Bröckelnde Berge Dutzende Gemeinden schützen sich mit neuen Bauwerken

Von Gabriela Beck

16.4.2023

Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) führt mehrere grosse Ereignisse auf die Veränderung im Untergrund zurück – etwa den Bergsturz am Piz Cengalo oberhalb von Bondo GR im August 2017. Das Dorf musste evakuiert werden.  
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) führt mehrere grosse Ereignisse auf die Veränderung im Untergrund zurück – etwa den Bergsturz am Piz Cengalo oberhalb von Bondo GR im August 2017. Das Dorf musste evakuiert werden.  
Gian Ehrenzeller/KEYSTONE

Wärmere Temperaturen lassen den Permafrost in den Bergen schmelzen. Die Gefahr von Steinschlag und Bergstürzen steigt – und damit auch die Kosten für Schutzmassnahmen in betroffenen Gemeinden.

Von Gabriela Beck

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Permafrost in den Schweizer Bergen schmilzt. In den Böden werden Temperaturrekorde gemessen. 
  • Die Bergkantone überwachen immer mehr instabile Hänge, es drohen vermehrt Steinschlag und Bergstürze.
  • Eine Verstärkung von Schutzmassnahmen ist nötig, was hohe Kosten verursacht.

Erst vor ein paar Tagen ist die Bevölkerung des Bündner Dorfes Brienz über den Ablauf einer allfälligen Evakuierung informiert worden. Fachleute erwarten in den nächsten Monaten einen Felssturz, der sich zu einem Bergrutsch ausweiten könnte. Bereits in der Nacht auf Ostern sei es zu einem kleinen Abbruch des rutschenden Gesteins gekommen.

Das Gebiet oberhalb von Brienz ist schon lange in Bewegung. Am Ende der letzten Kältezeit setzte schmelzendes Eis die Aktivitäten in Brienz in Gang, die bis heute anhalten. Die gesamte Terrasse, auf der das Dorf liegt, rutscht talwärts – und zwar immer schneller. Das ist neu.

Ein Dorf rutscht ab: «Da rollt grad ein grösserer Block heran» – «Mir macht das Angst»

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Als wäre der instabile Untergrund nicht genug, droht jetzt auch noch ein Bergsturz. Brienz kämpft mit den Naturgewalten. Was hat sich im Bündner Dorf zuletzt getan? Und wie sieht die Zukunft aus? Ein Besuch vor Ort.

06.04.2023

In den Schweizer Bergen sind mächtige Kräfte am Werk

Mit den steigenden Temperaturen aufgrund des Klimawandels tauen nun Gesteinsmassen auf, die über Jahrhunderte vom Permafrost zusammengehalten worden sind. Dadurch werden Hänge instabil, es drohen vermehrt Steinschläge und Bergstürze.

Jeannette Nötzli, Projektmanagerin beim Messnetz PERMOS, sammelt im Auftrag des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos Daten zum Permafrost in den Alpen. In den kommenden Tagen erscheint das jährliche Permafrost-Bulletin, an dem sie mitarbeitet. Für die Expertin ist klar, dass der Hitzesommer 2022 auch die Temperaturen im Permafrost ansteigen liess: «An zwei Dritteln der Standorte massen wir neue Rekorde, sagt Nötzli dem «Tagesanzeiger».

In allen Teilen der Alpen zeigt sich dasselbe Bild: tiefgefrorener Boden taut. Selbst auf einer Höhe von 3500 Metern nahm die durchschnittliche Jahrestemperatur im Boden um ein Grad zu.

Die Permafrost-Karte des Bundesamtes für Umwelt zeigt: Sechs bis acht Prozent der Fläche der Schweiz sind instabile Gebiete, fünf Prozent sind Permafrostgebiete.
Die Permafrost-Karte des Bundesamtes für Umwelt zeigt: Sechs bis acht Prozent der Fläche der Schweiz sind instabile Gebiete, fünf Prozent sind Permafrostgebiete.
Bafu

Allerdings sei immer auch eine lokale Beurteilung notwendig, weist Nötzli hin. Permafrostgebiete seien nun nicht per se instabile Gebiete, da weitere Faktoren wie Eisgehalt, Beschaffenheit des Untergrunds oder die Geologie eine Rolle spielten.

Allein im Kanton Bern werden 86 Stellen überwacht, weil Siedlungen, Strassen oder andere wichtige Bauten von Steinschlägen bedroht sind. Im Kanton Graubünden sind zurzeit 50 Überwachungsanlagen in Betrieb. Auch im Bergkanton Uri überwacht die Abteilung Naturgefahren zurzeit etwa 30 Standorte.

Gemeinden bauen neue Schutzmassnahmen

Viele Schutzmassnahmen wie Drahtnetze oder Mauern genügen nicht mehr, sie müssen erhöht, verstärkt oder durch andere Vorrichtungen ersetzt werden. Aber das kostet.

Dutzende Gemeinden sind betroffen. Zum Beispiel Saas-Almagell am Fuss des 3100 Meter hohen Mittaghorns. Gefahrenkarten des Kanton Wallis zeigen, dass mehrere Häuser des Bergdorfs in der Falllinie möglicher herabfallender Gesteinsbrocken liegen. Die bestehende Schutzmauer recht nicht mehr. Neue Schutzbauten sind nötig. Im Herbst starten daher die Bauarbeiten, im Frühling 2024 soll dann ein massiver Schutzdamm aus Stein die Gefahren des bröckelnden Mittagshorns bannen.

Auf dem eigenen Balkon von einem Stein am Kopf getroffen

Zermatt wird bereits durch ein weit verzweigtes System an Tunneln und Erdwällen vor Lawinen und Steinschlag geschützt. Warnanlagen stoppen Autos und Züge bei drohender Gefahr.

Doch etwas weiter unten liegen mehrere Häuser des Weilers Täsch in der rot eingefärbten Gefahrenzone – auch die Bahnlinie zwischen Täsch und Zermatt. Nach einem fatalen Zwischenfall letzten Sommer, als eine Frau bei sich zu Hause auf dem Balkon von einem herabstürzenden Stein am Kopf getroffen und tödlich verletzt wurde, prüft die Gemeinde nun Massnahmen zum Schutz der betroffenen Häuser.

Die Kosten sind immens, nicht nur für die einzelnen. Gemeinden. Gemäss Zahlen des Bundesamts für Umwelt (Bafu) gibt die Schweiz aktuell rund 319 Millionen Franken pro Jahr zum Schutz vor Bergstürzen, Steinschlag oder Murgängen aus.