Heimatschutz Eine Villen-Verschiebung als kultureller Akt

SDA

21.8.2020 - 00:27

An der viel befahrenen Julierstrecke in Graubünden hat die Kulturorganisation Origen eine alte weisse Villa um einige Meter verschoben. Damit schafft sie im Bergdorf Mulegns mehr Platz für den Verkehr und Raum für Kultur zu schaffen.

Mit der ungewöhnlichen Umplatzierung wird das denkmalgeschützte Gebäude eines ehemaligen Zuckerbäckers erhalten. Nach Tagen der Vorbereitung ging das Schauspiel in der Nacht auf Freitag über die Bühne. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichtet von ein paar Dutzend Schaulustigen, die dem Spektakel beiwohnten.

Für Origen ist die Verschiebung nicht einfach ein technisches Unterfangen. Vielmehr macht die Kulturorganisation, die 2018 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet worden war, einen kulturellen Akt daraus. Wie ein grosses Puppenhaus auf Reisen wurde die in verschiedenen Farben festlich beleuchtete Villa bespielt und besungen.

Aus dem fahrenden Haus erklangen den Angaben der Organisation zufolge rätoromanische Lieder. Laut Origen sollten sie an das grosse Heimweh des Zuckerbäckers Jean Jegher erinnern. Den Mann plagte während seiner Zeit in Bordeaux grosses Heimweh, das ihn schliesslich zur Rückkehr in die Heimat sowie zum Bau der Villa an der Julierstrecke bewegt hatte.

Kratzspuren an den Häusern vom Verkehr

Die Inszenierung mit dem Verschieben des Gebäudes startete am Donnerstagabend gegen 22:00 Uhr. Mit der Verschiebung endet nunmehr auch die jahrzehntelang geführte Diskussion um die Beseitigung des wohl schmalsten Engpasses an der Julierstrecke.

Das Projekt ist mit Kosten von 5,6 Millionen Franken verbunden. Die Bündner Regierung steuerte einen Beitrag von 1,95 Millionen Franken bei. Origen will den Kern des 17 Seelen-Dorfes Mulegns in Zukunft kulturell beleben. Theater, Ausstellungen und Rauminstallationen sind geplant. Geht der Plan auf, soll in Mulegns ein innovatives Kulturdorf entstehen.

Autofahrer kennen den Engpass

Die Julierstrecke ist die Hauptverkehrsader für den Strassenverkehr zwischen Nordbünden und dem Engadin. Praktisch jeder Autofahrer und jede Autofahrerin, die den Julierpass schon überquerten, kennt den Engpass in Mulegns (zu deutsch: Mühlen).

Es gab bisher kein Ausweichen: Sämtliche Lastwagen und Autos mussen sich durch das Nadelöhr zwängen. Fahrzeuge rissen wiederholt Fassadenstücke von den Gebäuden weg. Die Kratzspuren sind an den Hauswänden sichtbar. Nunmehr – so das Fazit der Organisatoren – «wird das wunderbare Bauwerk für die Nachwelt erhalten, die Korrektur der Julierstrasse ermöglicht und die Sicherheit sowie Lebensqualität im 17-Seelen-Dorf wesentlich verbessert».

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