Coronavirus Wenig Anlass zu Optimismus – Bundesrat zieht Zwischenbilanz

red.

30.12.2020

Die Bundesräte Parmelin, Sommaruga und Berset an der Medienkonferenz vom 18. Dezember. 
Die Bundesräte Parmelin, Sommaruga und Berset an der Medienkonferenz vom 18. Dezember. 
Bild: Keystone

Kurz vor den Festtagen hatte der Bundesrat die Corona-Regeln ein weiteres Mal verschärft. Gestern Dienstag befanden sich die Zahlen wieder auf Vorweihnachtsniveau – braucht es nun noch schärfere Massnahmen?

Ein echter Lockdown ist es zwar nicht, aber ein grosser Teil des öffentlichen Lebens ist dennoch betroffen: Per 22. Dezember hat der Bundesrat letztmals die nationalen Covid-Massnahmen verschärft und Beizen, Sport, Kultur- und Freizeiteinrichtungen geschlossen. Allerdings nicht in der ganzen Schweiz: Kantone mit günstiger epidemiologischer Entwicklung dürfen Erleichterungen beschliessen.

Als die Massnahmen am 18. Dezember verkündet wurden, behielt sich der Bundesrat ausdrücklich vor, in den nächsten Wochen «rasch weitere Massnahmen ergreifen zu können», sollte sich die Lage verschlechtern. Angekündigt wurde auch, dass per 30. Dezember eine Zwischenbilanz gezogen werden soll. Heute ist es so weit: Weil das Coronavirus in den vergangenen zwei Wochen keine Pause machte – ganz im Gegenteil – sind strengere Massnahmen nicht ausgeschlossen. Ein Überblick.

Wie haben sich die Fallzahlen in jüngster Zeit entwickelt?

Patrick Mathys vom BAG sagte am Dienstag vor den Medien, die Fallzahlen seien über die Festtage wie erwartet leicht zurückgegangen – damit habe man wegen der geringeren Zahl an durchgeführten Tests aber rechnen können. Mittlerweile erreichen die gemeldeten Zahlen wieder Vorweihnachtsniveau, gestern verzeichnete das BAG knapp 4200 Neuinfektionen.

Insgesamt stelle man «eine Stagnation der Fallzahlen auf zu hohem Niveau fest», sagte Mathys. Der Druck auf die Spitäler und Altersheime bleibe gross. Es bestehe daher wenig Anlass zu Optimismus.

Welchen Einfluss haben die neuen Virus-Mutationen?

Zwei neue Corona-Mutationen, die erstmals in Grossbritannien respektive Südafrika nachgewiesen wurden, verbreitet sich offenbar recht schnell. Die neue Variante des Virus sei nicht nur laut ersten Untersuchungen viel ansteckender, sie habe in England auch alle anderen Varianten zurückgedrängt, sagt die Genfer Virologin Isabella Eckerle.



Gemäss Martin Ackermann von der Corona-Taskforce wurden in der Schweiz bis Dienstag sieben Fälle der neuen Corona-Varianten registriert. Man könne davon ausgehen, dass die beiden Mutationen weniger als ein Prozent aller Ansteckungen hierzulande ausmachten. 

Am Beispiel von Grossbritannien sieht man jedoch, wie schnell es gehen kann: Die neue Variante habe dort sehr rasch Einfluss auf das Infektionsgeschehen genommen, so der Chef der nationalen Taskforce. Laut Ackermann gehen Experten davon aus, dass die neue Variante 40 bis 70 Prozent ansteckender ist als die bisherigen Varianten. 

Wie entwickelt sich der R-Wert?

Die Reproduktionszahl (R-Wert) gibt an, wie viele Menschen eine infizierte Person in einer bestimmten Zeit im Schnitt ansteckt. Liegt der Wert über 1, steigt die Zahl der Neuinfektionen, die Krankheit breitet sich also weiter aus. Ist sie kleiner als 1, gibt es immer weniger Neuinfektionen, die Epidemie ebbt ab. Die Tamedia-Zeitungen hatten zuletzt berichtet, dass der R-Wert für Anfang Dezember nachträglich zweimal stark nach unten korrigiert worden sei, nämlich von 1,13 auf 1,00. Am Dienstag lag er bei 0,81. Heisst: Zehn Infizierte stecken im Schnitt acht weitere Menschen an.

Martin Ackermann warnt vor Automatismen rund um die Reproduktionszahl, weil diese ungenau sein könne. Der R-Wert werde geschätzt, sei kompliziert und ungenau. Mit jedem konkreten Resultat könne der Wert nachträglich präzisiert werden.

