Vormarsch der Taliban Bund zieht Schweizer Mitarbeitende aus Afghanistan ab – Botschaften schliessen

lmy/red

13.8.2021

EDA-Staatssekretärin Livia Leu, Mario Gattiker Staatssekretär für Migration und Patricia Danzi, Leiterin der DEZA, von rechts, äussern sich zu der sich zuspitzenden Lage in Afghanistan und den Konsequenzen für die Schweiz, am Freitag, 13. August 2021 in Bern. 
EDA-Staatssekretärin Livia Leu, Mario Gattiker Staatssekretär für Migration und Patricia Danzi, Leiterin der DEZA, von rechts, äussern sich zu der sich zuspitzenden Lage in Afghanistan und den Konsequenzen für die Schweiz, am Freitag, 13. August 2021 in Bern. 
Bild: KEYSTONE/Alessandro della Valle

Die Schweizer Mitarbeitenden des Aussendepartement EDA in Kabul werden aus Sicherheitsgründen zurück geholt. Dänemark und Norwegen schliessen angesichts des Vormarsches der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan vorübergehend ihre Botschaften in Kabul.

lmy/red

13.8.2021

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich seit dem Abzug der internationalen Truppen Mitte April dramatisch verschlechtert. Die militant-islamistischen Taliban haben inzwischen mehr als die Hälfte aller Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle gebracht. Nach Kandahar, der zweitgrösste Stadt des Landes, befanden sich die Taliban zuletzt wenige Kilometer südlich der Hauptstadt Kabul.

«Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert sich täglich», sagte Livia Leu, Staatssekretärin beim Aussendepartement EDA, am Freitagabend vor den Medien in Bern. «Wir sind sehr besorgt über diese Entwicklung.» Es müsse dringend ein politischer Dialog aufgenommen werden. «Die Schweiz verurteilt die Verstösse gegen das Völkerrecht, die in Afghanistan begangen werden», sagte Leu weiter, «das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte müssen eingehalten werden».

Die Staatssekretärin des EDA, Livia Leu, informiert vor den Bundeshausmedien darüber, dass die Schweizer Mitarbeitenden aus Afghanistan abgezogen werden.
Die Staatssekretärin des EDA, Livia Leu, informiert vor den Bundeshausmedien darüber, dass die Schweizer Mitarbeitenden aus Afghanistan abgezogen werden.
Screenshot: Bund

Möglichst schnell raus aus Kabul

Die Schweiz habe nun entschieden, alle sechs Schweizer Mitarbeitenden des DEZA-Kooperationsbüros in Afghanistan in die Schweiz zurück zu holen, erklärte Leu. Diese sollen die afghanische Hauptstadt so schnell wie möglich verlassen.

Seit 2002 ist die Schweiz mit einem Kooperationsbüro vor Ort, das die Programme der Deza umsetzt. Die politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Afghanistan werden hingegen durch die Schweizerische Botschaft in Islamabad in Pakistan gepflegt.

Lokale Mitarbeitende erhalten Asyl

Die rund 40 lokalen Mitarbeitenden der Deza in Afghanistan und ihre Kernfamilien werden ebenfalls in die Schweiz fliegen. Sie erhalten ein humanitäres Visum. Es dürfte sich insgesamt um 200 Personen handeln, erklärte Mario Gattiker, Staatssekretär beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Diesen Entscheid habe Justizministerin Karin Keller-Sutter gefällt.

Die lokalen Mitarbeitenden reisen im Rahmen des Resettlement-Programms des UNHCR in die Schweiz und erhalten Asyl. Weil sie für die Schweiz arbeiteten, bestehe die Gefahr, dass sie als Kollaborateure des feindlichen Westens angesehen werden und verfolgt würden, sagte Gattiker.



Des Weiteren habe das EDA Kenntnis von noch einer Schweizerin oder einem Schweizer in Afghanistan. Eine reisende Person sei registriert.

Alle Rückführungen sind gestoppt

Die Sicherheitslage ist nun auch so schlecht, dass gar keine Asylsuchenden mehr nach Afghanistan zurückgeführt werden können – auch nicht schwer straffällig gewordene Personen.

Am Mittwoch hatte das SEM mitgeteilt, dass die Schweiz bis auf weiteres keine Rückführung abgewiesener Asylsuchender nach Afghanistan mehr durchführe.

Einzig bei schwer straffälligen Personen könne dies noch der Fall sein. Die afghanischen Behörden würden derzeit keine Staatsangehörigen zurücknehmen, erklärte nun Gattiker. Niemand werde deshalb mehr nach Afghanistan ausgeschafft.

Afghanistan hatte die Schweiz bereits Anfang Juli gebeten, wegen der schwierigen Sicherheitslage und der Corona-Pandemie vorerst keine Rückführungen mehr durchzuführen. Die Schweiz hielt trotzdem an den Ausschaffungen fest.

Schweizer Engagement wird fortgesetzt

Obwohl das Personal des Kooperationsbüros der Deza zurückgeholt werde, bleibe das Engagement der Schweiz aufrecht, sagte Deza-Direktorin Patricia Danzi.

Die humanitären Partnerorganisationen der Schweiz würden ihre Arbeit in Afghanistan fortführen. Es werde in nächster Zeit in Afghanistan, aber auch in den Nachbarstaaten Unterstützung brauchen. Man werde nun prüfen, wie die Schweiz in Afghanistan und in der ganzen Region am besten helfen könne.

Dänemark und Norwegen schliessen Botschaften in Kabul

Sämtliche Angestellte der dänischen Botschaft werden evakuiert, darunter auch lokal ansässige afghanische Mitarbeiter, sagte der dänische Aussenminister Jeppe Kofod am Freitagnachmittag auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen.

Kurz darauf kündigte auch Norwegens Aussenministerin Ine Eriksen Søreide einen solchen Schritt ihres Landes an. Beide machten klar, dass die Sicherheit von Angestellten, Entsandten und lokalen Mitarbeitern allerhöchste Priorität habe.

Schweden teilte derweil mit, die Personalstärke in der schwedischen Botschaft in Kabul zu begrenzen. Für eine Evakuierung, die kurzfristig aktuell werden könnte, seien gute Vorbereitungen getroffen worden, schrieb Aussenministerin Ann Linde am Abend auf Twitter.

Johnson: Botschaftsmitarbeiter sollen Kabul verlassen

ie Mitarbeiter der britischen Botschaft in Afghanistan sollen bereits in den kommenden Tagen grösstenteils abgezogen werden. Das sagte Premierminister Boris Johnson nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitskabinetts (Cobra) zur Lage in dem zentralasiatischen Land am Freitag in London. Gleichzeitig solle ein Team des Innenministeriums entsandt werden, um die Ausreise von Afghanen zu organisieren, die für die britischen Streitkräfte tätig waren.

Nach der US-Ankündigung zum Abzug hatten auch Grossbritannien und die übrigen Alliierten wie Deutschland entschieden, den Einsatz zu beenden. Seitdem haben die militant-islamistischen Taliban weite Teile des Landes erobert.