EU-Parlament beschliesst Verbot «Ich fahre ein Auto mit Verbrenner – ohne schlechtes Gewissen»

Von Andreas Fischer, Anna Kappeler und Adrian Kammer

10.6.2022

Verbot von Verbrennungsmotoren: «Endlich gibt es Sicherheit» – «Wir haben gar keine Wahl»

Verbot von Verbrennungsmotoren: «Endlich gibt es Sicherheit» – «Wir haben gar keine Wahl»

Das EU-Parlament will 2035 Verbrennungsmotoren bei neuen Autos verbieten – das hätte auch Auswirkungen auf die Schweiz. So reagieren Politiker*innen im Bundeshaus auf den Entscheid.

09.06.2022

Die EU will neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 verbieten. Das sorgt für viel Wirbel. Auch in der Schweiz gibt es viele Fragen – hier sind die Antworten.

Von Andreas Fischer, Anna Kappeler und Adrian Kammer

10.6.2022

Neuwagen mit Verbrennungsmotor soll es in der EU schon in naher Zukunft nicht mehr geben – zumindest nach dem Willen des EU-Parlaments. Ab 2035 sollen nur noch Autos und Transporter ohne qualmenden Auspuff auf Europas Strassen neu zugelassen werden.

Auch wenn das Verbrenner-Verbot der EU noch nicht definitiv ist: Aufhalten lässt sich das Ende von Diesel und Benziner nicht mehr.

Der Vorstoss der Strassburger EU-Parlamentarier ist ein Signal: Es gilt, Abschied nehmen von fossilen Energieträgern. Dass in der EU beim Thema Elektromobilität Nägel mit Köpfen gemacht werden, hat auch Auswirkungen auf die Schweiz – und wird kontrovers diskutiert. Das sind die wichtigsten Fragen, Antworten und Argumente.

Wie steht die Schweiz zu dem geplanten EU-Verbot von Verbrennungsmotoren?

Im Herbst 2021 haben mehrere Staaten und Hersteller auf dem Klimagipfel in Glasgow freiwillig ein Ende von Verbrennungsmotoren bis 2035 beschlossen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga wollte die gemeinsame Deklaration nicht unterzeichnen. Der Markt würde das schon regeln, so die Umweltministerin.

Was Politiker in Bern von dem aktuell angedachten Verbrenner-Verbot halten, erklären sie im Video oben.

Andreas Gautschi, Geschäftsführer des Verkehrs-Clubs Schweiz (VCS), teilt auf Nachfrage mit: «Der Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren ist ein Schritt in die richtige Richtung, welche Signalwirkung zeigen wird und zeigen muss – auch in der Schweiz.»

Bei den Verbänden der Auto-Importeure (auto-schweiz) und der Garagisten (AGVS) stösst der Vorstoss auf wenig Gegenliebe: «Technologieverbote hemmen die Innovation», heisst es beim AGVS. Auch Auto-Schweiz-Direktor Andreas Burgener findet, dass «Verbote nie der richtige Weg» sind und in diesem Fall gar nicht nötig wären, weil «viele Automobilhersteller bereits vorher keine Verbrennungsmotoren in Neuwagen mehr anbieten».

Für Burgener kommt hinzu: «Wenn klar ist, dass eine Technologie in ein paar Jahren nicht mehr verkauft werden wird, fliessen Gelder für Forschung und Entwicklung woanders hin. So können bei den Themen Emissionsabsenkung und Effizienzsteigerung keine Fortschritte mehr erzielt werden – und Fahrzeuge, die heute verkauft werden, sind noch in 15 Jahren auf unseren Strassen unterwegs», bezeichnet Burgener das geplante EU-Verbot im Gespräch mit blue News als «Innovationskiller».

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Viele Marken steigen schon vor 2035 aus Verbrennungsmotoren aus, die Automobil-Importeure sind darauf vorbereitet. «Natürlich braucht es für diesen Wandel auch die Kundinnen und Kunden, die von der stetig wachsenden Auswahl an E-Fahrzeugen Gebrauch machen», sagt Auto-Schweiz-Direktor Andreas Burgener.

Auch die Garagisten sind vorbereitet und verfügen über das notwendige Wissen. «Bereits heute verfügt jedes zweite in Verkehr gesetzte neue Auto über einen alternativen Antrieb», erklärt Olivia Solari vom AGVS. Bei der Berufsbildung «sind Ausbildungen für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben schon seit einiger Zeit erfolgreich eingeführt».

Kann man in der Schweiz 2035 noch Benziner und Diesel kaufen?

«Theoretisch wäre es möglich, diese vielleicht von anderen Kontinenten zu importieren, sei es etwa aus Asien oder Südamerika», erklärt Burgener. «Praktisch halte ich das für sehr kompliziert und unwahrscheinlich, denn Neufahrzeuge in der Schweiz müssen über eine europäische Gesamtgenehmigung verfügen.»

Welche praktische Herausforderung gibt es bei einem Verbrenner-Verbot in der Schweiz?

Von den «weltweit besten Rahmenbedingungen für die Elektromobilität» ist die Schweiz weit entfernt, sagt Andreas Burgener. Er fordert «eine Erhöhung der CO2-armen Stromproduktion und Lademöglichkeiten zu den Fahrzeugen in Mietwohnungen und Stockwerkeigentum zu bringen. «Wir brauchen eine öffentliche Ladeinfrastruktur, die diesen Namen auch verdient. Das Laden eines Autos an einem Abstellplatz, egal wo er ist, muss so selbstverständlich werden wie warmes Wasser in einer Mietwohnung.»

