Enthüllungen eines Agenten «In der Schweiz gibt es Dutzende russischer Spione»

tafi

10.9.2019

Aufgeflogen, ausgeflogen: Russische Spione wollten 2018 das Labor Spiez hacken. Sie wurden auf dem Weg in die Schweiz von den Behörden in den Niederlanden festgenommen und ausgewiesen.
Aufgeflogen, ausgeflogen: Russische Spione wollten 2018 das Labor Spiez hacken. Sie wurden auf dem Weg in die Schweiz von den Behörden in den Niederlanden festgenommen und ausgewiesen.
Keystone / Archiv

In der Schweiz führen besonders viele russische Agenten unter falscher Identität streng geheime Operationen aus, wie ein ehemaliger KGB-Mitarbeiter bestätigt. Er sagt auch: Die Aktivitäten seien «aggressiver» als früher.

Sie tun so, als wären sie ausländische Freunde: Der russische Geheimdienst soll in der Schweiz Dutzende Agenten stationiert haben, um «streng geheime Operationen» auszuführen. Das behauptet der ehemalige KGB-Agent Sergej Zhirnov in einem Interview mit dem Fernsehsender RTS.

Zhirnov, Jahrgang 1961, hat bis 1991 in der offiziell nicht existenten Abteilung für «illegale Spione» gearbeitet. Unter anderem hat er in Frankreich die Eliteschule «École nationale d’administration (ENA)» infiltriert, um geheime Informationen zu sammeln. Nach der Auflösung des KGB fiel Zhirnov in Russland in Ungnade und emigrierte 2001 nach Paris.

Der Autor des Buches «Pourchassé par le KGB – La naissance d’un espion» (deutsch: «Vom KGB gejagt – Die Geburt eines Spions») sagte RTS, dass sich zurzeit zahlreiche Deutsche, Franzosen, Amerikaner und Engländer auf Schweizer Boden aufhalten würden. «Sie sind mit diesen berühmten Hintergrundlegenden ausgestattet, die sie mit ‹echten› falschen Dokumenten belegen können.»

Jahrzehntelange Infiltration

Es ist das erste Mal, dass ein ehemaliger KGB-Offizier öffentlich die Existenz des Infiltrationsprogramms auf Schweizer Boden zugibt. Die illegalen Operationen seien nach dem Ende des KGB vom neu gegründeten russischen Auslandsnachrichtendienst SWR übernommen worden, so Zhirnov bei RTS.

Der Ex-Spion erklärte dem Sender, dass die Agenten dafür zu anderen Menschen gemacht werden. «Bis auf die körperliche Hülle wird alles geändert: Nationalität, Name, Herkunft. Man ändert die ganze persönliche Geschichte, strickt eine Legende und schickt die Leute auf Mission. Ich, Sergej Zhirnov, bleibe in Moskau. Aber es gibt einen Serge Legras oder einen François Dupont, der in den Vereinigten Staaten, Frankreich oder der Schweiz auftritt.» Manchmal lebten die Spione jahrzehntelang mit falscher Identität im Zielland, sogar bis zu ihrem Tod.

Dass die russische Botschaft in der Schweiz die Äusserungen Zhirnovs als Fantasien abtut, verwundert nicht. Nach einer Bitte um Stellungnahme seitens RTS hätten die Diplomaten die Vorwürfe zurückgewiesen. Die Russen sind der Ansicht, dass die Spionagekonflikte zwischen der Schweiz und Russland nach jenem Treffen zwischen Bundesrat Ignazio Cassis und dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow im Herbst 2018 ausgeräumt seien.

Russische Spionage zunehmend aggressiv

Zuvor hatte es ernsthafte diplomatische Verstimmungen zwischen den Ländern gegeben. Russische Spione sollen im Zusammenhang mit der Vergiftung des Doppelagenten Sergej Skripal in Grossbritannien unter anderem Hacker-Angriffe auf ein Drogenlabor in Spiez geplant haben. 



Trotz der Klärung auf höchster diplomatischer Ebene hat der Nachrichtendienst des Bundes vier Monate später die russischen Spionageaktivitäten in der Schweiz als «aggressiv» bezeichnet. «Die Schweiz dürfte heute in Europa einer der wichtigsten Standorte der russischen Nachrichtendienste sein. Nach Erkenntnissen des NDB sind derzeit rund ein Drittel der in der Schweiz akkreditierten russischen Diplomaten identifizierte Angehörige der Nachrichtendienste oder werden verdächtigt, solche zu sein», heisst es im Lagebericht 2019.

Diese Einschätzung wird von Zhirnov geteilt. Die Schweiz gehöre nicht zuletzt wegen der zahlreichen hier ansässigen internationalen Organisationen zu den fünf bis sechs wichtigsten Spionagezielen der Russen. Insgesamt, so Zhirnov, hätten die russischen Geheimdienstaktivitäten unter Wladimir Putin zugenommen und seien zwei bis drei Mal so hoch wie im Kalten Krieg. «Die russischen Geheimdienste tun jetzt Dinge, die wir zu Zeiten der Sowjetunion nicht gewagt haben. Es ist viel direkter, aggressiver.»

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