Schäden in Milliardenhöhe So funktioniert die perfide Masche der Firmenbestatter

Stefan Michel

7.4.2025

Wenn das Konkursverfahren beginnt, ist der Schaden bereits angerichtet. Konkursreiterei kostet Unternehmen, Privatpersonen und die Allgemeinheit jährlich Milliarden (Symbolbild).
Wenn das Konkursverfahren beginnt, ist der Schaden bereits angerichtet. Konkursreiterei kostet Unternehmen, Privatpersonen und die Allgemeinheit jährlich Milliarden (Symbolbild).
Bild: Keystone

Die Schäden gehen in die Milliarden. Firmenbestatter übernehmen KMU, die bereits kurz vor der Insolvenz stehen. In deren Namen häufen sie weitere Schulden an, die niemals beglichen werden.

Stefan Michel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Firmenbestatter übernehmen zahlungsunfähige Unternehmen kurz vor dem Konkurs, um diesen zu verschleppen und dabei noch auf Kosten Dritter Leistungen zu beziehen – im Wissen, dass sie diese nicht bezahlen können.
  • Gläubiger, Mitarbeitende und die Allgemeinheit tragen massive finanzielle Verluste, während Justiz und Strafverfolgung häufig zu spät eingreifen.
  • Ein Experten rät zu konsequenter Bonitätsprüfung der Lieferanten, um nicht auf Firmenbestatter hereinzufallen.

Was tut ein Firmenbestatter? Wer den Begriff nicht schon kennt, stellt sich vielleicht vor, dass dieser einem gescheiterten Unternehmen ein würdiges und für alle tröstliches Ende beschert.

Das ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, was ein Firmenbestatter tatsächlich macht.

Der Firmenbestatter übernimmt, üblicherweise gegen ein Honorar, ein Unternehmen, das bereits nicht mehr lebensfähig, aber noch nicht im Konkursverfahren ist. In manchen Fällen haben die vorherigen wirtschaftlich Berechtigten bereits alles Verwertbare auf sich oder andere Firmen übertragen. Noch wichtiger für sie: Sie behalten eine weisse Weste, das Unternehmen geht erst in Konkurs, wenn sie nichts mehr damit zu tun haben.

Der Firmenbestatter verschleppt das Konkursverfahren solange es geht und oft bezieht er auf Kosten gutgläubiger Lieferanten weitere Leistungen oder Güter, beispielsweise Mobiltelefone, Computer oder er least sogar Autos, wie der Rechtsanwalt Oliver Kälin in einem Papier zum Thema schreibt. Dabei ist das Unternehmen faktisch zahlungsunfähig, und der Bestatter hatte gar nie vor, die bezogenen Waren zu bezahlen.

Irgendwann lässt sich das Konkursverfahren nicht mehr verhindern. Wenn dann alle Zahlen auf dem Tisch liegen, zeigt sich: Es ist längst nichts mehr da, womit die aufgelaufenen Schulden beglichen werden könnten. Die Gläubiger gehen leer aus.

Firmenbestatter hat nichts mehr zu verlieren

Konkursreiterei nennt die Justiz das Delikt. Der Kanton Zürich hat schon vor einigen Jahren erklärt, dass der so verursachte Schaden mehrere hundert Millionen Franken jährlich betrage. Das Wirtschaftsauskunfts-Unternehmen Creditreform schreibt von schweizweit mehreren Milliarden Franken unbeglichener Schulden durch Konkursreiterei.   

«Der Firmenbestatter ist eine Person, die nichts mehr zu verlieren hat», beschreibt Raoul Egeli, CEO von Creditreform im Gespräch mit blue News. «Oft hat er selber Schulden und seine Bonität ist so schlecht, dass ein weiterer Konkurs daran nichts mehr ändert.» 

Im Prinzip stelle er nur seinen Namen für die Eintragung im Handelsregister zur Verfügung und stehe Betreibungs- und Konkursämtern als Ansprechperson zur Verfügung, beschreibt die «NZZ» die Leistung des Firmenbestatters. Dafür kassiert er einen tiefen vierstelligen Betrag, wie verschiedene Medienberichte über Fälle zeigen, die vor Gericht endeten.