Die Taskforce rät deshalb davon ab, die Reproduktionszahl für Automatismen bei politischen Entscheidungen hinzuziehen. Für Entscheide sollten gemäss Ackermann verschiedene Faktoren berücksichtigt und Experten angehört werden.

Welche Massnahmen empfiehlt die Taskforce?

Um eine Ausbreitung der neuen Virus-Variante in der Schweiz zu verhindern oder zu verlangsamen, sind aus der Sicht der Taskforce neben den Massnahmen zur Kontaktreduktion ein umgehender Ausbau der kantonalen Test- und Tracing-Kapazitäten sowie eine konsequente Umsetzung von Isolations- und Quarantäne Regelungen notwendig. «Varianten des Virus werden uns in den nächsten Wochen begleiten und darauf sollten wir so gut wie möglich vorbereitet sein», so Ackermann.

Aus Sicht der Wissenschaft sei es sinnvoll, noch mehr Ressourcen in die Sequenzierung der Fälle zu stecken. «Wir müssen aus dieser Risikozone rauskommen.»

Die Taskforce empfiehlt dem Bund, die Ansteckungen in der Schweiz alle zwei Wochen zu halbieren. Noch seien die Fallzahlen hierzulande schlicht zu hoch. Als zusätzliche Massnahmen nannte Ackermann erneut ein «vermehrtes Homeoffice».

Drohen Schulschliessungen?

In den meisten Kantonen soll der Schulunterricht nach den Weihnachtsferien wieder losgehen – jedenfalls ist das der Plan. Angesichts der Coronavirus-Mutationen, die auch in der Schweiz nachgewiesen worden sind, muss aber möglicherweise umdisponiert werden.

Die Taskforce plädiert für ein Hinauszögern des Präsenzunterrichts auf den 11. Januar nach dem Schulstart. Damit sollten Ansteckungen von den Feiertagen nicht in die Schulen geschleppt werden. Einzelne Kantone haben dies bereits verfügt.

Die kantonalen Gesundheitsdirektoren sind mit dem Bundesamt für Gesundheit in Klärung, ob sich wegen des mutierten Virus «raschere und dringlichere Massnahmen aufdrängen als bisher vorgesehen», sagte Generalsekretär Michael Jordi dem «Tages-Anzeiger».

Hat der Bundesrat schon konkrete Pläne?

Gesundheitsminister Alain Berset lässt sich noch nicht allzu tief in die Karten blicken: Beschlossen sei nichts, ein Anziehen der Schrauben sei aber im Bereich des Möglichen, wie er laut «Tages-Anzeiger»  sagte. «Wir haben keine Massnahmen diskutiert oder schon geplant», so Berset. Aber: «Wenn die Mutation zu einer schnelleren Verbreitung führt, müssen wir reagieren. Die Entscheide sind für den Moment getroffen, der Bundesrat hat sich entschieden.»

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Auch Guy Parmelin schloss in einem Interview  mit der «Sonntagszeitung» weitere Massnahmen nicht aus: «Der Bundesrat nimmt die Empfehlungen der Taskforce zur Kenntnis und wird zu gegebener Zeit unter Abwägung aller Argumente entscheiden.»

Lukas Engelberger, Präsident der Gesundheitsdirektoren-Konferenz, sagte im Interview mit «blue News»: «Sehr vieles ist möglich in den nächsten Wochen.» Zwar sei noch wenig über die Virus-Mutationen bekannt. Sollte sich aber erweisen, dass diese sich weitaus schneller übertragen, «dann wird man sich überlegen müssen, rasch neue Massnahmen zu ergreifen».

Wie ist der Stand bei den Impfungen?

Die Impfungen gegen Covid-19 sind in vielen Kantonen angelaufen. Vorrang haben unter anderem Personen über 75. Die vorhandenen Impfdosen reichen aber auch für diese Bevölkerungsgruppe nicht. Eine Beschleunigung der Impfkampagne liege ausserhalb des Einflusses der Behörden. Damit das möglich wäre, müssten die zwei weiteren geprüften Impfstoffe von Moderna und AstraZeneca erst zugelassen werden.

Laut Mathys sollten aber bald 250'000 Impfstoff-Dosen pro Monat verfügbar sein. 



Mathys warnt allerdings auch, dass es ohne eine «einigermassen hohe» Impfbereitschaft nicht möglich sei, die Corona-Massnahmen in Zukunft herunterzuschrauben. Ein nationales Impfregister werde es in der Schweiz aber nicht geben.

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