Kontroverse Listenverbindungen Politgeograf: «Herr Rimoldi hat es sich verscherzt»

Von Alex Rudolf

7.8.2023

Michael Hermann ist Geschäftsführer des Forschungsinstituts Sotomo. (Archivbild)
Michael Hermann ist Geschäftsführer des Forschungsinstituts Sotomo. (Archivbild)
Keystone/Peter Schneider

Die Listenverbindung zwischen SVP und Mass-voll in Solothurn gibt zu reden. Politgeograf Michael Hermann nennt dies eine «weitere Provokation von vielen» und ordnet im Gespräch mit blue News ein.

Von Alex Rudolf

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die SVP geht im Kanton Solothurn eine Listenverbindung mit den Corona-Massnahmengegner*innen von Mass-voll ein. Das schlägt hohe Wellen.
  • Politgeograf Michael Hermann sagt, dass diese Kooperation der SVP am ehesten nützen werde.
  • Dabei bestehe die Gefahr, dass die FDP als Partnerin abspringe.
  • Mass-voll profitiert derweil nicht von der Listenverbindung.

Diese Woche wurde bekannt, dass die Solothurner SVP bei den Wahlen im Herbst eine Listenverbindung mit der massnahmenskeptischen Gruppierung Mass-voll eingeht. Damit wolle man Verluste innerhalb des konservativen Lagers abwenden.

Ein Trip von Mass-voll-Chef Nicolas A. Rimoldi an den Geburtsort von Adolf Hitler erhitzt nun die Gemüter. Dass es sich bei Braunau am Inn um Hitlers Geburtsort gehandelt habe, sei ihm nicht bewusst gewesen, sagt Rimoldi. Man habe dort lediglich Bier getrunken und Knödel gegessen.

Was sind Listenverbindungen?

Am 22. Oktober wird wieder gewählt. Dann entscheidet sich, wer in den National- und Ständerat einzieht. Für die Nationalratswahlen reicht jede Partei eine Liste ein mit Personen darauf, die gerne nach Bern gewählt werden möchten. Mehrere Listen können bei Wahlen verbunden werden. Diese werden dann bei der Zuteilung der Nationalratsmandate als eine Liste betrachtet. Dank kleinerer Parteien können grössere Parteien mehr Sitze holen, wenn es den kleineren Parteien nicht für einen eigenen Sitz reicht. Mehr zu den Listenverbindungen findest du hier.

Schadet oder nützt die Listenverbindung der SVP? Das wollte blue News von Politgeograf Michael Hermann wissen.

Herr Hermann, was bringt die Listenverbindung mit Mass-voll der SVP im Kanton Solothurn?

Grundsätzlich nützen Listenverbindungen der SVP, weil sie so Sitze dazu gewinnen kann. Dass SVP-Wähler*innen wegen der Listenverbindungen eine andere Partei bevorzugen, glaube ich nicht. Ausser sie führen zu einer grossen Debatte, spielen Listenverbindungen bei den Wähler*innen keine grosse Rolle. Mass-voll und die SVP sind politisch auch nicht wahnsinnig weit voneinander entfernt.

Ist die grosse Debatte nicht schon im Gang?

Doch. Für die SVP-Wählerschaft spielt sie aber keine sonderlich grosse Rolle, sondern nur für jene, die ohnehin eine andere Partei wählen. Für alle anderen Parteien wären Listenverbindungen mit Mass-voll oder «Aufrecht» ein grosses Problem. Bei der SVP hingegen hat man den Eindruck, dass es lediglich eine weitere Provokation von vielen ist.

Worin besteht denn das Risiko für die SVP?

Wohl darin, dass die FDP hätte abspringen können. Denn die FDP kann es sich nicht leisten, mit den Massnahmenskeptiker*innen eine gemeinsame Liste zu haben.

Die FDP geniesse als Listenpartnerin Priorität der SVP, heisst es. Sind diese Verbindungen in anderen Kantonen jetzt in Gefahr?

Es würde mich erstaunen, wenn die FDP auf Listenverbindungen mit der SVP verzichten würde, nur weil sie sich in anderen Kantonen mit Mass-voll verbindet. Im Aargau hat sich gezeigt, dass es nicht geht, mit beiden Parteien gleichzeitig eine Listenverbindung einzugehen.

Profitiert auch Mass-voll?

Nicht wirklich, denn im Kanton Solothurn werden sie keinen Sitz machen, weil er zu wenig Sitze hat. Am ehesten wäre ein Erfolg im Kanton Zürich denkbar gewesen. Dort gibt es nun aber wiederum den Konflikt zwischen Mass-voll und «Aufrecht», was die Chancen auf einen Sitz schmälert. Herr Rimoldi hat es sich verscherzt.

Ein Blick zurück: Schon früh suchte die SVP die Nähe zu den Massnahmenskeptiker*innen. Man erinnert sich an den Auftritt von Bundesrat Ueli Maurer im Trychler-Hemd. War dies Strategie von Beginn weg?

Die Strategie ist viel eher, diese Wählersegmente nicht zu verlieren. Man muss sehen: Rund 40 Prozent stimmten jeweils gegen das Covid-Gesetz. Das ist ein grosser Teil des SVP-Elektorats. Bislang lautete eine der Regeln in der Schweizer Politik, dass rechts der SVP nichts mehr wachsen kann.

Gilt diese Regel noch?

Es gab immer wieder Ansätze wie etwa die Pnos oder die Schweizer Demokraten. Alle wurden aber mehr oder weniger irrelevant, weil sie Heimat in der SVP fanden. Die SVP-Wähler*innen stört dies offenbar nicht, da sie die Partei an den Wahlen jeweils nicht abstrafen.

Auch auf der anderen Seite des Politspektrums gab es Skeptiker*innen. Wo bleiben die grünen Massnahmenskeptiker*innen?

Eine Listenverbindung zwischen den Grünen und Mass-voll wäre undenkbar, da Mass-voll deutlich rechtsbürgerlich positioniert ist. Die Grünen können die verlorenen Mitglieder nicht zurückfischen, da es eine zu grosse Distanz gibt.

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