brian heisst und auch so genannt werden möchte, müssen sich heute Mittwoch vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten. Sie sollen 2011 den damals 15-Jährigen in der psychiatrischen Universitätsklinik PUK in Zürich, im Volksmund auch «Burghölzli» genannt, 13 Tage lang festgebunden haben.

Brian sass seit dem 14. Juni 2011 in Untersuchungshaft, weil er einen anderen Jugendlichen massiv mit einem Messer verletzt hatte. Nach der Überweisung im Juli 2011 in die Jugendabteilung des Gefängnisses Limmattal/Dietikon unternahm Brian laut der Staatsanwaltschaft einen Suizidversuch. Darauf wurde er in die PUK eingewiesen.

Brian, der den Ärzten in der Klinik bereits bekannt war, weil er schon einmal wegen Fremd- und Selbstgefährdung fürsorgerisch untergebracht wurde, verweigerte die Einnahme von Medikamenten, heisst es in der Anklage.

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Der behandelnde Arzt, der Hauptbeschuldigte im Prozess vom Mittwoch, ordnete darauf die sogenannte «7-Punkte-Fixierung» an. Brian sei mit Gurten festgebunden und mit acht Medikamenten «stark sediert» worden. Er soll sich in einer «absoluten Bewegungslosigkeit» befunden haben.

Über einen Zeitraum von 13 Tagen soll der behandelnde Arzt die medikamentöse Behandlung und die Fixierung von Brain aufrechterhalten haben. Die Massnahme sei von zwei weiteren Ärzten, darunter ein Vorgesetzter, gestützt worden. Auch diese müssen sich am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten.

Zwangsnahme als Misshandlung

Die Staatsanwaltschaft taxiert die Vorgehensweise in der PUK als «unzulässig» und «unrechtmässig». Die Fixierung von Brian habe die Notwendigkeit überschritten. Selbes stellte auch der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) in einem Bericht fest.

Darin heisst es, dass die Zwangsmassnahme während mehrerer aufeinanderfolgender Tage durch nichts zu rechtfertigen sei. Sie wird einer Misshandlung gleichgesetzt.

Eine mechanische Fixierung sei auf die kürzestmögliche Dauer zu beschränken, so die CPT. Dies sei eher in Minuten als in Stunden zu messen.

Keine stündliche Überprüfung

Auch die PUK selbst verfügt über Richtlinien, wie eine Fixierung vonstattengehen sollte. Sie sei verhältnismässig zu sein, so schnell wie möglich aufzuheben und sollte in der Regel höchstens Stunden dauern. Werde eine Fixation durchgeführt, sei diese zeitlich zu begrenzen. Fixationen sollten stündlich überprüft werden. Dies habe keiner der Beschuldigten gemacht, so die Anklage.

Die Ärzte hätten zwar die Zwangsfixierung nach einigen Tagen partiell für einzelne Extremitäten gelöst und Brian ab dem neunten bis zwölften Tag eine Stunde Spaziergang gewährt – gefesselt und unter polizeilicher Aufsicht.

«Die Beschuldigten haben die Dauer der Zwangsmassnahme weder möglichst kurz gehalten noch deren mögliche Beendigung in den von der PUK definierten zeitlichen Abständen selbst überprüft oder ärztlich überprüfen lassen», heisst es in der Anklageschrift.

Die Staatsanwaltschaft fordert für den Hauptbeschuldigten eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Die Probezeit soll auf zwei Jahre angesetzt werden. Für die beiden weiteren Beschuldigten verlangt die Anklage eine Freiheitsstrafe von jeweils sieben Monaten, ebenfalls bedingt, unter der Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren.

SRF-Sendung macht «Fall Carlos» bekannt

«Carlos», der Brian heisst und auch so genannt werden will, sorgt seit August 2013 immer wieder für Schlagzeilen. In einer SRF-Sendung wurde damals sein Fall vorgestellt.

Der Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin wurde mit einer Sonderbehandlung betreut – ein Resozialisierungsprogramm für schwer erziehbare Jugendliche. Kostenpunkt: Über 29'000 Franken pro Monat. Zu diesem Zeitpunkt war der damals 17-jährige Carlos schon 34-mal wegen verschiedener Delikte verurteilt worden.

Es folgte eine Odyssee durch Gefängnisse, Kliniken und Gerichtssäle.

Das Bezirksgericht Dielsdorf schickte Brian schliesslich in eine stationäre Massnahme, auch «kleine Verwahrung» genannt. Dabei werden psychische Störungen behandelt.

Alle fünf Jahre wird überprüft, ob die Therapie anschlägt oder ob weitere fünf Jahre notwendig sind. Angeklagt war Brian vor dem Bezirksgericht Dielsdorf, weil er im Gefängnis Pöschwies randaliert und mehrere Personen verletzt hatte.

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