Streit um Schweizer Europa-Politik «Spielraum hilft nur, wenn es etwas zu gewinnen gibt»

Von Alex Rudolf

23.3.2022

Die Operation Libero bedient sich des «Sofas der Nation», um den Stillstand in der Europa-Politik aufzuzeigen.
Die Operation Libero bedient sich des «Sofas der Nation», um den Stillstand in der Europa-Politik aufzuzeigen.
zVg: Operation Libero

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind kompliziert. Seit der Bundesrat einen Plan vorgelegt hat, fordern mehr und mehr Akteure die Mitsprache in diesem Dossier.

Von Alex Rudolf

23.3.2022

Vor seiner Wahl in den Bundesrat ging das Bild von Ignazio Cassis (FDP) auf seinem blau-türkis geblümten Sofa viral. Dem heutigen Aussenminister und aktuellen Bundespräsidenten wurde wenig Geschmack für Einrichtung attestiert, die Rede war gar vom «Sofa der Nation». Wer sich darüber gefreut hat, das Blumenmuster schon vergessen zu haben, der sollte hier wohl nicht weiterlesen.

Denn an diesem Wochenende präsentierte die Operation Libero ihre Kampagne für ihre Europa-Initiative. Die überparteiliche Organisation bediente sich Cassis' Sofamuster und zimmerte draus einen phlegmatischen Elefanten. Auf mehreren Bildmontagen sitzt dieser faul neben Cassis auf der Couch oder platzt in die Bundesratssitzung.

Der «Europafant», wie ihn die Polit-Aktivist*innen nennen, soll daran erinnern, dass die Europa-Politik der vergangenen Jahre träge war und stiefmütterlich behandelt wurde. Mit der Initiative soll der Wind nun drehen.

Aber hat er nicht ohnehin schon gedreht? Vor wenigen Wochen trat Cassis flankiert von Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) vor die Medien und präsentierte das geplante Vorgehen. Zuvor äusserte sich die Regierung seit dem Abbruch der Verhandlungen zum Institutionellen Rahmenabkommen im Mai vergangenen Jahres nicht zum Geschäft.

Brüssel erwarte, dass die Schweiz nun Vorschläge mache, wie es weitergehen solle, sagte Cassis. Der Bundesrat will, dass nun sektoriell verhandelt wird. Will heissen: Institutionelle Fragen sollen in einzelnen Binnenmarkt-Abkommen abgehandelt werden. Das Problem dabei ist aber, dass sich die EU bereits mehrmals gegen dieses Vorgehen geäussert hat und aus Brüssel keine Zeichen für einen Sinneswandel gekommen sind.

Eine Sicherung der Bilateralen ohne Rahmenabkommen werde sehr schwierig, sagt Jonathan Slapin. Er ist an der Universität Zürich Professor für Institutionen und europäische Politik und ergänzt, dass man bei den Brexit-Verhandlungen schon gesehen habe, dass die EU auf einen Rahmen pocht.

Wie sinnvoll sind Vorschriften für den Bundesrat?

Zudem baut sich innenpolitischer Druck auf. Vergangene Woche verabschiedete der Nationalrat eine parlamentarische Initiative der aussenpolitischen Kommission. Darin wird verlangt, dass die Eckwerte für den Dialog sowie die Rolle des Parlaments in einem Bundesgesetz festgeschrieben werden sollen. Sagt auch der Ständerat Ja, folgt die Ausarbeitung eines Gesetzestextes.

Wie sinnvoll ist es, dem Bundesrat bei den EU-Verhandlungen Vorschriften zu machen? Vonseiten der SVP und FDP lehnt man das Ansinnen grundsätzlich ab. Zu blue News sagte FDP-Präsident Thierry Burkart Anfang Jahr, dass dies lediglich die Verhandlungsmacht schmälere. «Spielraum hilft nur, wenn es etwas zu gewinnen gibt», sagt Slapin hierzu. Nach dem Abbruch der Verhandlungen habe die EU gegenüber der Schweiz eine härtere Linie gefahren. «Die Schweiz hat keine Verhandlungsmacht gewonnen», sagt er. «Will also Mitte-Links mit dem Europa-Gesetz sicherstellen, dass der Bundesrat nicht mehr abbrechen kann, könnte dies sinnvoll sein.»

Feststeht, dass auch der Druck von ausserhalb des Parlaments auf den Bundesrat zunimmt. Der Bundesrat solle den «Europafant» an den Stosszähnen packen, twitterte Operation-Libero-Co-Präsidentin Sanija Ameti.