Die neue IV Junge sollen nicht als Rentner ins Erwachsenenleben starten

Von Alex Rudolf

3.11.2021

Das Parlament hat vor gut einem Jahr eine grosse IV-Reform beschlossen. Die Ausführungsbestimmungen treten per Anfang 2022 in Kraft. (Symbolbild)
Das Parlament hat vor gut einem Jahr eine grosse IV-Reform beschlossen. Die Ausführungsbestimmungen treten per Anfang 2022 in Kraft. (Symbolbild)
KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA VALLE

Junge und Menschen mit psychischer Beeinträchtigung sind der Fokus der IV-Revision, die im Januar in Kraft tritt. Hier erfährst du, was sich konkret ändert.

Von Alex Rudolf

In der Schweiz beziehen 218'000 Menschen eine Invalidenrente, die durch Versicherungsbeiträge (5,5 Milliarden) und Bundesgelder (3,6 Milliarden) finanziert werden. Am Mittwoch stellte der Bundesrat nun umfassende Neuerungen der IV vor. Hier findest du die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum muss die IV auf Vordermann gebracht werden?

Einerseits hält es der Bundesrat für notwendig, dass die Versicherung der Kinder und Jugendlichen wie auch jener Menschen mit psychischen Erkrankungen modernisiert wird. Andererseits sollen bei den medizinischen Gutachten mehr Transparenz herrschen und eine Qualitätssicherung eingeführt werden. Die Neuerungen brauchen keine Gesetzesänderung, es reichen Verordnungen.

Wie können Kinder und Jugendliche besser von der IV profitieren?

Primär will der Bund verhindern, dass Kinder und Jugendliche zu früh zu IV-Fällen werden. Um das zu erreichen, will er früher einschreiten und Beteiligte wie Arbeitgeber und Schulen besser einbinden. Beispielsweise sollen Jugendliche mit leichter geistiger Behinderung, die bei der Berufswahl überfordert sind, enger begleitet werden.

Finden sie nach der Schulzeit keine Berufsausbildung, können sich die gesundheitlichen Beschwerden verschärfen: Den Betroffenen fehlt eine Tagesstruktur und sie ziehen sich schlechterdings zurück. Die IV kann hier etwa neu Brückenangebote mitfinanzieren und kommt früher mit den Betroffenen in Kontakt.

Wie wird die Unterstützung für Menschen mit psychischen Problemen verbessert?

Auch hier will der Bund früher eingreifen. Bislang musste eine Person mindestens 30 Tage krankgeschrieben sein, um von der IV erfasst zu werden. Neu wird dies bereits bei drohender Invalidität möglich. Warnzeichen sind, dass Depressive oft bei der Arbeit fehlen, unkonzentriert sind und weniger Leistung erbringen.

Zahnfleischgeschwulst wird neu von der Krankenkasse bezahlt – warum?

Welche Geburtsgebrechen von der IV anerkannt werden, ist auf einer seit 1985 unveränderten Liste festgeschrieben. Diese wird nun erneuert. Leicht zu behebende Gebrechen sollen verschwinden, da sie künftig von der Krankenkasse übernommen werden. Dazu zählt etwa die Epulis, ein kleines Geschwulst auf dem Zahnfleisch.

Dafür kommen neue Gebrechen hinzu, die es 1985 nach damaligem Wissenschaftsstand noch nicht in dieser Form gab. Ein Beispiel hierfür sind peroxysomale Stoffwechselstörungen, die zu schweren Verhaltensstörungen, Demenz und Sehproblemen führen können. Trisomie 21 bleibt auf der Liste, obwohl es nicht behandelbar ist. Grund dafür ist ein Vorstoss aus dem Jahr 2016.

Zudem schafft der Bund ein Kompetenzzentrum für von der IV anerkannte Arzneimittel für Geburtsgebrechen. Dieses erstellt eine entsprechende Liste.

Der Bundesrat verspricht mehr Gerechtigkeit: Wie geht er das an?

Wer wie viel IV erhält, ist Sache der Kantone. Um sicherzustellen, dass Menschen in Genf nicht anders behandelt werden als jene im Bündnerland, beschloss der Bundesrat, dass die Abklärungen und medizinischen Gutachten einheitlich behandelt werden sollen. Neu sollen sich Versicherte und Versicherer auf eine ärztliche Fachperson einigen, die ein Gutachten erstellt.

Die Interviews, welche diese Person mit dem Antragsteller führt, sollen künftig anhand einer Tonbandaufnahme erfasst werden. Neu soll auch eine öffentlich einsehbare Liste von Sachverständigen erstellt werden, die deren Leistungsnachweis enthält. Einzelne Kantone führen eine solche Liste schon heute.

IV-Bezüger*innen sollen Anreize erhalten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Wie geht das?

Wer heute eine IV-Rente erhält, wurde auf eine von vier möglichen IV-Stufen eingeteilt – von teilweise IV-berechtigt bis hin zu komplett IV-berechtigt. Mit diesen Stufen ist nun Schluss: Der IV-Grad soll fortan prozentgenau festgelegt werden. Der Grund: Wegen Schwelleneffekten würde sich beim bisherigen Modell das verfügbare Einkommen mit zunehmender Berufstätigkeit nicht erhöhen, weshalb sich mehr Arbeit nicht lohnt.

Wer kontrolliert, dass alles mit rechten Dingen zugeht?

Ab 2022 soll es eine ausserparlamentarische Kommission geben, welche die Qualität der Begutachtungen kontrolliert. 

Wie viel kostet das Ganze?

Einsparungen und Mehrkosten würden sich laut Bundesrat Parmelin die Waage halten.