Psychologe klärt auf Wie ticken Autofahrer, die den Motor aufheulen lassen?

tafu

26.5.2020

Bei einer Tuning-Show können sie zeigen, was ihr Auto in sich hat. Doch immer mehr Autoposer lassen die Reifen auf Schweizer Strassen quietschen – zum Ärger der Bewohner. (Archivbild)
Bei einer Tuning-Show können sie zeigen, was ihr Auto in sich hat. Doch immer mehr Autoposer lassen die Reifen auf Schweizer Strassen quietschen – zum Ärger der Bewohner. (Archivbild)
Keystone

Vermehrt kommt es zu Lärmklagen, da Anwohner sich durch den von getunten Autos verursachten Krach gestört fühlen. Doch warum finden Autoposer eigentlich derart Gefallen an ihrem geräuschintensiven Hobby?

Der Lockdown hat durchaus seine Vorteile: Die Natur erholt sich vielerorts, die Strassen sind wesentlich leerer als zu «normalen» Zeiten. Doch das führt zu einem ganz anderen Problem: Autoposer und Raser nutzen die verwaisten Strassen, mit heulenden Motoren geht es durch die Quartiere.

Die Folge: Mit einer Gefährdung des Strassenverkehrs geht eine massive Lärmbelästigung der Anwohner einher. Lärmklagen häufen sich. So hat beispielsweise die Stadtpolizei Winterthur nach einem Bericht des «Tages-Anzeiger» in diesem Jahr bereits 30 Anzeigen erstattet – genauso viele, wie normalerweise in einem ganzen Jahr zusammenkommen.

Auch in Aarburg gehen die Bewohner inzwischen auf die Barrikaden. Wie die «Aargauer Zeitung» berichtet, seien die Autoposer inzwischen zum Problem geworden, eine Petition hat bereits mehr als 600 Unterschriften gesammelt. Aber was bewegt die Fahrer der Autos dazu, mit überhöhter Geschwindigkeit zu fahren und noch einmal extra den Motor aufheulen zu lassen?

Bereits die Petition gibt in ihrer Beschreibung einen Hinweis: «Hierbei werden die Kraftfahrzeuge nicht dafür genutzt, um von A nach B zu kommen, sondern um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erhalten», heisst es auf «Petition.ch».



Die grosse Freiheit

Dass genau dies einer der Beweggründe für Autoposer ist, bestätigt auch der Verkehrspsychologe Urs Gerber im Gespräch mit der «Aargauer Zeitung». In seiner Praxis für Psychotherapie in Zürich hat er es regelmässig mit verkehrsauffälligen Fahrzeuglenkern zu tun, die ihren Führerschein verloren haben. Für Autoposer sei ihr Fahrzeug ein Zeichen von Freiheit. Viele von ihnen stammen aus ländlichen Gebieten, hier brauche man ein Auto, um unabhängig sein zu können.

Doch nicht nur die Herkunft spiele eine Rolle, auch die soziale Stellung habe massiven Einfluss auf das Gefühl, dass Autoposer und Raser in ihrem Auto suchen. Oft handle es sich um Schulversager oder Personen mit schlechten Jobs, erklärt Gerber. «Sie denken, dass alle auf sie herunterschauen und sie nichts zu sagen haben. Aber das Auto gehorcht ihnen. Geben sie Gas, beschleunigt der Wagen. Bremsen sie, verlangsamt er.» Totale Kontrolle.

Und nicht nur das: Sie werden gesehen. «Fahren sie am Wochenende im teuren BMW vor der Disco vor, Fenster unten und die Bässe aufgedreht, dann schauen alle.» Dank des Autos ist man jemand.

Trägt die Gesellschaft Mitschuld?

Regen sich Anwohner also über knallende Auspuffe und heulende Motoren auf, könnten sich Autoposer laut Gerber gewiss sein: Sie werden gesehen und gehört. Zugleich wollten sie zeigen, «was für Helden sie sind», so der Psychologe.

Seiner Meinung nach seien allerdings die Fahrer der Wagen nicht alleinverantwortlich. Die Gesellschaft trage eine Teilschuld, denn: «Es gibt zu wenig Freiräume für das Abenteuerbedürfnis der Jungen.» Sie wollten sich austoben, hätten dafür aber keinen Ort. Mit dem Auto die Strassen unsicher zu machen, das ist ihre Art des Austobens.



Gibt es denn eine Möglichkeit, die Poser von ihrem Tun abzuhalten? Gemäss Gerber ignorieren nur wenige von ihnen bewusst das Gesetz. Harte Strafen wie die Beschlagnahmung des Wagens oder gar Gefängnisstrafen hätten bereits dazu beigetragen, die Zahl der Raser auf Schweizer Strassen zu verringern. Doch Gerber hält ein ganz anderes Problem für mitverantwortlich: Leasing-Verträge.

«Muss sich ein 18-Jähriger einen BMW mit einem Verkaufspreis von über 100'000 Franken leasen können?», fragt sich der Psychologe immer wieder. Er halte Verträge für unter 25-Jährige für wenig sinnvoll und sei überzeugt: «Wer zuerst mit einem schwachen Auto fährt und sich den BMW erst mit 50 leisten kann, wird weniger schnell zum Raser.»

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