Bund und Kantone gefordertZahl an Neuansteckungen schnellt nach oben – was tun?
tafu
15.10.2020
Die Ansteckungszahlen in der Schweiz sind hoch wie nie. Gefordert sind nun Bund und Kantone. Es geht um die Frage, ob erneut gemeinsame Massnahmen auf nationaler Ebene ergriffen werden.
2'823 Coronavirus-Neuansteckungen wurden am Mittwoch verzeichnet – ein Wert, den die Schweiz während der gesamten Pandemie noch nicht erlebt hat. Auch am Donnerstag meldete das BAG 2'613 neue Fälle. Mit 1'530 Neuansteckungen war der 24. März der bisherige Rekordtag. Damit sind die offiziell verzeichneten Fälle deutlich angestiegen.
Und auch anhand der hohen Positivitätsrate von 13,6 Prozent ist diese Steigerung deutlich sichtbar. Ebendiese Rate bereitet dem ehemaligen Chef der Corona-Taskforce, Matthias Egger, Sorgen, wie er gegenüber der «Aargauer Zeitung» betont: «Sie deutet darauf hin, dass noch viel mehr Leute infiziert sind, sich aber nicht testen lassen.»
Massnahmen sind zwingend notwendig
Eine Überraschung seien die hohen Zahlen zu Beginn der kälteren Jahreszeit zwar nicht – die Zahl der Atemwegserkrankungen steige immer mit dem Herbstanfang – allerdings müsse man genau beobachten, wie sich die Zahlen nun entwickeln. Bestätigt sich der Trend, müssen Massnahmen angepasst werden.
Das ist in Teilen bereits passiert: In Genf wurde am Mittwoch eine Obergrenze von 15 Personen im öffentlichen Raum, privat von 100 Personen, beschlossen. Zürich hat eine generelle Maskenpflicht im Innenbereich von Clubs und Diskotheken eingeführt.
Doch werden diese Massnahmen ausreichen? Matthias Egger würde noch weitergehen und hält Massnahmen auf nationaler und kantonaler Ebene für sinnvoll, darunter eine nationale Homeoffice-Empfehlung und eine generelle Maskenpflicht in Innenräumen. Auch sollten Kantone eine situationsabhängige Obergrenze für private und öffentliche Veranstaltungen prüfen.
Sorglosigkeit im privaten Raum
Klar ist: Die meisten Menschen stecken sich am Arbeitsplatz und innerhalb der Familie an. Da das Virus auf irgendeinem Weg in die Familien gelangen muss, gehen Infektiologen davon aus, dass die Viren zwar überall übertragen werden, allerdings in unterschiedlicher Heftigkeit. Vor allem Menschen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren sind von Neuansteckungen betroffen – ein Gegensatz zum Frühjahr, wo sich vermehrt ältere Menschen ansteckten.
Die grössten Ansteckungsherde seien allerdings aktuell private Anlässe, da besonders hier eine grosse Sorglosigkeit hinsichtlich der Hygiene-Massnahmen wie Abstand halten und Maskentragen herrsche, erklärt Marcel Tanner von der Taskforce gegenüber der «Aargauer Zeitung».
«Es ist fünf vor zwölf»
Heute Donnerstag trafen sich deshalb Bund und Kantone zu einem Krisengipfel in Bern, bei dem es dem Vernehmen nach um die bessere Zusammenarbeit ging. Ausserdem wurde darüber beraten, ob allenfalls neue nationale Massnahmen notwendig werden und wie die einzelnen Kantone unterstützt werden könnten.
Bereits im Vorfeld ging Regierungsrat Christoph Brutschin davon aus, dass keine Entscheidungen getroffen werden, er konnte sich allerdings vorstellen, dass Aufträge zur Ausarbeitung eines Massnahmenpakets erteilt werden, welches im Fall von weiter steigenden Zahlen von Bund und Kantonen gemeinsam empfohlen wird.
Genau hier sah auch Michael Jordi, Generalsekretär der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), einen zentralen Punkt des Treffens am Donnerstag. «Es geht darum, die nächsten Schritte zu beraten. Vielleicht kommt man zum Schluss, dass es gewisse nationale Massnahmen braucht, die der Bund für die ganze Schweiz verordnet.» Dies müsse allerdings im Einklang mit den Kantonen passieren.
«Wir haben viel zu gewinnen, denn es ist fünf vor zwölf», fasste Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga die Situation am Donnerstag vor den Bundeshausmedien zusammen. Es sei wichtig, den steigenden Trend zu brechen. «Desto schneller uns dies gelingt, desto weniger Einschnitte hat es für die Bevölkerung, die Wirtschaft, die Familien und die Risikogruppen», sagte Sommaruga. Die Kompetenz für die Massnahmen bleibe allerdings weiter bei den Kantonen. «Wir blieben bei der besonderen Lage.»
Lockdown muss verhindert werden
Dass gehandelt werden muss, ist klar. Vor allem auch, um mit allen Mitteln einen erneuten Lockdown zu verhindern, der womöglich die Wirtschaft in die Knie zwingen könnte. Und auch die Spitäler müssen vor einer Überlastung bewahrt werden. Am Mittwoch meldete das BAG 57 Einlieferungen.
Noch sei man allerdings weit weg von einer Überlastung, erklärt Philipp Lutz vom Kantonsspital St. Gallen gegenüber der «Aargauer Zeitung». Allerdings: «Wir stellen auch bei uns einen Anstieg fest.» Es komme gerade auf den Intensivstationen darauf an, wie viele «andere» Patienten gleichzeitig betreut werden müssten. Während die Zahl der Hospitalisierungen in St. Gallen also noch im Rahmen ist, sieht die Situation in Schwyz bereits wesentlich dramatischer aus. Wegen drohender Überlastung habe die Spitalführung dort bereits einen Hilferuf ausgesandt, da immer mehr Covid-19-Patienten Sauerstoff benötigten.
Gesundheitsminister Alain Berset sprach am Donnerstag von einer beunruhigenden Situation. In den nächsten Tagen könnten deshalb auch auf Bundesebene neue Massnahmen getroffen werden. Berset werde am Freitag zusammen mit dem Vorstand der GDK besprechen, welche weiteren Massnahmen ergriffen werden müssen, um die Situation im Griff zu behalten. «Wir reden beispielsweise über die Maskenpflicht und die Organisation der Gesellschaft.»