Bevor der Firmenbestatter übernimmt, agiert oft ein Vermittler. Bei diesem melden sich die Verantwortlichen der angeschlagenen Firma, er organisiert den Bestatter und wickelt die Überschreibung ab. Auch er kassiert üblicherweise ein Honorar im vierstelligen Bereich. Er ist der Profi, der dafür sorgt, dass die vorgeschriebenen Verfahren korrekt ablaufen. Oder zumindest nicht offensichtlich missbräuchlich sind. 

Wenn die Justiz eingreift, ist der Schaden bereits angerichtet

Dass die Firmenbestatter gegen Gesetze verstossen, zeigt sich aber erst, wenn es zu spät ist. In der Regel übernehmen sie in keiner Weise Verantwortung für das Unternehmen, das ihnen anvertraut worden ist. Sie kümmern sich nicht um die Buchhaltung, führen keine Zahlungen aus – überweisen oft auch keine Löhne und Sozialleistungen. Damit machen sie sich der Unterlassung der Buchführung schuldig. Indem sie weitere Schulden anhäufen, auch der Misswirtschaft, unter Umständen zudem des Betrugs, wie Anwalt Kälin auflistet.

Der Vermittler, der es den Verantwortlichen einer Pleite-Firma erleichtert, ihre Schulden mit einer Unterschrift loszuwerden, macht sich laut Kälin unter Umständen der Anstiftung zur Misswirtschaft oder der Begünstigung schuldig.

Laut Egeli gibt es Personen, die weit über 100 Firmen bestattet haben. Das geht nur, wenn niemandem auffällt, dass die gleiche Person nach Dutzenden von Konkursen wieder eine Firma übernimmt. Und das, obwohl beispielsweise die Kantonspolizei Zürich eine Sonderkommission führt, die sich auf Konkursreiterei konzentriert. Die Kantonspolizei gibt auf Anfrage von blue News dazu keine Einzelheiten bekannt und verweist auf die Kriminalstatistik und den Rechenschaftsbericht des Obergerichts, in denen Anhaltspunkte zur Bekämpfung des Missbrauchs von Konkursverfahrens zu finden sind.

Dass den Firmenbestattern das Handwerk nicht gelegt wird, liege zur Hauptsache daran, dass es immer noch Gläubiger gibt, die ohne Prüfung der Bonität liefern und die Staatsanwaltschaften, die die Verfahren führen müssten, chronisch überlastet seien, ist Egeli überzeugt. «Es ist primär an den Gläubigern, sich zu überlegen, wem sie Produkte auf Rechnung oder Vorleistungen erbringen.» Bevor jemand privat einem Freund Geld leiht, überlege sich diese Person in der Regel ja auch, ob sie das Geld wohl zurückerhalte. Dasselbe gelte in der Geschäftswelt, zieht Egeli einen Vergleich.

Bonität zu prüfen kostet, es nicht zu tun kann noch teurer werden

Wer also einer Firma einen Computer oder ein Mobiltelefon auf Bestellung liefert, sollte vorher klären, wie es um die Zahlungsmoral dieser Firma steht. Das ist aufwändig und wenn es um einen relativ kleinen Betrag geht, kann es unverhältnismässig teuer sein.

Egeli wendet ein: «Die Bonitätsprüfung lässt sich beispielsweise direkt in den Bestellprozess des Onlineshops einbinden. Es darf nicht sein, dass die zahlenden Kunden die Forderungsverluste finanzieren müssen.» 

Dies ist der Fall, wenn beispielsweise grosse Versandhändler solche Verluste direkt in ihre Preise einrechnen.

Jene, die nicht ihre ehrlichen Kunden für die Verluste bezahlen lassen wollen oder können, sind für die Bonitätsprüfung auf öffentliche Daten wie jene des Handelsregisters angewiesen. Einen Betreibungsregisterauszug können sie aber kaum für jeden einzelnen Verkauf eines Telefons einholen. 

Zudem gibt es spezialisierte Firmen wie Crif, Intrum oder Creditreform, die zur Prüfung der Kreditwürdigkeit Informationen über Firmen sammeln und aufbereiten. Aber auch da müssen Aufwand und Kosten der Überprüfung in einem vernünftigen Verhältnis zum potenziellen Schaden einer nicht bezahlten Rechnung stehen. Egeli verdeutlicht: «Es macht natürlich einen Unterschied, ob es um 250 Franken oder um 400'000 Franken geht – je höher die Forderung, desto tiefgreifender sind die Informationen, die wir bereitstellen.»

