VerleumdungsklageJolanda Spiess-Hegglin siegt vor Gericht erneut gegen Journalistin
Philipp Dahm
17.6.2025
Die ehemalige Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin (links) und ihre Anwältin Rena Zulauf am 24. Mai Basler Strafgericht: Das damalige Verleumdungsurteil wurde nun bestätigt, ist aber noch nicht rechtskräftig.
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Rekurs in Basel-Stadt: Eine Journalistin wehrt sich gegen das Urteil, das ihr eine Verleumdung der Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin vorwirft. Nun hat das Appellationsgericht das Verdikt der Vorinstanz bestätigt.
«Es geht um einen Tweet», sagt Christian Hoenen. «Umstritten ist die Auslegung.» Damit bringt der vorsitzende Richter am Appellationsgericht Basel-Stadt den Fall auf den Punkt, der am 17. Juni vor Ort verhandelt wird.
Dabei ficht die Journalistin Michèle Binswanger ein Urteil der Vorinstanz an, das das Strafgericht Basel-Stadt am 24. Mai 2023 gefällt hat: Jolanda Spiess-Hegglin hatte Binswanger wegen Verleumdung angezeigt.
Grund dafür ist ein Tweet der Journalistin vom 4. Mai 2020: Spiess-Hegglin übe demnach «eine grosse Meinungsmacht in der Öffentlichkeit aus» und habe sich «proaktiv» entschieden, «seit 5,5 Jahren öffentlich über den Fall zu sprechen und einen Unschuldigen der Vergewaltigung zu bezichtigen».
Das Strafgericht hat vor zwei Jahren Spiess-Hegglin recht gegeben und unter anderem begründet, die Tamedia-Journalistin habe «vorsätzlich gehandelt».
«Der Tweet ist eingebettet in einen jahrelangen Streit»
Das neuerliche Beweisverfahren wird innert Kürze abgeschlossen – es folgen die Plädoyers der Verteidiger.
Zunächst hat Binswangers Anwalt Jascha Schneider-Marfels das Wort. «Es geht nicht bloss um einen einzelnen Tweet, sondern einen Grundpfeiler der Debattenkultur: die Meinungsfreiheit», sagt er. «Der Tweet ist eingebettet in einen jahrelangen Streit. Man muss ihn im Kontext der gesamten Debatte betrachten.»
Seine Mandantin habe mit ihrem Tweet «einen Widerspruch aufgezeigt.» Spiess-Hegglin habe durch Aussagen, Retweets und Likes die Verbreitung unwahrer Aussagen geduldet: Sie wolle «die Debatte vollständig kontrollieren» und den «Eindruck der Schuld [eines SVP-Politikers] perpetuieren».
Anwalt erkennt «Klima der Angst»
Die Klägerin wolle den «Auftrag des Journalismus beschneiden», fährt Schneider-Marfels fort. «Es geht hier um die Meinungsäusserungsfreiheit.» Zudem sei Spiess-Hegglin «keine medienunerfahrene Privatperson», sondern wisse, sich «medial zu platzieren».
Die Klägerin «überzieht seit Jahren ihre Kritikerin mit Verfahren» und schaffe unter Journalisten ein «Klima der Angst»: «Jeder Journalist ist gut beraten, nichts zu schreiben», glaubt Schneider-Marfels. «Die Klägerin sucht Aufmerksamkeit.»
Weiter argumentiert der Anwalt, dass die Grenzen zulässiger Kritik bei Politikerinnen und Polikern weiter gefasst seien. Die Klägerin «muss demnach ein höheres Mass an Toleranz aufbringen». Die Meinungsfreiheit schütze auch «scharfe, provokative Kritik».
Drohen «amerikanische Verhältnisse»?
Zum Schluss seines Plädoyers warnt der Verteidiger vor einem «gefährlichen staatlichen Eingriff in unsere Debattenkultur». Wenn «Heerscharen von Anwälten» das unterdrücken würden, drohten «amerikanische Verhältnisse»: «Jede kritische Äusserung» könnte dann «gerichtlich sanktioniert» werden.
Das sieht Rena Zulauf naturgemäss völlig anders: Im Vorgehen der Gegenseite sieht die Anwältin von Spiess-Hegglin einen «unbeholfenen Versuch, eine subjektive Meinung zu einer öffentlichen Meinung hochzustilisieren». Binswanger attestiert sie eine «persönliche Obsession» mit dem Thema.
