Konsensprinzip Frauensession verlangt Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht

sda/toko

30.10.2021 - 18:06

Teilnehmerinnen während der Frauensession 2021 am Samstag im Nationalrat. 
Teilnehmerinnen während der Frauensession 2021 am Samstag im Nationalrat. 
KEYSTONE/Anthony Anex

An der zweite Frauensession in der Geschichte der Schweiz sind 23 Petitionen beschlossen worden, die nun ans Parlament gehen. Forderungen zur Revision des Sexualstrafrechts, zur Lohngleichheit und zum bedingten Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer prägten die zweitägige Session.

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Für straffreie sexuelle Handlungen müsse zuvor eine Zustimmung verlangt werden. Mit einer deutlichen Mehrheit von 215 zu 6 Stimmen bei 5 Enthaltungen, sprachen sich die Teilnehmerinnen der Frauensession für die Einführung des Konsensprinzips im Strafrecht ein. Mit diesem Schritt sollen Frauen besser bei Vergewaltigungen geschützt werden.

«Wir müssen ein Zeichen setzen und uns hinter die Betroffenen von sexualisierter Gewalt stellen», sagte Noemi Grütter, Vorstandsmitglied des Vereins «Sexuelle Gesundheit» im Nationalratssaal. In der Schweiz erlebe jede zehnte Frau sexuelle Handlungen gegen ihren Willen. «Das ist die ganze Stadt Zürich.» Für straffreie sexuelle Handlungen soll ein Ja vorausgesetzt werden.

Justizministerin Karin Keller-Sutter sprach am Freitag in einer engagierten Rede über Massnahmen gegen häusliche und sexuelle Gewalt. Beim Sexualstrafrecht verwies sie auf die laufenden Reformprozesse im Parlament. Ob es künftig Sex nur noch mit expliziter Zustimmung geben soll, liess Keller-Sutter offen. «Wichtig ist, dass wir eine Lösung finden, die den Opfern besser gerecht wird», erklärte sie.



Lohngleichheit realisieren

Besonders engagiert wurde im Rat auch über die Lohngleichheit debattiert. An der Session wurde einstimmig eine Petition beschlossen, die verlangt, dass der Bund den Druck auf die Arbeitgeber erhöht. Seit dem 1. Juli 2020 müssen laut Gleichstellungsgesetz Unternehmen mit über 100 Angestellten alle vier Jahre mit Analysen Lohntransparenz schaffen. Sie können bei guten Resultaten von dieser Pflicht befreit werden. Die Frauen an der Session fordern nun, dass Unternehmen bereits mit mehr als 50 Angestellten Lohntransparenz herstellen müssen und von dieser Pflicht auch nicht entbunden werden können.

«Um bei der Gleichstellung von Frau und Mann voranzukommen, braucht es in erster Linie Lohngleichheit», sagte denn auch Bundesrätin Simonetta am Freitag im Rat. Sie selbst habe bei ihrem ersten Job weniger Geld erhalten als ein Mitarbeiter. Aber sie habe nicht «stürmen» wollen. Wenn es um den Lohn gehe, würden Männer «verhandeln» und Frauen «ein Theater machen», sagte Sommaruga.

Um generell dem Thema Gleichstellung mehr Platz einzuräumen und auch mehr Ressourcen zu erhalten, verlangen die Frauen zudem vom Bundesrat, dass ein «Bundesamt für Gleichstellung und Familie» geschaffen wird.

Wählen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft

Mit der Verabschiedung eines Vorstosses für mehr politische Rechte für Ausländerinnen und Ausländer ging die Frauensession auch über «klassisch» Frauenanliegen hinaus. Nicht einstimmig, aber mit einer deutlichen Mehrheit von 185 zu 18 Stimmen bei 19 Enthaltungen wurde eine Petition beschlossen, die verlangt, dass Personen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft, die seit fünf Jahren in der Schweiz leben, auf Bundesebene das passive und aktive Wahlrecht sowie das Stimmrecht erhalten sollen.

Der Vorschlag wurde in einer von acht Kommissionen ausgearbeitet, bei der auch die 29-jährige Mona-Lisa Kole aus Biel mitarbeitete. Sie hat einen Master in Weltpolitik der Universität Bern, abstimmen und wählen darf sie jedoch nicht. Sie ist Kongolesin und hat eine Niederlassungsbewilligung C.

«Für mich sind vor allem Themen der Teilhabe, des Ausschlusses und der Repräsentation wichtig», erklärte sie auf Anfrage. Vor 50 Jahren sei das Frauenstimmrecht eingeführt worden – jedoch nicht für alle Frauen in der Schweiz. Mit der Einführung des Frauenstimmrechts sei ein wichtiges Demokratiedefizit aufgehoben worden, «aber wie geht es in 50 Jahren weiter? 2,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz haben noch keine politischen Rechte, weil sie Ausländerinnen und Ausländer sind», fragte Kole.

77 Geschäfte aus acht Kommissionen

Neben dem Sexualstrafrecht, der Lohngleichheit und der politischen Partizipation wurden jedoch auch zahlreiche andere Anliegen der Frauen diskutiert. So wurden etwa eine Petitionen für eine bessere sozialen Absicherung der Bäuerinnen und eine Petition zur Förderung von Frauen in Wissenschaft und Forschung beschlossen. Auch über Massnahmen gegen Altersarmut und bessere Rahmenbedingungen in der Freiwilligenarbeit wurden diskutiert.

Am Samstagnachmittag um 15 Uhr wurde die Frauensession 2021 schliesslich mit dem Erklingen der Glocke beendet.

Die zweite und letzte Frauensession?

Bereits bei der Eröffnung deutete der Frauendachverband Alliance F an, dass die zweite Frauensession in der Geschichte der Schweiz vielleicht die letzte gewesen ist. Auf Anfrage teilten die Co-Präsidentinnen von Alliance F, Ständerätin Maya Graf (Grüne/BL) und Nationalrätin Kathrin Bertschy (GLP/BE), nach Ende der Session mit: «Die Frage, ob es in 30 Jahren wieder ein Frauensession braucht, wird die nächste Generation entscheiden.»

Sie seien jedoch zuversichtlich, «dass in 30 Jahren Frauen und Männer zu gleichen Teilen politische Entscheidungen treffen, und die Perspektive der Frauen politisch keine stossende Minderheitenperspektive mehr ist – wie das in fast allen Parlamenten des Landes nach wie vor der Fall ist.»