Sicherheitsbericht in 5 Punkten Islamistische Einzeltäter sind die grösste Gefahr

Von Philipp Dahm

27.6.2022

Islamistische Einzeltäter sind die potenziell grösste Gefahr für die Sicherheit der Schweiz.
Islamistische Einzeltäter sind die potenziell grösste Gefahr für die Sicherheit der Schweiz.
KEYSTONE

Auf der Marko-Ebene wird Sicherheitspolitik vom Krieg in der Ukraine und der Rivalität zwischen Peking und Washington definiert. Auf nationalem Level übersteigt die Gefahr durch Islamisten jene von links und rechts.

Von Philipp Dahm

«Das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz, das wiederum die Bedrohungslage unseres Landes massgeblich beeinflusst, hat sich in wenigen Monaten markant verändert, schreibt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in seinem aktuellen Sicherheitsbericht. Der Grund dafür ist natürlich der Krieg in der Ukraine.

«Die Schweiz hat jahrzehntelang von der europäischen Sicherheitsordnung und der regelbasierten globalen Ordnung profitiert», heisst es. Doch die Zeiten haben sich offenbar geändert: «Sicherheitspolitik im Allgemeinen und die Rolle des Verteidigungsauftrags im Besonderen gewinnen wieder an Bedeutung.»

Doch bevor wir in die Ferne schweifen, hier zunächst die grössten Bedrohungen, die im Inneren bestehen.

Links, rechts und Corona

Bei den linksextremistischen Taten ist der Trend leicht rückläufig: Mit 202 Ereignissen, von denen 81 gewalttätig waren, werden die Ergebnisse der beiden Vorjahre unterschritten. Auf der Seite der Rechtsextremen gab es nach 29 Ereignissen im Jahr 2019 und 21 Vorkommnissen 2020 im letzten Jahr mit 38 Fällen wieder mehr Aktivität.

Übersicht extremistischer Taten in der Schweiz.
Übersicht extremistischer Taten in der Schweiz.
NDB

Ein neues Problem stellen Corona-Leugner*innen dar: «Innerhalb der Szene kursiert zudem eine Vielzahl unterschiedlicher Verschwörungstheorien, die ins jeweilige Narrativ eingebunden werden», weiss der NDB. «Einig ist sich die Szene darin, dass der Bundesrat zu viel Macht und sich die Schweiz zu einer Diktatur entwickelt hat, die zerstört werden muss.»

Religiöser Fanatismus

Der NDB beurteilt die Terrorbedrohung für die Schweiz als erhöht: «Die Bedrohung wird primär von der dschihadistischen Bewegung geprägt, insbesondere durch Personen, die von dschihadistischer Propaganda inspiriert werden», hat der Geheimdienst erkannt. «Die latente Bedrohung durch die al-Qaida bleibt bestehen. Diese hegt nach wie vor die Absicht, Anschläge auf westliche Ziele zu verüben.»

Attentate im Schengen-Rasum und Grossbritannien seit 2021.
Attentate im Schengen-Rasum und Grossbritannien seit 2021.
NDB

Die islamistische Szene in der Schweiz sei zwar weiterhin heterogen und immer noch «wenig organisiert«, doch aus ihr könne «langfristig eine Bedrohung für die Sicherheit» hervorgehen: «So könnte eine Minderheit in der islamistischen Szene in der Schweiz finanzielle und logistische Unterstützung für gewalttätige islamistische Akteure leisten.»

Nach Beurteilung des NDB wird die Terrorbedrohung «diffuser, weil sie zunehmend von autonom agierenden Personen ausgeht, die keinen direkten Bezug zum ‹Islamischen Staat› oder zur al-Qaida aufweisen. Die grösste Bedrohung geht auch 2022 in erster Linie von dschihadistisch inspirierten Einzeltätern aus, die spontan Gewaltakte mit geringem organisatorischem und logistischem Aufwand verüben.»

Genf im Geheimdienst-Fokus

«Im interkantonalen Vergleich wohnen im Kanton Genf am meisten erkannte und vermutete ausländische Nachrichtendienstoffiziere, und die Mehrzahl davon arbeitet offiziell auch vor Ort», stellt der NDB fest. «Ein Grossteil der in Genf wohnhaften, meist männlichen Nachrichtendienstoffiziere ist offiziell als Diplomat an einer der zahlreichen diplomatischen Vertretungen tätig.»