«Es geht heute um eine über Jahre geführte öffentliche Kampagne, die mit journalistischer Arbeit nichts zu tun hat», sagt Zulauf. Die Aussagen im Tweet seien «nachweislich falsch»: Die Beschuldigte könne ihre Behauptungen nicht beweisen. «Die Unschuldsvermutung wird mit Füssen getreten.»
«Persönlichen Ressentiments als Recherche deklariert»
Für die Verteidigerin sei das «Urteil der Vorinstanz in jeder Hinsicht korrekt»: Binswanger habe ihre «persönlichen Ressentiments als Recherche deklariert». Ihre Äusserungen würden jegliche «journalistische Distanz vermissen lassen»: «Statt ihr Verhalten zu überdenken, verschärft die Beschuldigte ihre Angriffe.»
Binswanger agitiere «seit zehn Jahren» gegen ihre Mandantin: In ihrem Buch lasse sie einen verurteilten Spiess-Hegglin-Stalker als «Kritiker» zu Wort kommen. «Die Kollaboration mit verurteilten Stalkern wirft Fragen nach der Glaubwürdigkeit auf», beklagt die Anwältin. «Die Beschuldigte trägt zur Verfestigung frauenfeindlicher Stereotypen bei.»
Jolanda Spiess-Hegglin und Ehemann Reto Spiess im April 2019 auf dem Weg zum Zuger Kantonsgericht.
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Spiess-Hegglin wolle «keinen Unschuldigen beschuldigen, sondern auf strukturelle Probleme und fundamentale Fragen der Medienarbeit hinweisen», sagt Zulauf. Mit Blick auf die vermeintliche Belastung des SVP-Politikers fragt sie: «Wie soll man etwas dementieren, das man nie behauptet hat?»
Der gesamte Sachverhalt sei eine Verletzung der Intimsphäre, so die Anwältin: «Jolanda Spiess-Hegglin hat nie die Öffentlichkeit gesucht.» Ihre Mandantin sei selbst «hochnotalarmiert», als sie nach der Zuger Landamman-Feier 2014 im «Blick» habe lesen müssen: «Hat er sie geschändet?»
Mediales «Perpetuum mobile»
Das habe ein «Perpetuum mobile in Gang gebracht»: «Die Medien haben sich ergötzt», erklärt Zulauf. «Was gut klickt, generiert Einnahmen.» Und auch wenn es sich um Politiker drehe, «hätte das in den Medien nie thematisiert werden dürfen».
Weil die Journalistin «das grösste Verlagshaus der Schweiz» im Rücken habe, sei der Vorwurf von Spiess-Hegglins Meinungsmacht «völlig absurd». Ihre Klientin habe den SVP-Politiker sogar im Schutz genommen: «Medienfreiheit ist keine Diffamierungsfreiheit», endet Zulaufs Plädoyer.
Das Gericht berät sich eineinhalb Stunden, bevor es das Urteil verkündet: Die Berufung der Journalistin wird abgewiesen. Auch ihr Antrag auf Genugtuung fällt durch. Der fragliche Tweet «impliziert, dass man jemanden zu Unrecht eines Verbrechens beschuldigt», hält Richter Hoenen fest. «Das lässt sich nicht wegdiskutieren.»
Richter: «Das sind die klaren Fakten»
Auch Pressevertreter müssten sich an Regeln halten: «Medienfreiheit schützt sie nicht davor, Falschbehauptungen aufzustellen.» Der Vorsitzende verweist weiter auf einen Vergleich zwischen Spiess-Hegglin und dem SVP-Politiker von 2018 und ein Urteil gegen den «Weltwoche»- Journalisten Philipp Gut von 2019.
Diese seien rechtskräftig und die Gerichte hätten festgestellt, dass die Klägerin den SVP-Mann nicht beschuldigt hätte. «Was allenfalls vorher gewesen ist, spielt alles keine Rolle mehr», sagt Hoenen. Das habe die Beschuldigte gewusst und wider besseren Wissen den Tweet verfasst, der «ehrverletzend» sei. Das erfülle den Tatbestand der Verleumdung.
Weiter seien keine Gegenbeweise vorgelegt worden, schliesst der Richter die Urteilsverkündung. «Das sind die klaren Fakten.» Binswanger erhält einen Strafbefehl über 60 Tagessätze à 190 Franken. Sie muss die Gerichtskosten in Höhe von 13'866 Franken in der Vorinstanz und 24'955,50 Franken zahlen.
Spiess-Hegglin muss eine von ihr geforderte Genugtuung auf dem Zivilweg durchsetzen. Nach der schriftlichen Begründung hat die Journalistin noch die Möglichkeit, Rekurs am Bundesgericht einzulegen. Das Urteil ist also noch nicht rechtskräftig.