Creditreform hat nach eigener Angabe über eine Million Schweizer Unternehmen in seiner Datenbank. Eine eigene Software analysiert diese auf Verdachtsfälle für Konkursreiterei. 2024 wurden mehr als 800 solche Verdachtsfälle festgestellt. 

Firmen, die die Bonität ihrer Kunden durch Creditreform überwachen lassen, werden unverzüglich hierüber informiert. «Wir geben die Verdachtsfälle aber auch an Behörden weiter», betont Egeli. Missbrauch des Konkursverfahrens ist ein Offizialdelikt, das die Justizorgane auch verfolgen müssen, ohne, dass ein Gläubiger dies fordert.

Hauptleidtragende: Angestellte der Pleite-Firma

Auch den Schaden durch nicht bezahlte Rechnungen hat Creditreform schon hochgerechnet: 12 Milliarden Franken fehlen in den Kassen alljener, die gutgläubig Produkte auf Rechnungen liefern. Wobei zu den nie beglichenen Schulden auch Steuern, Versicherungsprämien und Ähnliches gehören.

Am härtesten treffe Konkursreiterei oft nicht jene, die für ein geliefertes Produkt oder geleistete Arbeit nicht bezahlt werden. In vielen Fällen seien die Angestellten der konkursreifen Firma jene, die den grössten Schaden davon tragen, betont Egeli. «Oft werden Löhne und die Arbeitgeberbeiträge für Sozialleistungen oder die berufliche Vorsorge nicht mehr bezahlt.» Da die Firmen als Erstes keine Steuern entrichteten, sei auch die Allgemeinheit am Verlust beteiligt, führt er aus.

Das ist umso stossender, wenn Firmen schon in der Absicht gegründet werden, nie irgendwelche Abgaben zu leisten, sondern bloss besonders billig beispielsweise Handwerksdienstleistungen anzubieten und wenn es brenzlig wird, das Unternehmen einem Firmenbestatter zu übergeben. Das komme im Bau- und Reinigungsgewerbe sowie in der Gastronomie immer wieder vor, legen verschiedene Berichte und Publikationen zum Thema dar.

Konkursverfahren bringt Gläubigern kaum etwas

Zuletzt bleibt jenen, die das ihnen zustehende Geld nicht erhalten, nur noch die Möglichkeit, das Konkursbegehren über das betreffende Unternehmen zu stellen. Der durchschnittliche Kostenvorschuss für das Verfahren beträgt laut Egeli rund 5000 Franken und sei eine wesentliche Einnahmequelle der Konkursämter.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gläubiger ihr Geld dann erhalten, gehe jedoch gegen Null. «In 98,3 Prozent der Fälle gehen die Gläubiger leer aus.» Die Konkursdividende – also das, was die Gläubiger nach der Liquidation einer zahlungsunfähigen Firma erhalten – betrage im Schnitt weniger als 3 Prozent dessen, was ihnen die konkursite Firma schuldet.

Damit würde ein Gläubiger, dem die bestattete Firma 150'000 Franken schuldet, im statistischen Mittel 5000 Franken erhalten – etwa gleich viel, wie er bezahlen müsste, damit das Verfahren überhaupt eröffnet wird. 

Es lohnt sich also oft nicht, gegen ein insolventes Unternehmen um sein Geld zu kämpfen. Das wiederum erleichtert den Firmenbestattern und Vermittlern, unerkannt ihr Geschäft weiterzubetreiben. Denn davon leben sie: Möglichst lang unter dem Radar bleiben, bis es nichts mehr zu holen gibt.

Das Gegenmittel ist für Raoul Egeli klar: «Die Bonität der Kunden konsequent prüfen und Bestandeskunden systematisch überwachen, damit man erfährt, wenn ein Bestatter Einsitz in der Unternehmensleitung nimmt.»

Anders gesagt: Die liefernden Unternehmen müssen sich selber davor schützen, auf Firmenbestatter hereinzufallen.


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