Zioele von Spionage in der Schweiz.
Zioele von Spionage in der Schweiz.
NDB

Andere seien als Geschäftsleute oder Medienschaffende tätig oder arbeiten angeblich bei einer internationalen Organisation in Genf, heisst es weiter. Russ*innen seien hier besonders aktiv: «Der NDB schätzt, dass an den russischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen in Genf mehrere Dutzend Offiziere tätig sind.»

An der Situation werde sich so schnell nichts ändern, glaubt der Schweizer Geheimdienst: «Solange Genf eine Stadt mit weltweiter Bedeutung bleibt und vor allem weiterhin die UNO-Organisationen beheimatet, werden Spionageaktivitäten auf hohem Niveau weitergeführt werden.» Die Arbeit der Agenten dürfte sich «wegen der verstärkten Konkurrenz der Gross- und einiger Regionalmächte sogar noch intensivieren».

Russland

Für den NDB steht fest: Einen Regimewechsel wird es in Moskau nicht so schnell geben. «Die Unterstützung der breiten Bevölkerung wird sich Präsident Putin dank Propaganda und Zensur sowie einem gezielt aufgebauten, loyalen Repressionsapparat sichern können, mit dem auch Proteste in Städten rasch gewaltsam unterdrückt werden.»

Putin Kreise.
Putin Kreise.
NDB

Das Risiko eines direkten militärischen Konflikts zwischen der Nato und Russland ist laut NDB grösser geworden – «etwa ausgelöst durch unbeabsichtigte militärische Zwischenfälle». Auch das Risiko einer nuklearen Eskalation sei gestiegen – «auch wenn der NDB den Einsatz russischer Nuklearwaffen gegen westliche Staaten nach wie vor für äusserst unwahrscheinlich hält».

Die Biden-Administration beteilige sich zwar an der Stärkung der Nato-Ostflanke. «Es bleibt jedoch ungewiss, ob künftige Administrationen an der traditionell dominanten Rolle der USA bei der Verteidigung Europas festhalten werden», so der Geheimdienst. Die erhöhte Militärpräsenz der USA und anderer westlicher Staaten in jenen Ländern «markiert den Beginn» einer glaubwürdigeren Abschreckung durch die Nato.

Beunruhigend ist der mangelnde Export von Nahrung wegen des Krieges: «Zu den Nebenfolgen existenzbedrohender Lebensmittelknappheit können verstärkte staatliche Instabilität in betroffenen Ländern und erhöhter Migrationsdruck zählen», warnt der NDB.

China

Chinas scheinbar unaufhaltsamer Aufstieg macht den Westen nervös: «Die Besorgnis über den wachsenden globalen Einfluss Chinas breitet sich aus und nimmt durch Chinas wiederholte Betonung der Partnerschaft mit dem kriegführenden Russland weiter zu.» Der «Grad an Unterstützung, den China Russland gewähren wird», sei «momentan grösste geopolitische Unbekannte».

Denn: «Sollte China Russland helfen, die westlichen Sanktionen in grossem Stil zu umgehen, dürften die USA den Druck auf ihre europäischen Verbündeten erhöhen, in der Folge auch China zu sanktionieren.» Innenpolitisch sitze Präsident Xi fest im Sattel, nachdem er «hochrangige Loyalisten in Schlüsselstellen eingesetzt und seine Macht über strategisch relevante Partei- und Staatsstrukturen ausgeweitet» habe.

Das von China ausgebaute Fiery Cross Reef im Südchinesischen Meer im Mai 2022.
Das von China ausgebaute Fiery Cross Reef im Südchinesischen Meer im Mai 2022.
AP

Der strategische Wettbewerb zwischen den USA und China werde das prägende Element der internationalen Beziehungen bleiben: «Dabei werden die USA versuchen, trotz der aktuellen Konfrontation mit Russland weiterhin so weit wie möglich auf China zu fokussieren.» Im Südchinesischen Meer trete Peking mittlerweile weitgehend als regionale Vormacht auf.

Das Vorgehen im Südchinesischen Meer zeige exemplarisch, «wie China zielsicher seinen Willen durchzusetzen und dabei stets unterhalb der Eskalationsschwelle zu einem bewaffneten Konflikt zu bleiben vermag. Diese Strategie wird China auch in anderen Konflikten verfolgen».

Gleichzeitig rüste Peking unbeirrt auf: «So baut China zum Beispiel über 300 neue Silos, die nach Fertigstellung mit ballistischen Lenkwaffen interkontinentaler Reichweite bestückt werden können. Die chinesischen Seestreitkräfte verfügen mittlerweile über die zahlenmässig grösste Flotte der Welt.»