Auch der VCS sieht die Schweiz «in Zugzwang». Man wolle die Treibhausgas-Emissionen bis spätestens 2050 auf netto null senken. «Vergleichbare Ziele im Strassenverkehr, wie sie die EU sich nun gesetzt hat, fehlen derzeit in der Schweiz noch», so VCS-Geschäftsführer Andreas Gautschi. Setze sich die Schweiz nicht «vergleichbare ambitiöse Ziele», drohe sie «zum Dumping-Markt für Verbrennerautos zu verkommen».

Anja Schulze, Direktorin des Zentrums für Automobilforschung an der Universität Zürich, mahnt im Gespräch mit blue News den Umbau der Infrastruktur um: «Einerseits brauchen wir mehr Ladesäulen, andrerseits irgendwann weniger Tankstellen.» Die grössere Herausforderung könnte es allerdings sein, «grüne Energie in entsprechendem Ausmass bereitzustellen», mutmasst die Expertin.

Wo soll der Strom für die E-Autos herkommen?

Bei der Erzeugung von Strom aus alternativen Quellen ist die Schweiz im Sommer zwar gut aufgestellt und produziert einen Überschuss, im Winter aber gibt es schon jetzt eine Versorgungslücke, erklärt Anja Schulze. «Mit der Mobilitätsbranche käme ein grosser Abnehmer dazu. Den zusätzlichen Bedarf muss man erst mal decken.» Sie gibt zu bedenken, dass sich überschüssige Kapazitäten aus dem Sommer nicht einfach in Batterien speichern lassen. «Da müssen Alternativen her.»

Welche CO2-neutralen Antriebsalternativen gibt es neben E-Autos mit Batterien?

Die Brennstoffzellen-Technik galt einmal als Hoffnungsträger, wird aber kaum noch weiterverfolgt. Dabei werden im Auto selbst Wasserstoff und Sauerstoff in einer galvanischen Zelle in Wasser umgewandelt. Die dabei entstehende elektrische Energie treibt den Motor an.

«Dass die Technik funktioniert, haben Hersteller wie Toyota und Hyundai gezeigt: Deren Serienmodelle fahren ja», sagt Anja Schulze und glaubt, dass «der Wasserstoff noch nicht vom Tisch ist.» Zumal man Wasserstoff speichern und transportieren kann und er im Gegensatz zu synthetischen Kraftstoffen durch die EU nicht verboten werden soll.

Der Verkehrs-Club Schweiz setzt derweil auf den öffentlichen Verkehr und die Muskelkraft der Schweizer Bevölkerung: «In der Schweiz sind rund ein Drittel der Autofahrten kürzer als drei Kilometer, ungefähr die Hälfte kürzer als fünf Kilometer. Das sind Distanzen, die ohne CO2-Emissionen zu Fuss, mit dem Fahrrad oder E-Bike zu schaffen sind.»

Trotz EU-Verbot: Wären synthetische Kraftstoffe eine CO2-neutrale Alternative?

«Synthetische Kraftstoffe sind noch weniger energieeffizient als Wasserstoff», gibt der VCS zu bedenken. «Durch den enormen Energiebedarf [bei der Herstellung, d. Red.] sind sie zudem schlicht zu teuer, um eine sinnvolle Alternative darzustellen.»

Auch Anja Schulze weiss um den «ungünstigen Wirkungsgrad von E-Fuels». Aber: «Vielleicht sind sie eine Möglichkeit, um überschüssige Energie aus dem Sommer zu speichern. Auch wenn der Wirkungsgrad schlecht ist, ist es immer noch besser, als die Energie wegzuwerfen.»

Wie umweltfreundlich sind Elektroautos wirklich?

E-Autos sind kein Allheilmittel. Sie brauchen in der Herstellung mehr CO2 als Verbrenner und benötigen Rohstoffe wie Lithium und Kobalt, deren Förderung die Umwelt belastet.

«Die Frage ist», gibt Anja Schulze zu bedenken, «wann betrachten wir welche CO2-Emissionen? Bei der Produktion haben Elektroautos einen höheren Energiebedarf als Verbrenner. Während der Lebenszeit beginnt sich das Verhältnis zu drehen, weil der Verbrenner mehr CO2 ausstösst als ein Elektroauto, sofern der Strom grün ist. Verbrennen wir für den Strom Kohle, haben wir nichts gewonnen.»

«Wird ein Elektroauto mit dem Schweizer Strommix betrieben, hat es nach rund 30'000 Kilometern die im Vergleich mit dem Benzin-Auto höheren CO2-Emissionen seiner Herstellung ausgeglichen», rechnet der VCS vor. Unabhängig vom Antrieb wären «kleinere, leichtere und sparsamere Autos wichtig», sagt Anders Gautschi. Doch «hierzu fehlen heute wirkungsvolle Anreize und Vorschriften».

Darf ich 2035 mit meinem Benziner oder Diesel noch auf die Strasse und in die EU?

Falls dein Auto vor 2035 zugelassen worden ist, sollte einer Reise in ein EU-Land nichts im Weg stehen. Du musst aber damit rechnen, nicht mehr überallhin zu kommen: Schon heute verbannen einige Städte zum Beispiel in Deutschland besonders dreckige Verbrenner aus ihren Innenstädten.

Und es ist damit zu rechnen, dass der Trend hin zu Verbrenner-freien Zonen anhalten wird.

Wie verändert der E-Motor das Auto-Design?

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Im Laufe der Jahrzehnte haben sich Autos immer wieder verändert. Eines blieb aber konstant: Der Verbrennungsmotor hat seinen Platz unter der Motorhaube in der Front. Mit der Verbreitung vom Elektromotor werden diese Konventionen aber aufgehoben. Wieso E-Autos aussehen, wie sie aussehen und welchen Einfluss der Antrieb aufs Design hat, haben wir bei einem Experten nachgefragt.

09.06.2022